Mein neues Buch, im Dezember erhältlich. Hier das Vorwort:
Das Staunen sei der Anfang der Philosophie, vernimmt man
von den alten Griechen. Das Staunen ist wie ein Stoss in den
Rücken, aus dem Selbstverständlichen ins Fragwürdige. Man
gerät aus dem gewohnten, sicheren Gang, man taumelt, stolpert,
fällt vielleicht hin. Man hat einen philosophischen Anfall.
Es gibt nicht nur gedankliche Einfälle, sondern auch
gedankliche Anfälle. Der Begriff des Einfalls weist auf eine militärische
Bedeutung hin: Man überfällt ein Gebiet, dringt in es
ein, erobert es, besetzt es. Der Schriftsteller braucht einen Einfall,
um das unbeschriebene Blatt zu „ erobern“ . Der Einfall leitet
ihn. Er zündet ein Licht an. Er führt zu geplanter, womöglich
stabsmässiger Aktion. Der Anfall dagegen ist eher ein
Widerfahrnis. Er überfällt mich – ein Schwindelanfall, Herzanfall,
Schlaganfall, Schwächeanfall. Der Schriftsteller braucht den
Einfall unbedingt, um zu arbeiten. Nicht unbedingt so der Philosoph.
Er braucht Anfälle, einen gewissen Geistesschwindel,
der ihm etwas, was vorher selbstverständlich war, auf einmal als
fragwürdig, fremd, absurd erscheinen lässt.
Im Alltag bewegen wir uns in den Gräben der Gewohnheit.
Und in diesem Sinn ist er prädestiniert für das Gebiet des
philosophischen Anfalls. Er kann mich nicht nur heimsuchen,
wenn ich über den Tod oder die Nichtexistenz sinniere, sondern
auch, wenn ich meinen Handrücken betrachte, vor dem
Kühlschrank stehe, einer Fliege an der Fensterscheibe zuschaue,
Staubmäuse unter dem Bett hervorwische, von einer Gebirgs-
wanderung einen Stein nach Hause bringe, wenn ich ein Glas
Wein trinke, eine Landschaft zu beschreiben versuche, wenn
ich mich vor Gedanken ekle oder einem Arschloch begegne –
philosophische Anfälle immerzu.
Dass ein solcher Anfall, nämlich jener des Trotzes, der
Essaysammlung den Titel verleiht, ist Absicht. Wie das Staunen
verrät auch der Trotz eine gewisse Renitenz gegen das Selbstverständliche,
Gängige, Hingenommene: Das kann doch nicht sein! Vielleicht sogar
aktiver: Das soll doch nicht sein! Wir üben uns in einer denkerischen
Widerspenstigkeit, die uns womöglich aus einer philosophischen Passivhaltung
zum Handeln drängt. Ich denke, also tue ich etwas. Hier möchte ich ein
Stichwort von Albert Camus übernehmen: Der philosophierende
Mensch ist ein Mensch „ in der Revolte“ .
20 philosophische Anfälle sind in diesem Buch aufgelistet,
eher randomisiert, dem Charakter des Phänomens nachempfunden,
das uns jederzeit und überall packen kann. Die Reihe
liesse sich beliebig fortsetzen. Aber das ist nicht nötig. Zu hoffen
ist vielmehr, dass Leserin und Leser nach der Lektüre selbst
anfallanfällig geworden sind.
Inhalt
Ich trotze, also bin ich
Renitenz des Alters
Mein philosophischer Handrücken
Gedanken über Gedanken über Eiskaffee
Prolegomenon zu einer Philosophie des Arschlochs
Das Tier, das spinnt
Geistiger Ekel .
Ein philosophisches Gespür für Schnee
Hunde und andere Maschinen
Metaphysik der Katze
Die Fliege und der freie Wille
Kant und die Tulpe
Hoch hinaus – Klettern und Denken
Landschaft – unbeschreiblich
Wenn jemand eine Reise tut
Wein und Kritik der geschmacklichen Urteilskraft
Scholastik am Kühlschrank
Sein und Zeit – und Staub
Über das, was es nicht gibt
Wie ist es, tot zu sein?
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