NZZ, 6.11.2018
Facebook, kurz mit
Nietzsche angeschaut
Der
Herden-Instinkt greift um sich. Massen in Fussballstadien, Massen an Raves und
Festivals, Massen an religiösen Veranstaltungen, Touristenmassen. Neu hinzu
kommen Massen in den Social Media. Im Jahre 2015 beglückwünschte sich Facebook,
das erste soziale Netzwerk mit einer Milliarde Nutzer pro Tag zu sein. Eine
Schwellendimension, welche das Unternehmen in die Liga der Weltreligionen hebt:
2.2 Milliarden Christen, 1.6 Milliarden Muslime, 1 Milliarde Hindus. Facebook
ist nicht nur vom Einfluss, sondern auch von der Zielsetzung her gesehen eine
Art Religion. Mark Zuckerberg spricht von der „Community“. Diese Community hat
eine Mission: Jedem eine Stimme geben, das gegenseitige Verständnis fördern,
Teilnahme aller an den Segnungen moderner Technologie. Facebook ist zumindest
eine Religion im alten Sinne des Wortes „religio“, des Zusammenkommens durch
Rückbindung an Gott. Nur kennt Facebook keinen Gott. Oder vielmehr: Der Gott ist die Technologie
und die Religion bedeutet jetzt Vernetzen durch technische Mittel.
Dem
Pfiffikus Zuckerberg ist nicht entgangen, dass viele Menschen heute nicht mehr
Zuflucht in traditionellen religiösen Gemeinschaften finden und suchen. Deshalb
sieht er in der Community einen, nein, „den“ Ersatz. Facebook nutzen ist wie in
die Kirche gehen. Und Zuckerberg scheint der Rolle des Priesters nicht
abgeneigt zu sein. Das verraten allein schon die regelmässigen Kommuniqués, die
er fast hochamtlich verbreitet: „Leute, die in die Kirche gehen, sind auch eher
zu Ehrenämtern bereit – nicht einfach, weil sie religiös sind, sondern Teil
einer Gemeinschaft. Eine Kirche ist nicht bloss ein Treffen. Sie hat einen
Pfarrer, der für das Wohlergehen der Gemeinde sorgt (..) Führer definieren
Kultur, inspirieren uns, geben uns ein Sicherheitsnetz und passen auf uns auf.“
***
Die
ganze Phraseologie, die Zuckerberg hier mobilisiert, könnte aufschlussreicher
und heuchlerischer nicht sein: Ehrenamt, Teil der Gemeinschaft, Pfarrer,
Wohlergehen, Führer, Sicherheit. Aufschlussreich, weil sie den Herden-Instinkt
in uns anspricht; heuchlerisch, weil sie diesen Herden-Instinkt ausbeutet. Und
hier finden wir uns unversehens an einen Philosophen erinnert, der genau dies
schon vor über 130 Jahren mit seltenem Scharfblick entlarvte: Friedrich Nietzsche.
Nietzsche hatte eine besondere „Herde“ im Auge: das
Christentum. Er sah in dieser Herdenbildung die Abwehr einer nihilistischen
Heimsuchung - des deprimierenden Gefühls, niemand, nichts zu sein. Daraus
resultiert die christliche Moral. In der Streitschrift „Zur Genealogie der Moral“
(1887) schreibt Nietzsche, der Herdeneintritt wecke ein „Gemeinde-Machtgefühl,
demzufolge der Verdruss des Einzelnen an sich durch seine Lust am Gedeihen der
Gemeinde übertäubt wird (..) Im Wachsen der Gemeinde erstarkt auch für den
Einzelnen ein neues Interesse, das ihn oft genug über das Persönlichste seines
Missmuths, seine Abneigung gegen sich (..) hinweghebt (..) Wo es Herden gibt,
ist es der Schwäche-Instinkt, der die Herde gewollt hat.“
***
Einen solchen „Schwäche-Instinkt“ kann man heute profaner anhand
verbreiteter Symptome ausmachen, etwa der Ohnmacht des Bürgers vor der
Unberechenbarkeit politischer Entwicklungen, des Gefühls, den Kräften der wirtschaftlichen
Globalisierung ausgeliefert zu sein, der Erosion des Gemeinschaftlichen. In den
USA stellt man schon seit einiger Zeit eine Tendenz zur Vereinzelung fest,
geradezu emblematisch eingefangen im Buchtitel des Soziologen Robert Putnam
„Bowling Alone“ (2001).
Diese
Ambivalenz der Schwäche-Stärke ist typisch für die Herde. Sich ihr anzuschliessen
– einem „Volk“, einer Religionsgemeinschaft, einem Fanclub, einem Raverpulk,
einer Online-Clique – kann sowohl als eine Form von Flucht als auch eine Form
von Erhöhung interpretiert werden; als Flucht in die kollektive Erhöhung
sozusagen. Im „Wir“ bin ich stark, sicher, „erhaben“, finde ich Trost und Lust.
Um den Preis des Selbstverlusts.
Denn
es macht sich eine andere – gefährlichere - Ambivalenz bemerkbar. In der Herde
wird es zunehmend schwieriger, zwischen den Motiven des Individuums und den „Motiven“
des Kollektivs zu unterscheiden. Ich-Identität und Kollektiv-Identität verwickeln
sich unentwirrbar. Nietzsche war sich dieser Ambivalenz bewusst: „Mit der Moral
wird der Einzelne angeleitet, Funktion der Herde zu sein und nur als Funktion
sich Wert zuzuschreiben (..) Moralität ist Herden-Instinkt im Einzelnen.“ Damit
aber nicht genug. Dieser Herden-Instinkt im Einzelnen muss zielführend
gebändigt werden. Es braucht deshalb die „Priester“ der Herde, die den Instinkt
erraten und fördern. „Der Schwäche-Instinkt, der die Herde gewollt hat“, wird
von „der Priester-Klugheit (organisiert).“
***
Womit wir wiederum bei Facebook gelandet sind. Die
„Klugheit“ der Facebook-Priester dient dazu, den Nutzer möglichst lange auf
Facebook – in der Herde - zu behalten. In den Worten des Oberpriesters: „Wir
wollen einer Milliarde Menschen helfen, sich sinnvollen Gemeinschaften anzuschliessen.
Das wird das soziale Gewebe stärken, die Welt enger zusammenschliessen.“
„Menschen sind im Grunde gut. Jeder will eigentlich jedem helfen. Wir werden
deshalb ein paar Tools auf den Markt bringen, die es leichter machen,
Communities zu bilden.“
Trotz des puerilen philantropischen Gesalbes muss man in
Erinnerung behalten, dass Facebook ein knallhartes Technounternehmen ist. Und hier
kommt eine dritte Ambivalenz – die gefährlichste, weil scheinheiligste – zum
Vorschein. Das Facebook-Schaf ist nämlich vor allem eines: Datenscheisser. Und
die Facebook-Hirten wollen vor allem eines: das Geschäft mit der Scheisse, mit
dem „Content“. Facebook ist eine Content-Fabrik. Das Selfie ist Content, die Feriengrüsse,
Storys, News und Entertainment sind Content, Clicks sind Content, unser ganzer
sozialer Austausch wird Content. Content ist der Rohstoff der kommerziellen und
politischen Werber, des grössten Kundenkreises von Facebook. Und die Tools, die
Facebook baut, dienen einem einzigen Zweck: der möglichst präzisen Prognostik und
„Führung“ des Nutzer-Schafs. Auf der Homepage des Herdenaufsehers Cambridge
Analytica prangt: „Daten treiben alles an, was Sie tun. Cambridge Analytica
verwendet Daten, um das Verhalten der Zielgruppe zu verändern. Besuchen Sie
unsere kommerziellen und politischen Abteilungen, um zu sehen, wie wir Ihnen
helfen können.“
***
Durch
die Vernetzung wird der Gott der Technologie omnipräsent, omnipotent. Ein Leben
ohne ihn erscheint immer undenkbarer. Auch hier ist eine Ambivalenz der
Herden-Existenz zu erkennen. Selbst bei ausgeschalteten Geräten bleiben wir
Menschen „eingeschaltet“. Wir sind nach wie vor auf ihren Gebrauch abgerichtet.
Die Geräte bleiben uns in ihrer klebrigen Disponibilität intus. Es gibt
eigentlich nicht das „Ich“ und die „Technologie“, es gibt ein „Techno-Ich“. Es
macht uns zu technologiefrommen Schafen. Mit Nietzsche liesse sich sagen, dass
wir „Etwas für den Menschen annähernd zu erreichen (versuchen), was der
Winterschlaf für einige Thierarten, der Sommerschlaf für viele Pflanzen der
heissen Klimaten ist, ein Minimum von Stoffverbrauch und Stoffwechsel, bei dem
das Leben gerade noch besteht, ohne eigentlich noch in's Bewusstsein zu treten.
Auf dieses Ziel ist eine erstaunliche Menge menschlicher Energie verwandt
worden – umsonst etwa?...“
Es geht nicht darum, ein „böses“ Facebook durch ein „gutes“
zu ersetzen. Facebook bleibt Facebook. Die Steigerungsform von Zuckerberg
lautet: Herrschaft! Herrschaft!! Herrschaft!!! - Ein erster Schritt läge
vielmehr darin, das expandierende kollektive Unbewusste, das sich im Gebrauch
der Geräte formiert, auf das Niveau der Einsicht zu heben, dass Technologie heute
weniger unseren Bedürfnissen, als wir den Bedürfnissen der Technologie dienen. Geben
wir Nietzsches Zarathustra zum Abschluss das Wort: „Kein Hirt und Eine Heerde!
Jeder will das Gleiche. Jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig
in’s Irrenhaus.“
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