Montag, 14. Mai 2018

Physik mit Seele

NZZ, 10.5.2018






Die seltsame Wiederkunft des Panpsychismus


Bis ins 19. Jahrhundert hinein, als die Naturwissenschaften definitiv die Vorherrschaft im Welterklären erlangten, hielt sich die Vorstellung, dass das Universum im Grunde regiert sei von einer kosmischen Akteurin namens Weltseele. Sie durchdringt alles Existierende und sorgt für einen Zusammenhang und Zusammenhalt von allem: die Welt ist ein beseelter Makro-Organismus. Diese Idee trat zunehmend zurück vor der viel mächtigeren und traktableren Idee der Welt als eines Makro-Mechanismus, oder heute: eines Makro-Algorithmus.

Wir erleben gegenwärtig eine Wiederkunft der Weltseele. Die Idee gewinnt in den Naturwissenschaften und vor allem in der Wissenschaftsphilosophie an Diskussionswürdigkeit. Man spricht vom Panpsychismus oder Kosmopsychismus. Die Gründe dafür liegen in der Entwicklung der Wissenschaft selbst. Und zwar sind es zwei Brennpunkte, die das Interesse der einschlägigen Forscherkreise binden und bündeln: Universum und Gehirn. Beide haben mit einem sogenannten „harten Problem“ zu schaffen.

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Je mehr die moderne Kosmologie über das Universum herausfindet, desto mehr gewinnt auch eine Frage an Kontur und Gewicht: Unser Leben und unser Bewusstsein hängen von derart vielen fein abgestimmten Zufällen in der Geschichte des Universums ab – könnte da „mehr“ als Zufall im Spiel sein? Wäre etwa die starke Wechselwirkung nur etwas kleiner als ihr tatsächlicher Wert, enthielte das Universum nur Wasserstoff. Würden die Massen des Elektrons und der Quarks vom tatsächlichen nur wenig abweichen, wären die Bildung von Atomen und dadurch jede chemische Komplexität physikalisch unmöglich, und so weiter. Das Fresko dieser „Zufälligkeiten“ ist überwältigend.

Selbst wenn man nun die Entwicklung der Urmaterie zur hochkomplexen Hirnmaterie einmal als gegeben hinnimmt, stellt sich ein weiteres Problem: Wie erzeugt diese Hirnmaterie unsere Wahrnehmungen, Schmerzen, Gedanken, Wünsche? Die Neurowissenschaften verfügen zwar über immer ausgeklügeltere Modelle der materiellen Gehirnprozesse, die sich während unserer bewussten Handlungen abspielen, zum Beispiel die Theorie der integrierten Information von Giulio Tononi. Die Erklärung des Auftauchens – der „Emergenz“ – von Bewusstsein aus den Wechselwirkungen der Neuronen ist indes ein nicht eingelöster Anspruch. Die Lücke klafft nach wie vor, die zu füllen die Neurowissenschaften bisher nicht in der Lage waren.

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Könnte der herkömmliche wissenschaftliche Ansatz grundsätzlich zu kurz greifen? - Diese kecke Frage stellt heute zum Beispiel der Philosoph Philip Goff, und zwar gleich vollmundig: „Wir müssen unser Verständnis der Materie radikal neu überdenken, um Bewusstsein zu erklären; ähnlich wie Einstein Raum und Zeit radikal neu konzipierte.“

Ausgangspunkt des Panpsychismus ist ein angebliches Erklärungsdefizit der Physik. Sie beschreibe „nur“ mathematisch die „Aussenansicht“ der Materie, die Wechselwirkungen der Elementarteilchen, nicht ihre „innere Natur“. Das zeugt nun freilich, höflich gesagt, nicht gerade von einem grossen Verständnis der Physik. Zwar beschreibt die Quantentheorie Masse, Ladung oder Spin tatsächlich nicht mehr wie die klassische Physik als der Materie „anhaftende“ Eigenschaften, sondern als momentane und lokale Zustände eines Feldes. Felder sind die „intrinsische“ Realität der Physik: ein Pool virtueller Teilchen. Daraus erklären sich die Eigenschaften der Materie auf Mikroebene und sie führen zum Verständnis von Eigenschaften der Materie auf Makroebene – erfolgreich in zahlreichen Gebieten der Physik, Chemie, Biochemie und Biologie. Und tatsächlich gibt es heute Versuche, Bewusstseinsphänomene als Quanteneffekte zu deuten, zum Beispiel in der Theorie von Stuart Hameroff und Roger Penrose. Sie ist alles andere als akzeptiert.

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Davon unterscheidet sich der panpsychistische Ansatz radikal. Auf die Frage „Wie kommt der Geist in die Materie?“ wartet er mit der verwegenen Antwort auf: Er kommt gar nicht hinein, er ist schon drin, als „innere Natur“ der Materie. Das klingt recht sehr nach einer Revolution. Nur ist die Antwort ein Rohrkrepierer.

Goff schreibt der Materie eine „bewusstsein-involvie­rende“ Komponente zu. Was dies bedeutet, wird nicht erläutert, sondern quasi als ein Grundpostulat dekretiert. Von dieser Komponente wissen wir einzig, dass sie in Gehirnen Bewusstsein erzeugt. Wie sie dies tut, erklärt man natürlich nicht mit der Eigenschaft „bewusstsein-involvierend“; ebenso wenig wie man die Nässe des Wassers durch eine „nässe-involvierende“ Eigenschaft der Moleküle erklärt, oder die Wirkung eines Schlafmittels durch die „schlaf-involvierende“ Eigenschaft seiner Substanzen.

Für Goff gibt es allerdings kein Halten mehr. Er unterschiebt dem Universum die Rolle eines Akteurs, der schon in der Urphase der Planck-Epoche (in den ersten 10 hoch -43 Sekunden) dafür sorgte, dass alles „richtig“ ablaufen würde. Goff schwingt sich in seiner kosmischen Akrobatik zu atemberaubenden Höhen auf: „Wenn das Universum in der Planck-Epoche seine Gesetze so fein justierte, dass in den nächsten künftigen Jahrmilliarden Leben entstehen konnte, dann muss es in einem gewissen Sinn auch der Folgen seines Agierens bewusst gewesen sein.“ Goff postuliert daher eine „Grunddisposition des Universums“, welche die komplette potenzielle Nachfolgegeschichte bereits in nuce repräsentiert. Anders gesagt: Die Geschichte des Universums muss schon in einem „kosmischen Bewusstsein“ präsent gewesen sein. - Es gibt Geistiges in der Welt, weil die Welt geistig angelegt ist. Und warum ist die Welt geistig angelegt? Weil es Geistiges in der Welt gibt.

Goff rechnet allen Ernstes damit, dass seine schwachbrüstigen Andeutungen über die innere Natur der Materie bald einmal den Status eines „alternativen“ Paradigmas erlangen würde, das Fragen erlaubt wie „Was ist das Bewusstsein einer elektrischen Ladung?“ oder „Wie ist es, ein Elektron zu sein?“ Spätestens hier stellt sich allerdings eine nicht so harte, aber seriösere Frage: Was ist bei diesem Philosophen eigentlich grösser, die Ignoranz, Naivität oder Chuzpe?

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Dennoch ist der Panpsychismus ernstzunehmen, aus einem anderen Grund: als Symptom eines Bedürfnisses nach metaphysischem Trost. Eine Welt, die von einer Seele durchwirkt und durchweht wird, spendet vielen Menschen ein existenzielles Grundvertrauen des Zuhauseseins. Kosmologie und Neurobiologie liefern uns keine solchen Weltbilder. Sie werfen uns in das kalte Bad eines Universums um die absolute Nulltemperatur herum - eines Universums, das sich nicht um uns kümmert. Hier schaudert uns buchstäblich metaphysisch. Und diesem Schauder begegnet der Mensch traditionellerweise mit dem Glauben.

Der Verdacht, beim Panpsychismus handle es sich um eine verkappte Glaubensüberzeugung, erhärtet sich, wenn man einen anderen Paladin des Panpsychismus, den Philosophen Godehard Brüntrup, vernimmt: „Wäre es nicht faszinierend, wenn die einfachste und eleganteste Erklärung des Universums gleichzeitig eine wäre, die mit dem Schöpfungsglauben harmoniert?“ – Ach woher! Das ist höchstens für ein Denken faszinierend, das schon weiss, was es sich beweisen will; dem es um Bekenntnis, nicht um Erkenntnis geht. Also gerade nicht für die Wissenschaft. Wirklich irritierend ist, wie immer wieder Versuche unternommen werden, theologische Konterbande in die Wissenschaft einzuschleusen, unter dem Vorwand, einen fachlichen Disput zu führen. Man betreibt hier nicht Physik, sondern Metaphysik, in wissenschaftlichen Jargon eingekleidet. Genau dann, wenn sie den Anspruch einer „besseren“ Lösung für die harten wissenschaftlichen Probleme erhebt, entlarvt sie sich als das, was sie ist: Fake Science. Und für diese gilt immer noch das Urteil des Physikers Wolfgang Pauli: Sie ist nicht einmal falsch!


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