Montag, 17. Februar 2020









NZZ, 13.2.2020


Die verschlüsselte Gesellschaft und ihre Freunde

Der Mathematiker Charles Seife arbeitete von 1992 bis 1993 als Student bei der National Security Agency (NSA). Im August 2013 publizierte er online einen „Offenen Brief an seine ehemaligen NSA-Kollegen“. Er brachte darin das spezifische „Krypto“- Klima im Innern der Agency zur Sprache, seine verführerische Wirkung auf einen jungen Wissenschafter: „Die Mathematiker und Kryptoanalytiker, die ich bei der NSA traf, (..) schienen sich aus zwei Gründen zur Agency hingezogen zu fühlen. Erstens war Mathematik sexy (..) Bestimmte Probleme verströmen nun mal ein gewisses Etwas – das Gefühl, an etwas besonders Wichtigem mitzuarbeiten; und die Lösung in Griffweite zu wissen.(..) Zweitens motivierte uns – so dachten wir jedenfalls – die idealistische Vision, für unser Land etwas tun zu können. (..) Und wenn man erst einmal im Innern der Agency war, entdeckte man eine Vielzahl von Wegen, der nationalen Sicherheit zu dienen. Sogar als Neuling fühlte ich die Chance, in kleinem Masse etwas zu bewegen.“

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Seifes Brief lässt gerade deshalb aufhorchen, weil er von jemandem stammt, dessen Arbeit die Basis nachrichtendienstlicher Aktivitäten darstellt. Die amerikanische Mathematikerin Cathy O’Neil berichtet in ihrem Blog „mathbabe“, dass Mitarbeiter der NSA in Schulen Ausschau nach vielversprechenden Talenten halten würden, um diese dann für spezielle Sommerkurse der „spooks“ – der Spione/Gespenster – zu rekrutieren. Höchst aufschlussreich ist dabei das Verfahren, mit dem man diese Mathe-Rekruten ködert: „Zuerst wird ein aktuelles Problem ausgewählt, dann wird zweitens daraus die Mathematik extrahiert, und drittens wird es schliesslich so gereinigt, dass niemand mehr wissen kann, was das ursprüngliche Problem eigentlich war.“  - Nun, genau so stellt man sich normalerweise die Arbeit des Mathematikers vor: „gereinigt“ von allen weltlichen und banalen – zwischenmenschlichen, politischen, ethischen -  Kontaminationen. Böser: reines Fachidiotentum im Reich des Abstrakten.

Längst aber ist die Mathematik in geheimdienstliche Machenschaften verstrickt. In der Codierung von Informationen spielt sie buchstäblich eine Schlüsselrolle, von der heute das Wohlergehen der Welt wahrscheinlich stärker abhängt als einem lieb ist. Dass Mathematik zu einer Waffe werden kann, offenbarte sich schon im 2. Weltkrieg, zu dessen Verkürzung Code knackende Genies wie Alan Turing entscheidend beitrugen. Das war die Geburtsstunde der modernen Kryptoanalyse. Und die Ironie ist nicht zu übersehen: Wenn Verschlüsselungsprobleme ein typisches Charakteristikum des Kriegs waren, leben wir dann heute – gemessen an der Bedeutung der Verschlüsselung - nicht auch in kriegsmässigen Zuständen? Auf jeden Fall in einer Zeit, da ein Code womöglich die gleichen – wenn nicht sogar grössere - Verheerungen anrichten kann wie eine Atombombe.

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Seien wir uns dessen bewusst: Das Nervensystem unseres telekommunikativen Lebens ist zutiefst mathematischer Natur. Denken wir an Vernetzung, Information und deren Verschlüsselung, Automatisierung unserer Tätigkeiten, um die wichtigsten Elemente zu nennen. Ein Grossteil des Verkehrs im Internet beruht auf einem Verschlüsselungs-Verfahren, das drei Mathematiker 1977 entwickelten: dem RSA-Algorithmus, benannt nach seinen Erfindern Ronald Rivest, Adi Shamir und Leo Adleman. Eine ausgesuchte mathematische Tüftelei, die eine zeitaufwendige Aufgabe, selbst für Computer, darstellt. Deshalb gilt die RSA-Verschlüsselung als sehr sicher.

Was nicht bedeutet, dass sie nicht knackbar wäre. Ein Code ist „sexy“ in dem Masse, in dem er sich in die Aura der Unknackbarkeit hüllt. Zumal den Geheimdienst kann so etwas nicht gleichgültig lassen, deshalb setzt er „seine“ Mathematiker auf das Problem an. Ein Schnüffler-Hirn kann verschiedene Wege zum Geheimnis aushecken. Zum Beispiel die Infiltration. 1982 gründeten Rivest, Shamir und Adleman – ganz im Geiste des neoliberalen Forscher-Unternehmertums – die Sicherheitsfirma RSA Security. Dank Snowden wissen wir, dass die NSA und RSA Security vereinbarten, deren Zufallszahlen-Generator für den Geheimdienst entzifferbar zu machen. Auf ähnliche Weise nimmt die NSA Firmen und Behörden in die Pflicht, sogenannte „Hintertüren“ in ihre Produkte einzubauen, durch welche die Abhörer in die geheimen Gewirke gelangen können. Vor noch nicht allzu langer Zeit wurde die „Kooperationswilligkeit“ des Kommunikationsriesen AT&T bekannt. Es ist, wie wenn ein fremdes Nervennetz stetig seine Dendriten in mein Gehirn einspeiste und allmählich zu meinem eigenen würde. Solche Machenschaften als „Orwellsch“ zu bezeichnen, wäre schiere Untertreibung.

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Ein anderer Weg ist natürlich „mehr Forschung“. Von grosser Bedeutung erweisen sich leistungsstarke Algorithmen, welche die Zeit des Codeknackens erheblich verkürzen. Speziell grosse Hoffnung wird in Quanten-Algorithmen gesetzt, Verfahren, die auf der Manipulation von spezifischen, sogenannt verschränkten Zuständen von Atomverbänden beruhen. Damit überschreitet man die Schwelle zu einer völlig neuartigen, nicht-digitalen Datenverarbeitung. Dass die NSA grösstes Interesse daran hat, ist evident. So forscht sie einerseits in ihren eigenen Top-Secret-Abteilungen; andererseits sucht sie quasi nach Affiliationen, nach „Pentagon-Töchtern“, an Universitäten. Google unterhält ein Forschungslabor über Quantencomputing, an dem sich auch die NASA beteiligt. Der militärisch-industrielle Kryptokomplex formiert sich unaufhaltsam.

Wenn sich aber Kryptoanalyse stetig verbessert, kann dann eine immer verschlüsseltere Gesellschaft überhaupt noch offen sein? Wir verschränken uns zunehmend mit automatischen Systemen. Und ihre wachsenden Leistungsfähigkeit verstrickt uns in ein beunruhigendes Dilemma: Einerseits sollen effizientere Verschlüsselungstechniken die Sicherheit und Privatheit unserer Kommunikationskanäle garantieren – andererseits ist der Staat dadurch umso mehr auf entsprechend effiziente Entschlüsselungstechniken angewiesen, die notfalls das Eindringen in diese Kanäle gestatten. Höchst aufschlussreich erscheint mir die Anekdote, die der Quantenphysiker Seth Lloyd erzählte. Er wollte Larry Page und Sergey Brin von Google das Projekt einer Quanten-Suchmaschine – „Quoogle“ - schmackhaft machen. Sie sei absolut unknackbar. Page und Brin lehnten ab: „Wir können nicht in eine Technologie investieren, die uns daran hindert, alles über jeden zu wissen. Das ist gegen unser Geschäftsmodell.“

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Ist das nun Zynismus oder grenzenlose Naivität? Jedenfalls zeigt sich die Ideologie des Internetgiganten nirgends „unverschlüsselter“ als in diesem Zitat. Hinter dem Geschäftsgeheimnis machen die grossen Internetfirmen ihre Geschäfte mit dem Geheimnis. Wahrscheinlich bezog sich der Algebraiker Tom Leinster von der Universität Edinburgh darauf, als er in der Aprilausgabe 2014 des „New Scientist“ unter dem Titel „Ethical Calculus“ seine Kollegen aufrief, wachsamer zu werden und nicht mehr als Kopflanger dubioser Projekte zu arbeiten. Pointiert könnte man sagen: Es gibt kein „reines“ mathematisches Wissen, das nicht irgendwann von irgendjemandem zu irgendwelchen „unreinen“ Zwecken benutzt werden könnte. Das Rhizom der Schnüffler breitet sich aus, weltweit.

Worauf wir uns in einer verschlüsselten Gesellschaft zubewegen, ist offen. Zumindest dürfte eines klar sein: Wir müssen die Feinde der offenen Gesellschaft nicht bloss bei den Terroristen, Geheimdiensten, den dubios agierenden Internetriesen oder Finanzinstituten orten, sondern auch in uns: das heisst in unserer Trägheit und Sorglosigkeit gegenüber einer ausser Rand und Band geratenen digitalisierten Lebensform, in deren Adern exklusive – will sagen: geheime - Informationen fliessen. Früher hiess es: Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will. Es geht heute nicht um Räder, auch nicht um starke Arme, wohl aber um eine „starke“ menschliche Intelligenz, die erkennt, worauf sie sich einlässt, wenn sie der künstlichen Intelligenz nicht Einhalt gebietet.



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