Dienstag, 26. Dezember 2017

Der Wille zum Fake - ein philosophischer Crashkurs








NZZ, 22.12.2017



Lügen kann jeder. Fake dagegen ist eine Kulturtechnik, eine kommunikative Kompetenz. Fake braucht auch ein spezifisches Soziotop – soziale Medien. Wenn es heute zum gängigen Ton gehört, mit dem Finger auf Fakeproduzenten zu zeigen, sollten wir uns dabei bewusst sein, dass Fake die Komplizenschaft von Produzenten und Konsumenten voraussetzt. Wie Kitsch gedeiht Fake prächtig im konspirativen Klima jener, die sich darauf einigen, das Unechte, Unwahre, Vorgetäuschte als Falschwährung im kulturellen Tausch zu pflegen. – Aber halt, ruft man mir jetzt zu, was masst du dir an, von Falschwährung zu reden! Weisst du denn, was die richtige Währung ist? Und unversehens sitzt man im schönsten postmodernen Schlamassel. Es hat eine philosophische Geschichte - jene des Vertrauensschwundes in Instanzen verlässlichen Wissens. Ich beschränke mich hier auf drei Diskreditierungen: des Sachdiskurses, der universellen Standards wie Wahrheit und Objektivität, sowie des Expertentums.  

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Die erste Diskreditierung beruht auf einem einfachen, perfiden Trick, bekannt als „argumentum ad hominem“. Im Englischen spricht man auch von „Bulverism“. Der Ausdruck stammt vom Schriftsteller Clive S. Lewis, genauer von seiner fiktiven Figur Ezekiel Bulver, der hörte, wie seine Mutter die Beweisführung seines Vaters, die Summe zweier Seiten eines Dreiecks sei grösser als die dritte Seite, mit den Worten abschmetterte: Du sagst das nur, weil du ein Mann bist. Eine Diskursverweigerung, letztlich die schwerste intellektuelle Verachtung des Anderen. Man könnte sie als Prinzip der versteckten Verunglimpfung bezeichnen. Nicht das, was man sagt, zählt, sondern, wer es sagt.  Dem Anderen wird unterstellt: Eigentlich denkst du nicht, dein Denken ist bloss Symptom von tiefer liegenden Mächten und Motiven.

Bulverismus ist als politische Taktik in der jüngeren Geschichte notorisch. Die Linke praktizierte ihn in den 1970er Jahren häufig als Ideologiekritik, als Entlarvung des „wahren“ Kerns einer Aussage, nämlich des kapitalistischen Interesses. Rechte konterten, die Linken seien nichts als willfährige Marionetten der Sowjets. Der Mensch als Sprachrohr, des Kapitals bzw. des Kommunismus. So ging das munter hin und her. Heute setzt sich der Bulverismus fort in den Auseinandersetzungen zwischen Populisten und Anti-Populisten. Auf beiden Seiten wird der Andere erst einmal zum diskursunwürdigen Gegenüber erklärt, um ihn dann Verachtung spüren zu lassen: die Hochqualifizierten, die  „Elite“ hier, die Unterqualifizierten, der „Sack von Kläglichen“ dort. Als probate Kommunikationsform fungieren Shitstorming, Bashing, Mobbing. Man diskutiert nicht mit dem Gegner, man „entfreundet“ ihn.

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Das gängige Argument für die Abwertung des Sachlichen führt meist an, dass die „Sache selbst“ im Grunde vekappte Interpretation, Meinung, Theorie sei, also menschlich „kontaminiert“. In der Regel darf der Erz-Desillusionierer Nietzsche als prominente Stütze dienen:„ (Die) Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen.“

Wie kaum ein anderer hat der wohl einflussreichste Philosoph der Postmoderne, Richard Rorty, seine ganze Denkschärfe in den Dienst der Verbreitung dieses Bildes gestellt. Gerne verglich er die epistemologische Frage „Glaubst du an die Wahrheit?“ mit der theologischen Frage „Glaubst du an Gott?“. Und dieser Killervergleich traf genau ins Herz der neuzeitlichen Philosophie, nämlich die Annahme, es gebe einen „Gottesgesichtspunkt“, von dem aus wir die Welt erkennen, „wie sie ist“.

Aber dieser Gesichtspunkt ist illusionär, denn der menschliche Blick erweist sich als immer schon überformt oder getrübt durch Kultur, Gemeinschaft, Tradition. Es gibt kein neutrales Auge. Das klang in den 1980er Jahren wie ein Fanal der Befreiung, hatte sich doch – zumindest in der westlichen Philosophie – die „absolutistische“ Doktrin etabliert, mit den Naturwissenschaften eine beispiellose erkenntnistheoretische Suprematie errungen zu haben. Physik, Mathematik, Chemie, Biologie galten als „neutrales Auge“, das allein versteht, im Buch der Natur zu lesen. Dieses Bild war zur Zeit Galileis ein geschickter rhetorischer Schachzug zur Durchsetzung der neuen Naturphilosophie. Heute ist es reine Ideologie.

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Die Postmoderne bekämpfte sie erfolgreich. Aber die Bekämpfung pervertierte selbst wieder zur Ideologie, zur Ideologie des „Anything goes“. Sie lockt Bullshitter jeglicher Trübung aus ihren Nischen. Genau hier entfaltet die postmoderne Nivellierung ihre wohl gefährlichste Konsequenz: in der Tendenz zum zeitgeistigen Tribalisieren des Wissens und damit zum Diskreditieren des wissenschaftlichen Expertentums. Fake Science schiesst ins Kraut. Es gibt Tausende von einschlägigen Zeitschriften. Jeder kann sich jetzt als Experte ausgeben. Der Flacherdler, der aus seinem intellektuellen Krähwinkel die Kugelgestalt der Erde leugnet, stellt seine Theorie als „Alternative“ zur Physik auf. Und so gehört es zu einer heutigen (Un-)Sitte, jeden Hafenkäse als „Alternative“ zur „Orthodoxie“ anzupreisen, von Astrologie über Dianetik bis zur Quantenheilung.

Viele dieser „Alternativen“ lassen sich schnell als Unsinn entlarven, aber darum geht es nicht. Der Punkt ist, dass sie sich quasi „im gleichen Spiel“ wähnen, weil ein oberster Schiedsrichter fehlt. Das ist besonders zu einer Zeit potenziell fatal, da unsere hochtechnisierten, mit hyperkomplexen Systemen durchsetzten Gesellschaften dringender denn je objektive Ergebisse und Erkenntnisse aus den Wissenschaften benötigen. Wenn der Satz „There is no alternative“ irgendwo seine Gültigkeit hat, dann hier.

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Eigentlich steht der Ursprung der neuzeitlichen Philosophie unter dem Vorzeichen des Fakes. René Descartes’ „Meditationen“ sind ein Zeugnis dafür. In zeitgenössischer Sprache könnte man sie in einem Satz verdichten: Alles ist Fake News. Wie Descartes schreibt: „Alles nämlich, was ich bisher am ehesten für wahr gehalten habe, verdanke ich den Sinnen oder der Vermittlung der Sinne. Nun aber bin ich dahintergekommen, dass diese uns bisweilen täuschen, und es ist ein Gebot der Klugheit, denen niemals ganz zu trauen, die uns auch nur einmal getäuscht haben.“ Man ersetze „Sinne“ durch „Medien“ und man hat eine perfekte Beschreibung der aktuellen Lage vor sich.

Descartes nahm bekanntlich Gott als Garanten der Wahrheit in Anspruch. Dieser entzündet im Menschen das „natürliche Licht“ der Vernunft, das Instrument absoluter Erkenntnis. Aber Gott – die Wahrheit - hat einen Konkurrenten, den „bösen Geist“ – man könnte sagen: den Obersten Bullshitter - , der immer darauf aus ist, uns mit Fake einzudecken: „So will ich denn annehmen, dass nicht der allgütige Gott die Quelle der Wahrheit, sondern irgendein böser Geist, der zugleich allmächtig und verschlagen ist, habe allen seinen Fleiss daran gewandt, mich zu täuschen; ich will glauben, Himmel, Luft, Erde, Farben, Gestalten, Töne (..) seien nichts als das täuschende Spiel von Träumen, durch die er meiner Leichtgläubigkeit Fallen stellt.“

Ich gehe nicht so weit, den bösen Geist Descartes’ in den neuen Medien zu lokalisieren. Aber die neuen Technologien können uns heute wie ein allmächtiger, verschlagener Geist in elektronischen Träumen wiegen. Was bei Descartes noch Meditation war, ist heute nahezu Realität. Man gibt jedoch mit der Idee der absoluten Wahrheit nicht die Idee auf, dass ein Unterschied existiert zwischen dem, was ist, und dem, was man sich zusammenphantasiert. Ist „der menschliche Geist einmal im Auffinden der Wahrheit verzweifelt,“ schreibt Descartes’ Zeitgenosse Francis Bacon, „ so wird er in allem schwächlich und man wendet sich dann lieber unterhaltsamen Disputen zu.“ Die Gegnerin des Fakes ist nicht die Wahrheit, sondern die Wachheit – deutlicher: die kämpferische Solidarität aller Wachgebliebenen.  




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