Wir leben in einer Zeit der Heteromobilität, der Fremdbewegtheit.
Selbst wenn wir heute Fussgängerzonen in den Städten einrichten, ein dichtes
Wanderwegnetz durch die Landschaften legen, in unseren Freizeitbeschäftigungen
dem Gehen eine zentrale Stellung einräumen, müssen diese Massnahmen im Kontext
der Heteromobilität gesehen werden, d.h. als das Einrichten von pedestrischen Reservaten
in einer zunehmend nicht-pedestrischen Ökologie. Das
Entspannungs-, Erholungs-, Sammlungs-, Innere-Aufrüstungspotential des Gehens
findet seinen Absatz in Kursen, Seminarien und Ratgebern für unsere vom
Konsumalltag verödeten, ausgereizten Körper. Eine boomende
Ertüchtigungsindustrie vermarktet das Kompensationsbedürfnis nach Eigenbewegung,
vom Aerobic-Kurs, über den Hometrainer, Walking, Jogging und Biking bis zu Bungie-jumping
oder Canyoning. Man bewegt sich nicht, man verschafft sich die Ware Bewegung. Auf
den Bändern der Laufmühlen rennen wir wie von Sinnen, aber dafür womöglich mit
Puls-, Geschwindigkeits-, Aktionssensoren um die Gelenke geschnallt, diesem
„fitten“ Zustand der Angepasstheit nach. Auf der Stelle, wohlgemerkt.
Vielsagend in diesem Zusammenhang erscheint eine historische
Parallele. Die Tretmühle wurde zu Beginn des 19. Jahrhundert in englischen Gefängnissen
eingeführt: ein langes, walzenartiges Laufrad mit Sprossen, auf denen mehrere
Häftlinge nebeneinander eine bestimmte festgesetzte Zeit lang ihre „Runden
drehten“. Obwohl gelegentlich als Motor für Mühlen und Pumpen eingesetzt, war
das Gerät primär zur „Korrektion“ von störrischen oder faulen Insassen gedacht.
Im Klartext: ein subtiles Folter-Werkzeug. Wie der Gefängnisaufseher James
Hardie schrieb, war es „die beständige Monotonie, und nicht die harte Anstrengung,
die ihren Schrecken verbreitet, und oft den halsstarrigsten Geist bricht.“
Wobei er sich zu bemerken beeilte, dass nach übereinstimmender ärztlicher Ansicht
den Häftlingen kein gesundheitlicher Schaden zugefügt würde, im Gegenteil, in disziplinierender
Hinsicht hätte sich die Maschine von beachtenswertem Nutzen erwiesen.
Kehrt die Tretmühle wieder, in Gestalt des Cross-Trainers? Anders
als die Häftlinge auf der Tretmühle des 19. Jahrhunderts, die Leistung an die
Maschine abgaben, konsumiert der
moderne Benutzer des Laufbandes Leistung zwecks Erneuernung und Kräftigung
seiner selbst, zum Aufbau seiner Muskulatur, zur Kompensation seiner eigenen
Immobiltät. Nicht er treibt das Gerät an, sondern das Gerät treibt ihn an –
auch dies ein Beispiel der Heteromobilität. Man halte sich etwa auch die grassierenden Flyer vor Augen. Repetitive Arbeit hat seit Sisyphus
den Anstrich der Strafe. Deshalb war die Monotonie der Tretmühle eine passende
Bestrafung renitenter Häftlinge. Heute nennt man diese Strafe Fitnesstraining. Müsste
einem Zeitreisenden aus dem frühen 19.Jahrhundert, der all die schwitzenden,
rotgesichtigen Menschen auf den Laufbändern der Fitnessstudios erblickte, nicht
unwillkürlich die Frage auf der Zunge liegen, was sie denn verbrochen hätten...