Mittwoch, 18. April 2018

Follow the Money








NZZ, 14.4.2018

Über die Ambiguität des Vertrauens

Wenn nun einmal mehr die heimlichen Machenschaften eines führenden Bankmanagers aufgeflogen sind, werden womöglich nicht wenige von uns Bankenabhängigen nur noch in müdem Sarkasmus die Schultern zucken und die Ursache entweder der Finanzcanaille oder den Tücken „des Systems“ zuzuschreiben geneigt sein. Aber abgesehen davon bestünde auch Anlass zu – ja - philosophischer Erschütterung darüber, in welch extrem dünner Luft des Vertrauens wir eigentlich leben. Vertrauen ist das vitale Element, das Elixir der Finanzwelt, und es zersetzt sich zunehmend wie ehedem die schützende Molekülschicht in der Erdatmosphäre. 

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Kein Geringerer als John Maynard Keynes sprach von den „Vertrauenskrisen, die das wirtschaftliche Leben der modernen Welt heimsuchen.“ Er hatte dabei besonders das Investitionsgeschäft im Auge. In seinem Klassiker „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ (1935) wies er darauf hin, dass unsere Zukunftserwartungen stets von einem „Stand des Vertrauens“ abhängen, und dieses Vertrauen seinerseits auf der Voraussetzung beruht, „dass die bestehende Geschäftslage unendlich andauern wird, soweit wir nicht besondere Gründe für die Erwartung einer Änderung haben.“

Keynes wusste als Mathematiker natürlich, dass Erwartung auf Wahrscheinlichkeit gründet und der Wahrscheinlichkeitskalkül Unsicherheit berechenbar macht. Aber „(wir) haben keine genügende Grundlage für eine berechnete mathematische Erwartung. Tatsache ist, dass in der Marktbewertung alle Arten von Erwägungen einbezogen werden, die in keiner Weise für den erwarteten Ertrag von Belang sind.“ „Unser vernünftiges Ich“ trifft zwar „nach bestem Können seine Wahl, rechnend, wo es kann,“ aber oft fällt es „für seine Beweggründe (zurück) auf Laune, Gefühl, Zufall.“

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Man darf solche Worte als hellsichtige Antizipation dessen betrachten, was achtzig Jahre später unter dem Namen Verhaltensökonomik bekannt werden sollte: Der Mensch ist nur begrenzt ein rational abwägender Homo oeconomicus. Und genau da beginnt das Problem des Vertrauens. Vertrauen ist Unsicherheitsmanagement - eine höchst zweideutige Sache. Vertrauen heisst, auf unsichere Sicherheit bauen. Diese Ambiguität sollten wir immer in Reserve behalten, wenn wir Vertrauensappelle in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder wo auch immer vernehmen. Sie verraten oft nichts anderes als ein Defizit an substanziellen Gründen und Evidenz. Man weiss nicht, welche Folgen ein Entscheid hat, deshalb ersucht man um Vertrauen.

Muss man eigens darauf hinweisen, dass diese Ambiguität in der Natur des Geldes selbst liegt? Geld ist „intrinisch“ wertlos; sein Wertstatus basiert auf einem sozialen Pakt, letztlich auf gegenseitigem Vertrauen. Das Englische bringt die Ironie zutage: Wertpapiere heissen „securities“; „Sicherheiten“, die letztlich auf Unsicherheit beruhen.

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Achtzig Jahre vor Keynes wurde ein anderer Autor von der Ambiguität des Vertrauens umgetrieben. 1857 erschien Hermann Melvilles letzte Erzählung „The Confidence-Man. His Masquerade“. Melville war Zeuge einer wachsenden Finanzwirtschaft und er erlebte die grosse Finanzkrise 1837 in den USA, also eine generelle Erosion des Vertrauens in das ökonomische Fundament der Gesellschaft. Der „Vertrauensmann“ in seiner Erzählung ist ein sonderbarer Fremder auf einem Mississippi-Dampfer, der seine Mitreisenden mit Szenarien konfrontiert, in denen sie ihr Vertrauen auf die Probe stellen müssen. Wie sich zeigt, kann Vertrauen alles und nichts bedeuten.

Vorbild für „The Confidence-Man“ war ein realer „Vertrauensmann“, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts in New York mit einem notorischen „Vertrauenstrick“ sein Unwesen trieb. Er verstrickte Leute an öffentlichen Orten von Manhattan in ein Gespräch, und lenkte sie geschickt und zielstrebig auf sein Leibthema: „Der Mangel an Vertrauen in den Mitmenschen“. Gingen seine Gesprächspartner darauf ein und fühlten sie sich durch seine rhetorischen Schubser bemüssigt, die menschliche Grossherzigkeit im Allgemeinen zu verteidigen, verlangte er von ihnen einen Beweis im Besonderen, indem er sie bat, ihm Wertsachen auszuborgen, mit denen er auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden pflegte.

Es will einem immer öfter vorkommen, als tummelten sich im heutigen Zeitalter des „Follow the Money“ vermehrt Spezimen dieser Untergattung des Homo oeconomicus: Homo fraudulentus, der Vertrauenstrickster.  Was verschafft ihm einen derart weiten Spielplatz?

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Keynes spricht einmal vom „Schauspiel moderner Investmentmärkte“; und auch vom „Wettbewerb der Gerissenheit“. Im Grunde gleichen sich Finanzwelt und Theater. Beide verlangen die Aufhebung des Zweifels. Wenn wir Aktien kaufen oder in der Bank Geld einlegen, geschieht dies in der kollektiv akzeptierten Illusion, dass bedrucktes Papier oder ein paar Codezeilen austauschbar sind gegen Getreideladungen, Rohstoffe, Grundstücke oder Arbeitsmengen. Im Theater erwarten wir für die Aufhebung des Zweifels plausible Geschichten, Unterhaltung, vielleicht Belehrung oder Trost. Gerade diese Erwartung macht die Theateraufführung aber auch riskant. Das Publikum behält sich das Recht vor, die Illusion platzen zu lassen, wenn es das Gefühl hat, die Helden im gespielten Universum würden den Erwartungen nicht gerecht. Faules Gemüse zu schmeissen oder die Schauspieler auszubuhen kann jederzeit unterhaltsamer sein als dem imaginären Geschehen zu folgen.

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Helden des Finanzgeschäfts können wie Theaterhelden aus der Rolle fallen und weggebuht werden. Und das geschieht ja regelmässig, häufig mit hämischem Gusto. Dennoch stellt man fest, dass das Geschäft – die Show - weiterläuft. Im Theater spricht man von der „Vierten Wand“ zwischen Publikum und Bühne, die das Imaginäre der Bühne vom Realen des Zuschauerraums trennt. Vertrauen ist die Vierte Wand der Finanzwelt. Das Reale hier ist die Begehrlichkeit des Geldes, welche das Publikum dazu anhält, Arbeit und Eigentum gegen Banknoten oder Bitcoins einzuwechseln. Das Imaginäre ist die Werthaftigkeit des Geldes, welche durch die Illusion aufrechterhalten werden muss, dass Geld einen „intrinsischen“ Wert hat, obwohl man täglich das Gegenteil konstatiert. Mitunter ist man perplex darüber, wie wir zuschauenden Bankenabhängigen den Geschichten auf der Bühne glauben –  glauben wollen, obwohl der Schleier der Illusion immer wieder reisst.

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Hier kommt ein Weiteres ins Spiel. Im September 2008 meldete die Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz an - ein Auslöser der Finanzkrise. Noch im Juni 2008 hatte der Vorsitzende Richard Fuld den inneren Kreis der Geschäftsleitung versammelt, um sie mit einer Frage zu konfrontieren; nicht mit „Wie restrukturieren wir das Unternehmen?“, auch nicht mit „Wie erhöhen wir die Liquidität, um wachsenden Schulden zu begegnen?“ – die Frage lautete schlicht „Wie stellen wir das Vertrauen wieder her?“

Die Priorität der Frage spiegelt nicht nur in aller Deutlichkeit das menschliche Fundament der Finanzwelt, sie bringt auch ein fundamentales Paradox aufs Tapet. Finanzwelt und Medien werden gegenseitig immer abhängiger: The medium is the market. Gerade die „Flüchtigkeit“ der Finanzprodukte macht ihr „richtiges“ marktgerechtes Erscheinungsbild notwendig. Das Paradox: Je flüchtiger diese Produkte, desto robuster sollte unser Vertrauen in ihren Markt sein; tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Vertrauenschaffen heisst im Fake-Zeitalter Aufschminken: Alles paletti, liebe Leute, der Markt ist stark, die Börsenkurse stabil, die Liquidität hoch. Die Welt ist alles, was unsere PR-Abteilung sagt, es sei der Fall. Vertraut uns – bis zum nächsten Crash!

Vielleicht sollten die Finanzakteure vermehrt die Vierte Wand durchbrechen und von der Bühne ins Publikum steigen, wie der Leinwandheld in Woody Allens „Purple Rose of Cairo“. Wir brauchen verdammt eindeutige Vertrauensmänner, die uns sagen: Dummköpfe, Ihr sitzt im Theater, ihr wiegt euch in einer Illusion! – Vielleicht ist aber das auch schon eine Illusion.




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