Über
das „Bestechende“ der Technologie
NZZ am Sonntag, 16.9.2018
Neuerdings
ist vom „Techlash“ die Rede: dem
technologischen Backlash – einer Reaktion gegen die hegemoniale Stellung der
digitalen Riesen. Ein zunehmend verunsicherterer, beunruhigterer und
unzufriedener Teil der Technikkonsumenten verlangt von Unternehmen wie Facebook,
Google, Twitter oder Apple Rechenschaft über publik gewordene Nachlässigkeiten,
Fahrlässigkeiten, ethische Sorglosigkeiten, manipulative Missbräuche und
mögliche gesundheitliche – süchtig machende -
Auswirkungen der Geräte, die unseren Alltag immer mehr invadieren. Zudem
scheint jetzt den Designern all des elektronischen Zauberzeugs selbst zu
dämmern, was sie eigentlich in die Welt gesetzt haben. Jedenfalls hört man
vermehrt Schuldbekenntnisse und Warnrufe von ehemaligen Mitarbeitern der
Tech-Firmen.
Wie etwa von James W. Wiliams, dem Ex-Geschäftsstrategen bei
Google, der die Industrie als die „umfassendste, normierteste und
zentralisierteste Form der Verhaltenskontrolle in der Geschichte der
Menschheit“ beschreibt. Williams hat Google verlassen und studiert nun an der
Oxford University Ethik der Technologie. Er erinnert sich an so etwas wie ein
Erweckungserlebnis, als er eines gewöhnlichen Arbeitstages auf das vielfarbig
blinkende Display einer Armaturtafel blickte und sich plötzlich bewusst wurde,
welches Ausmass an Aufmerksamkeit Technounternehmen für die Werbung
beschlagnahmen: „Ich realisierte: Das sind buchstäblich Millionen von Menschen,
die wir sozusagen anstubsen und überreden, Dinge zu tun, die sie sonst nicht
tun würden.“
***
Erwacht die Branche zu moralischer Reife und sozialer
Verantwortung? Das darf bezweifelt werden. Zwar haben spätestens Skandale den
Schlummer naiver Technikfrömmigkeit gestört. Mit dem Missbrauch von
Computeranalysen zu politischen Zwecken bei Cambridge Analytica oder den
Experimenten der Stimmungsmanipulation bei Facebook erlebt nun auch die Computerbranche
ihren Sündenfall, wie ehedem die Physik mit der Atombombe, die Chemie mit dem
Giftgas oder die Biologie mit der Genmanipulation.
Man kann den Techlash als eine Misstrauenskundgebung nicht
gegenüber Technik per se, sondern gegenüber globalen Technounternehmen und
ihren Führungsriegen interpretieren. Das ist die traditionelle
Neutralitätsthese: Technik kann nichts dafür, dass sie missbraucht wird, das
verantworten immer die Menschen. Die These dient heute noch als – immer
fadenscheinigere – Verteidigungsstrategie einer Art von Technodizee: Technik
als Ganzes ist gut, schlecht sind nur ihre „Unfälle“ und „nichtintendierten Effekte“.
***
Der technologische Backlash ist aber bereits in die
technischen Objekte eingebaut. Wir übersehen das meist, weil uns leicht eine
Fehldeutung des Werkzeugs unterläuft. Das heisst, nichts ist natürlicher als
ein technisches Objekt als „Zeug zu etwas“ zu betrachten; den Hammer als Zeug,
um Nägel einzuschlagen, das Auto als Zeug, um sich schneller fortzubewegen, das
Telefon als Zeug, um auf Distanz zu kommunizieren, Facebook als Zeug, um mit
anderen Personen verbunden zu sein. Diese Sicht blendet die implizite
Rückwirkung des technischen Objekts auf das Subjekt des Techniknutzers aus. Die
alte Technikauffassung ging aus vom „klassischen“ Dualismus: Hier der Mensch
als souveränes Subjekt der Benutzung – dort das Gerät als serviles Objekt der
Benutzung. Diese Trennung ist spätesten dann veraltet, wenn smarte Technologien
Aufgaben übernehmen, die man früher allein der menschlichen Intelligenz
zutraute: Entscheiden, Prüfen, Bewerten, sogar moralisch Urteilen. Wir leben
längst schon in einer Symbiose mit den Geräten, in der oft nicht mehr klar ist,
wen oder was man als Subjekt des Entscheidens und Handelns betrachten soll.
***
Man muss also, anders gesagt, Technik bereits ins kritische
Visier nehmen, wenn sie funktioniert. Und das Kernproblem liegt in dem, was ich
als Unbewusstes der Technik
bezeichnen möchte. Die elektronisch vernetzte Welt der smarten Dinge entwickelt
sich zum Nervensystem unserer sozialen, moralischen und politischen
Infrastruktur. Und die Technounternehmen setzen heute bewusst bei diesem
Unbewussten an: unserem Konsumverhalten, unseren Gewohnheiten,
Suchtanfälligkeiten, unsteten Aufmerksamkeiten – im subrationalen
Kellergeschoss unserer Psyche. Längst hat sich das Verhältnis Mensch-Technik
umgekehrt: Der Mensch gebraucht nicht das Werkzeug, das Werkzeug gebraucht ihn.
Wir konsumieren nicht Facebook, Facebook konsumiert uns. Die Frage des
Unternehmens lautet: „Wie verzehren wir möglichst viel Zeit und Aufmerksamkeit
von dir?“
Skandale können uns durchaus aus dem technischen Unbewussten
aufschrecken, aber meist ist ihre Wirkung passager. Wie schon der Ausbruch der
Empörung über die Manipulations-Experimente bei Facebook 2014 zeigte, sind die
Techfirmen resilient genug, um solchen öffentlichen Reaktionen zu begegnen und
relativ unbeschadet durch die aufgewühlten Gewässer des Protestes zu steuern.
Die wirklich tiefen Abhängigkeiten kommen selten zum Vorschein, geschweige denn
ins kritische Visier der Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeit wird ja heute
weitenteils von den Social Media, also von Techfirmen, definiert.
***
Was heute immer dringlicher wird, ist eine fundamentale
Rückbesinnung auf die Technik, also nicht die Frage „Was machen wir mit der
Technik?“, sondern „Was macht die Technik mit uns?“ Und ich wähle als generelle
Antwort auf die erste Frage die Formel: Technik ist Delegieren von menschlichem
Können an Artefakte; als Antwort auf die zweite Frage die Formel: Technik
„besticht“ uns. Die Artefakte „bestechen“ auf doppeldeutige Art: in ihren teils
übermenschlichen Fähigkeiten einerseits, und in ihrer Verführungskraft
andererseits. Heute, im Universum der smarten Dinge, entgehen wir dieser
Bestechung kaum noch. Die uns auf Schritt und Tritt begleitenden Gadgets und
Apps tun alles für uns. Ich mache das für dich, sagen sie, ich entscheide für
dich, ich schaue für dich voraus, ich beurteile die Warenangebote für dich, ich
wähle die Informationen für dich aus, ich weiss, was du tun wirst, bevor du es
weisst. Dieses allgegenwärtige paternalisierende Etwas-für-mich-tun – „Mikrotargeting“
genannt - ist „bestechend“ und es kippt
unmerklich ins Autoritäre. Wir gleichen dem Frosch, den man lebend brüht, indem
man die Temperatur des Wassers in kleinen Schritten erhöht.
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Technologie ist politisch. Sie ändert die Normen und Werte
unseres Zusammenlebens. Sie definiert sie um. Indem wir uns an die Allgegenwart
und bestechende Bequemlichkeit der neuen Geräte gewöhnen, gewöhnen wir uns auch
an die Art und Weise, wie sie sich unserem Denken und Handeln aufmodulieren.
Dabei lenken Verschwörungstheorien über „böse“ Machenschaften von Techgiganten
nur vom eigentlichen Problem ab, nämlich zu erkennen, welche Rolle die
Technologie im Umdefinieren unserer Weltsicht spielt. Wer sagt, Google,
Facebook oder Twitter desinformieren uns, hat ja bereits stillschweigend die
Definition von Google, Facebook oder Twitter übernommen: Informieren bedeutet
letztlich Google Search und Teilnahme an Social Media. Statt kritisch sich
dieser Umdefinition anzunehmen, fragen wir nur noch, ob die Technologien
„richtig“ funktionieren.
***
Eine andere Entwicklung nimmt schon deutliche
und beunruhigende Konturen an. In gewisser Hinsicht laufen heute das
technologische und das demokratische Projekt der Moderne auseinander - wenn sie
nicht sogar Kurs auf Kollision nehmen. Die liberal-demokratische Ordnung beruht
auf dem Bekenntnis zu einer Pluralität von Ideen und Formen „richtigen“ Lebens.
Und in dieser Pluralität schützt sie grundlegende Rechte des Individuums wie
freie Meinungsäusserung oder Privatheit. Die technologische Entwicklung
unterminiert tendenziell diese Basis der Rechte. Indem sie uns zum Gebrauch all
der wunderbaren smarten Geräte „besticht“, führt sie nicht nur zu einer
Uniformierung des Verhaltens, sie verleitet uns zu enthemmter „Datifizierung“,
das heisst Entblössung, und diese wiederum macht uns zu idealen
Versuchsobjekten der Datenanalyse, will sagen: der Manipulation und
Überwachung. Und hier offenbart sich die implizite „Bestechung“ der Technologie
von ihrer autoritären Seite her. Kein Wunder, dass Führungsriegen autoritärer
Regimes, wie etwa des chinesischen, vor solcher Technologie aus dem Häuschen
geraten.
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Wenn uns die neuen Geräte erst einmal wirksam „bestochen“
und wir sie in unser soziales Leben integriert – man müsste schon fast sagen:
„eingebürgert“ haben, dann wird es schwierig bis unmöglich, sie wieder
„auszubürgern“. Sie sind uns intus, in unsere Psyche eingesunken. Dann nützen
auch keine „Delete“-Appelle mehr.
Gewiss, es ist völlig normal, dass uns technische
Vorrichtungen die Mühen des Lebens abnehmen. Als tückisch daran erweist sich
allerdings, dass mit der wachsenden Palette an technischen Entlastungsmitteln
genau diese Normalität fragwürdig wird. Denn die endgültige „Bestechung“ der
neuen Geräte lautet immer wieder: Ich nehme dir die Mühe ab. Und die Frage
lautet jetzt: Ist mir das noch der Mühe wert oder soll das ein virtueller
kleiner Helfer übernehmen?
Das ist eine existenzielle Frage: Wie weit wollen wir die
Mühelosigkeit unseres Seins treiben? Oder variierend: Könnten wir in der Mühe,
die wir in eine Tätigkeit investieren,
gar einen verlorenen Wert wiederentdecken, den Wert des Selber-tuns?
Technologie hilft uns, Erfahrungen zu vermeiden, die wir nicht mögen. Die
wirkliche Gefahr liegt paradoxerweise darin, dass sie uns besticht, alles zu
vermeiden, was zu einem menschlichen Leben gehört: Entscheiden, Abwägen,
Verantworten, das direkte Gespräch, die physische Begegnung. Schliesslich
werden uns all die schönen intelligenten Artfefakte überredet haben, auch die
Mühe der Intelligenz zu vermeiden. Am Ende entpuppt sich der technische
Fortschritt als purer Nihilismus: nichts ist mehr der Mühe wert. - Wann beginnen wir zu begreifen, dass sich der
wahre Aufstand genau dagegen richtet?
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