Ekeln tun wir uns alle, und zwar vor vielem. Vor Auswurf,
Blut, Würmern, Käfern, altem Camembert, fauligem Fisch, langen Bärten,
ungewaschenen Unterhosen; es gibt Menschen, die sich vor den eigenen Füssen
ekeln, vor Holzstielen, Knöpfen, Löchern oder vor der Schreibmaschine (Max
Frisch). Die Psychologen Paul Rozin und Jonathan Haidt weisen in
ihren kulturvergleichenden Studien über den Ekel auf die vorsprachlich erworbenen
Muster, auf die „verkörperten Schemata“ (embodied
schemata) hin, mit denen wir uns gegen moralisch Verwerfliches wenden. Das
Ekelgefühl beginnt in der Regel bei Physischem – Essen oder Tieren - und weitet sich aus auf das Soziale und
Moralische – auf Haltungen und Verhalten. Obwohl sie stark kulturell überformt
sind, weist das universelle Vorkommen solcher Reaktionen auf eine gemeinsame
menschliche Wurzel hin.
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Gibt es geistigen
Ekel? Können Gedanken widerlich sein? Kein Geringerer als
Immanuel Kant lässt sich hier zurate ziehen. Ihm zufolge kann man
nicht nur Materielles, sondern auch Immaterielles, also Gedanken, geniessen.
Wenn es aber Gedankengenuss gibt, dann auch Gedankenekel. Kant schreibt, „dass
es auch einen Geistesgenuss giebt, der in der Mitteilung der Gedanken besteht,
das Gemüth aber diesen, wenn er uns aufgedrungen wird und doch als
Geistes-Nahrung für uns nicht gedeihlich ist, widerlich findet (...), so wird
der Instinct der Natur, seiner los zu werden, der Analogie wegen gleichfalls
Ekel genannt, obgleich er zum inneren Sinn gehört.“
Das
charakterisiert geistigen Ekel recht treffend, und erweist sich als höchst aktuell
obendrein. Man halte sich nur für einen Moment vor Augen, mit welch einem Unflat
an Informationen uns die traditionellen und neuen Medien täglich zudecken.
Ohnehin herrscht in manchen Feuchtbiotopen der Social Media eine
Latrinensprache vor. Da wird „angekotzt“, „angerotzt“, „angeschissen“,
„angepisst“. Muss man hier nicht eine innere Abwehr mobilisieren, die dem Ekel
ähnelt?
Philosophie-
und Literaturgeschichte kennen den geistigen Ekel durchaus, etwa Nietzsches
Ekel vor dem lebensverneinenden Christentum, Heideggers Abscheu vor dem
uneigentlichen Leben im „Man“, Sartres Ekel vor der Absurdität der blossen
Existenz, Kafkas Ekel vor sich selbst, neuerdings Houellebecqs kokett-versifften
oder Strauss’ elegisch-preziösen Postmodernitätsekel. Immer noch am erhellendsten
ist aber eine Arbeit des fast völlig in Vergessenheit geratenen Philosophen
Aurel Kolnai, mit dem Titel „Ekel, Hochmut, Hass“ (1927). Sie stellt eine
Typologie des Ekels auf, aus der ich kurz drei Beispiele nennen möchte.
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Erstens
der Überdrussekel. Das „Unlustgefühl, das durch eine lästige Gleichförmigkeit
erweckt wird, (kann) ekelähnliche Färbung annehmen (..) Der Überdruss im
engeren Sinne tritt nur ein, wenn jenes immerwährende Erlebnis ursprünglich
(..) lustbetont war. Nicht so sehr der Gegenstand als die Lust an ihm selbst
wird ekelhaft.“ Zum Beispiel der übermässige Genuss von Schokolade. Wie Kolnai
konstatiert: „Gastronomisch ekelhaft können vor allem (..) Süssigkeiten (..)
werden, da gerade Süss den Grundton eines sozusagen widerspruchslosen,
ungebrochenen, grenzen- und gestaltlosen, ‚faden’ Wohlgeschmacks bilden.“
Kennen
wir diesen „faden Wohlgeschmack“ nicht zur Genüge vom klebrigen Schoko-Guss her,
mit dem Politiker und andere öffentliche Figuren oft ihre Statements vor
Mikrophon und Kamera überziehen? Die adäquateste Reaktion darauf wäre oft: Bäh!
- Oder denken wir an die Verheissungen technisch hergestellter Paradiese. Mark
Zuckerberg zum Beispiel wird in seinen puerilen Prophetien nicht müde, die „Global
Community“ von Facebook in den brechreizendsten Tönen zu beschwören. Dabei mischt
sich in diese aufdringliche Übersüssung ein unangenehmer, ein ekliger Nebengeschmack,
wenn man sich die tribalisierenden Tendenzen von gleichgesinnten Followers vor
Augen hält, die im Gedankensud ihrer eigenen Weltanschauung köcheln und ihren übelriechenden
Filterblasen kaum noch entfliehen.
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Zweitens
der Ekel vor Schwulst. Schon die Etymologie des Wortes suggeriert das
Schwellen, Quellen, Blähen, Ballen, also: die geistige Flatulenz, die nicht
selten streng riecht. Kolnai nennt sie „Geistigkeit am falschen Orte“. Das
erinnert natürlich sofort an den Schmutz: Materie am falschen Ort. Und die
Parallele von Schwulst und Schmutz lässt auch das Ekeln plausibel erscheinen,
die Reaktion gegen einen „ungerichteten ‚Gedankenreichtum’, den man besser die
Geilheit des Geistes nennen würde (..) Oder nennen wir es so: Geistigkeit,
Geistreichheit ohne Härte und Rückgrat (..) Mit einem Wort: wo das Flackern und
Qualmen des Geistes die intentionale Beziehung, das schlichte Sagenwollen
verdunkelt und erstickt.“ Wem kämen hier nicht spontan gewisse Meisterdenker
unserer Zeit in den Sinn? „Das Streben nach Erleuchtung bringt naturgemäss
die völlige Verdunkelung,“ verkündet uns der Philosoph Sloterdijk. Er muss es
wissen.
Von
hier aus ist es drittens nicht mehr weit zum Ekel vor Verlogenheit. „Verlogenheit
ist weder ein blosses ‚Vorkommen’ von Lügen bei einem Menschen; noch weniger
ein Hang zur Selbsttäuschung oder pathologisches Lügenreden, sondern eine
innere Gleichgültigkeit gegen Wahr und Unwahr, kraft welcher man wohl auch sich
selber belügt, mit sich selber nicht ins Reine zu kommen müht, aber auch, bei
Vorhandensein irgendeines inhaltlichen Motivs, ohne jede innere Erschütterung
bewusst Falsches aussagt. Was der Lüge die Note des Ekelhaften einträgt, ist
zunächst ihre gleichsam wurm- oder schlangenartige, versteckte Agressivität.“ Gibt
es eine trefflichere Beschreibung von Fake News, vor nahezu einem Jahrhundert?
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Helfen saubere Gedanken gegen eklige? Das hiesse, den Teufel
mit Beelezebub austreiben. Reinheit ist ähnlich schwer belastet wie Ekel. Reinheit, so schrieb die britische Anthropologin Mary Douglas,
ist primär keine Kategorie der Hygiene, sondern des kulturellen Schutzes. Mit
Unreinheit und Schmutz verbindet schon der Primitive das, was eine Ordnung
gefährdet oder was nicht eindeutig ist. Schmutz ist relativ. Sauce an den
Spaghettis ist in Ordnung, auf meinem Hemd fehl am Platz.
Reinheit bedeutet eine Ausgrenzung dessen, was
in meinem Weltbild keinen Platz hat - und es deshalb besudelt. Dieses
Besudelnde kann ein Mensch sein: Jude, Türke, Migrant, Schwuler, Arbeitsloser,
Frau. Und wie wir wissen, kann die oder der Ausgegrenzte in extremis nicht nur
fehl am Platz, sondern nichts wert sein. Hier wird die Lage ernst. Wir sind von
einem Reinheits- und korrelativ dazu von einem Putzgedanken besessen. Je
„reiner“, sprich: radikaler oder fundamentalistischer ein Gedankengut, desto
eher wird es Abweichungen mit Ekel begegnen.
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Mit
geistigem Ekel bekämpft man „widerliche“ Ideen nicht, man stärkt sie.
Ernstzunehmen ist der Ekel allerdings als das Zivilität zersetzende Gefühl schlechthin.
Man höre sich um: Die Sprache des Abscheus greift Platz. Ein Wortführer der
Neuen Rechten, Götz Kubitschek, spricht von der „denkfaulen und phrasigen
Lässigkeit“ der etablierten Politik: „Es gibt einen durchaus verbreiteten
intellektuellen Ekel vor dem allzu unbemühten Denken.“ „Disgusting“ ist ein
favorisiertes Schimpfwort des amtierenden US-Präsidenten. Zur Verteufelung des Andersdenkenden
gesellt sich der Ekel. Der Andere könnte einen ja anstecken. „Mysophobie“
nennen die Psychologen diese Zwangsstörung. Mysophobe Menschen
„haben ein ausgeprägtes Moralverständnis, sind sensibel und leicht kränkbar und
neigen dazu, sich schnell zu ekeln“, schreibt die klinische Psychologin Claudia
Carraresi.
Richtig
agressiv wird geistiger Ekel in Allianz mit der Verachtung. Verachtung des
Individuums und seiner Rechte, des rationalen Gesprächs, der Minderheit, der
verbindlichen Normen und Gesetze. Das Übelste aber ist die entmenschlichende
Tendenz. Wir kennen sie vom „Ungeziefer“-Vokabular der Nazis her.
Beglückwünschen wir uns nur ja nicht, dieses gruselige Unmenschentum überwunden
zu haben. Wir stehen auf der rutschigen Schwelle zu einem neuen Stadium.
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