NZZ, 18.4.2020
Die Natur
straft nicht
Von einem neuerdings
erhobenen moralischen Ton im Krankheitsdiskurs
Die Rede von der „Strafe“ oder „Rache“ der Natur ist religiösen
Ursprungs. Der Zorn Gottes ergiesst sich in Naturkatastrophen über den
Menschen, das weiss schon das Alte Testament. Aber auch heute, in einem
anscheinend säkularen Zeitalter, greifen wir gelegentlich zu dieser Wendung.
Gerade in Krisensituationen wie einer Pandemie. So äusserte sich der
Wissenschaftsjournalist David Quammen neulich in der New York Times (28.1.2020):
„Wir dringen in tropische Wälder und andere wilde Landschaften ein, die so
viele Pflanzen- und Tierarten beherbergen – und in ihnen so viele unbekannte
Viren. Wir fällen Bäume, töten die Tiere oder sperren sie ein und schicken sie
auf den Markt. Wir zerstören Ökosysteme und wir schütteln Viren von natürlichen
Wirten. Wenn das geschieht, brauchen sie einen neuen Wirt. Oft ist das der
Mensch.“
Dem
ist als deskriptivem Befund nichts entgegenzuhalten. Hingegen vernimmt man unterschwellig
noch eine andere Botschaft: Unberührte Ökosysteme sind „von Natur“ aus „gut“ ,
sie sind im Gleichgewicht, harmonisch und selbstregulierend. Probleme entstehen
genau dann, wenn der „schlechte“ Mensch eindringt. Dann schlägt die Natur zurück und zahlt es ihm
heim für seine Ausbeuterei, seinen Mobilitäts- und Expansionsdrang, seinen Globalisierungswahn.
Das
sind vertraute Töne aus Kreisen der „Deep Ecology“. Aber das Virus scheint nun
auch Kritiker einer „Vermutterung“ der Erde umgestimmt zu haben, wie etwa
Slavoj Žizek: „Wenn die Natur uns mit Viren attackiert, sendet sie
gewissermassen unsere Botschaft an sie zurück. Sie lautet: Was du mir antust,
tue ich nun dir an.“
***
Kurz: Hier bringt man den normativen, zivilisationskritischen
Begriff der Natur oder Natürlichkeit in Stellung. Man fingiert, wie seinerzeit
Rousseau, einen „unverdorbenen“ Urzustand, den man als Massstab ökologischer
Sittlichkeit allen nachfolgenden „unnatürlichen“ Zuständen anlegt. Typisch etwa
die Äusserung des Krankheitsökologen Kevin Olival von EcoHealth Alliance über
Wildtiermärkte in China: „Wenn man Tiere in diesen unnatürlichen Situationen zusammenbringt,
riskiert man das Auftauchen menschlicher Krankheiten.“
Gewiss, auf chinesischen Märkten – wie auf auf anderen
Märkten auch – mögen „unnatürliche“ Missstände herrschen, aber der ganze
Natürlichkeitsdiskurs manifestiert sozusagen einen konzeptuellen Missstand. Natürlichkeit
ist eine leere und deshalb umso mächtigere Chiffre, die wir nach unserem
Belieben und Gutdünken lesen und verwenden können. Mit der Behauptung, etwas
sei natürlich oder unnatürlich, gibt man Erklärungs-Forfait. Und indem man über
Krankheit als Resultat „unnatürlicher“ Aktivitäten oder Situationen spricht,
erleichtert man die Projektion von ideologischen Ursachen. Selbstverständlich kann
und soll man zum Beispiel „wet markets“ kritisieren, wenn die Forschung sie als
gefährliche Virenherde nachweist; dies aber nicht im Zeichen ihrer
„Unnatürlichkeit“. Impfen ist, wenn man so will, unnatürlich, aber nur wenige
Menschen lehnen die prophylaktische Massnahme deswegen ab. Impfgegner weigern
sich aus anderen Gründen, etwa weil sie glauben, Impfen sei mit weiteren
Krankheiten verknüpft.
***
Im Kern der Problematik steckt die Vermischung von Kausalität
und Moral. Das heisst, leicht verkehrt sich die Frage „Was ist die Ursache?“ in
die Frage „Wer ist schuld?“ So klingt denn auch der Titel des oben zitierten
Artikels von Quammen „Wir schufen die Coronavirus-Epidemie“.
Eine solche Selbstbeschuldigung hat ihre latente Tücke, vor
allem, wen man fragt: Wer sind „wir“? Und genau dann kann die Lage garstig
werden. Einigermassen nüchtern und objektiv lässt sich feststellen, dass das
Coronavirus seiner ökologischen Nische in Wuhan entfloh. Nun mischt sich aber
sehr schnell ein weiterer Gedanke in die Feststellung: Haben denn die Chinesen nicht diese seltsamen „unnatürlichen“
Esssitten? Sie verzehren Ratten, Fledermäuse, Gürteltiere, oft halb roh, wahre
Brutstätten von Viren. Esssitten können leicht einem moralischen Urteil anheimfallen – „abstossend“, „eklig“, „pervers“ - , und
ebenso leicht springt dann der Schluss über auf die Identiät des Essers. Was
der Jude im Mittelalter war, ist jetzt der Chinese in der Postmoderne.
***
Schuldzuschreibung
im Namen der Natur betreiben auch alternative Gesundheitstheoretiker,
Naturmediziner, Wellnessgurus. Oft erfolgt dies im Gestus eines
Partisanenkampfs der „natürlichen“ Methoden gegen die „unnatürlichen“ Mittel
der mächtigen Pharmariesen und Gesundheitstechnologen. Schnell gerät man in den
Konspirationssumpf. Der Alternativmediziner Joseph Mercola verbreitet auf
seiner populären Website das Gerücht, die Gates-Stiftung hätte mit ihrer
Pandemie-Simulation „Event 201“ im Oktober 2019 „die Bevölkerung in einem
Zustand der Angst vor Mikroben halten wollen, damit Pharmaunternehmen mit einem
weiteren teuren (..) Mittel oder Impfstoff zu Hilfe eilen können.“ Mit dieser
Rattenfängerlogik hält man die Leute allerdings auch im Zustand der Leichtgläubigkeit
in Scharlatanerie.
Explizit ethisch argumentiert die Tierrechtsorganisation
PETA („People for Ethical Treatment of Animals“). Für sie ist der Fleischkonsum
der ultimative Grund für die Coronakrise. Auch hier mischt die
„Unnatürlichkeit“ der Diät mit. Ein Tweet von PETA wagt sich an ein Wortspiel:
„ ,coronavirus’ ist ein Anagramm von ‚carnivorous’: fleischfressend – kann das
ein Zufall sein? Wir glauben nicht! Wissenschafter vermuten, dass der Kontakt
mit lebenden Tieren oder deren totem Fleisch die Ursache des tödlichen Virus’
sein könnte.“ Die Organisation investiert auf ihrer Website beträchtliche Mühe
in den Beleg der Behauptung, Fleischverzehr sei unnatürlich, sprich
„unmoralisch“.
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Ist der Mensch „von Natur aus“ ein karnivores oder
herbivores Tier? Die Frage lässt sich durchaus als Hypothese diskutieren. Man
kann auch einen kausalen Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und
Virenübertragung postulieren. Daraus leiten sich vielleicht gesundheitspolitische
Massnahmen ab, aber keine moralischen Gebote. Ohnehin hüte man sich, bei
viralen Krankheiten – bei den meisten Krankheiten - monokausale Geschichten zu erzählen, oder solchen
zu glauben. Wir alle neigen zu simplen binären Erklärungsmustern wie dem Gegensatzpaar
Natürlich-Unnatürlich. Und dieses Paar ist immer moralisch aufgeladen:
gut-schlecht. So drohte jahrhundertelang die Kirche: Gehorche den Gesetzen
Gottes in der Natur, und du wirst gedeihen; widersetze dich ihnen, und du wirst
leiden.
Solche
Töne hört man wieder vermehrt, etwa vom amerikanischen Endzeitpropheten Rick Wiles:
„Seuchen sind einer der letzten Schritte des göttlichen Gerichts.“ Und sie träfen
sowohl die „gottlosen chinesischen Kommunisten“ wie das „gemeine, widerliche“
Amerika, das in Vergewaltigung, Immoralität und dem Dreck von Film und Fernsehen
versinke. In der Schweiz versprühte der Churer Weihbischof Marian Eleganti ähnlichen
Ungeist in einem Video. Er vertraut dem Schutz Gottes, und in der Coronakrise
erblickt er ein Symptom der Gottverlassenheit. Er könne „in seinem Herzen“
nicht nachvollziehen, dass die räumliche Enge bei der Kommunion einen Superspreader
darstellt. Aber mit Verlaub: die Lage gilt es nicht so sehr im Herzen, als im
Kopf verstehen zu lernen. Wer das Virus als Zeichen der Gottlosigkeit deutet
und das Gebet als Schutz vor Viren empfiehlt, verhöhnt nicht nur die
Wissenschaft, sondern zieht ein vormodernes Denkregister. Ein solches Denken
ist umso alarmierender, als es sich mit der Aura klerikaler „Autorität“ schmückt.
Was einst göttlich war, ist jetzt menschlich,
allzumenschlich. Besonders das Moralisieren. Und das neue Coronavirus ist wie
geschaffen dafür. Aber hüten wir uns vor einem Rückfall ins Zeitalter der
Naturstrafe. Lassen wir den biomedizinischen Sachverstand nicht durch Moralviren
infizieren. Krankheit ist auch ein Spiegel: Schaut man lange genug hinein,
starren einem immer deutlicher die selbstgezüchteten
ideologischen Gespenster im Kopf entgegen.
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