Dienstag, 13. August 2019





NZZ, 9.8.2019

Deepfakes und der böse Dämon Descartes’

Es wird immer schwieriger, sich gegen Falschinformation zu wappnen. Computergenerierte Bilder ermöglichen mittlerweile täuschend echte Fälschungen: „Deepfakes“. Bekannt geworden ist etwa das Video, das Nancy Pelosi, die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, betrunken zeigt; oder Mark Zuckerberg, der über sich prahlt:  „Stell dir für eine Sekunde vor: Ein Mann kontrolliert Milliarden gestohlener Daten von Leuten, alle ihre Geheimnisse, ihr Leben, ihre Zukunft.“ Beliebt ist auch der Austausch von Gesichtern zwischen beliebigen Personen und Pornodarstellern: „Face-Swapping“. Der Gedanke, dass irgend ein Fiesling im Internet solche Austausche relativ leicht tätigt, mutet doch recht unbehaglich an. Wahrscheinlich werden sich Deepfakes – auch „Cheapfakes“ genannt - im Alltag endemisch ausbreiten und damit die Informationsflüsse zunehmend kontaminieren. Und verunklären kann man die Flüsse mit relativ wenigen Falschinformationen - dank einer beispiellosen Kombination aus sozialen Netzwerken, viraler Verbreitung von Nachrichten, kognitiven Voreingenommenheiten, Newsfeed, und nicht zuletzt dank der Polarisierung zwischen Netzstämmen.

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Wir bekommen es mit einer Tücke der Falschinformation zu tun: Ihre Verbreitung ist ungleich leichter als ihre Korrektur.  Selbst wenn man ein Fake einmal als solches entlarvt hat, hält es sich mit bemerkenswerter Beharrlichkeit im Netz. Das Phänomen hat bereits einen Namen: Dividende des Lügners. Aufdecken von Fakes erhöht unter Umständen ihre Attraktivität. Es geht ja nicht um Wahrheit, sondern um Aufmerksamkeitsbindung. Zusätzlich zum Schüren des Feuers von Fakes legitimieren wir auch die Debatte über deren Falschheit. Denn die Legitimität der Debatte hängt von der Zahl derer ab, die sich daran beteiligen. Das verstärkt unter Umständen den Argwohn, dass am Fake doch „etwas Wahres“ dran sein könnte. „Never wrong for long“, lautet der Slogan. Letztlich kann sich dies also als Dividende für den auszahlen, der das Fake in die Welt gesetzt hat. Selbst nachdem zum Beispiel die Falschinformation korrigiert worden war, Obama sei kein gebürtiger Amerikaner, glaubten nach wie vor 25 Prozent der befragten Landsleute an die Lüge.

Eine Illusion zum Platzen bringen ist keine unproblematische Angelegenheit. Die Ur-Allegorie dafür bietet Platons Höhlengleichnis. Die meisten Menschen leben in der „Höhle“ der Illusion. Sie sehen die Dinge nicht, wie sie wirklich sind, sondern nur die Informationsschatten der Dinge. Allein der Philosoph entsteigt der Höhle und erblickt das Licht der Wahrheit.  Aber wenn er zurückkehrt und den anderen weismachen will, sie lebten in einer Illusion, erntet er nur Widerstand und Aversion. Die Höhleninsassen betrachten ihn als Fremdling, Störefried, als lästigen Wahrheitsmaniak. So kann es heute dem Fake-Entlarver ergehen.

Dem Deep Fake kommt eine menschliche Neigung entgegen: Viele Dinge, die man nicht erwartet oder nicht sehen will, nimmt man nicht zur Kenntnis. Unserer physiologischen Wahrnehmung lassen sich mentale Brillen aufsetzen. In einem inzwischen klassischen Experiment über kognitive Täuschung zeigten die Psychologen Christopher Chabris und Daniel Simons ihren Probanden ein Video: Studentinnen und Studenten in weissen und schwarzen T-Shirts warfen einander Bälle zu. Die Aufgabe lautete, die Pässe der Spieler im weissen Dress zu zählen. Etwa in der Mitte des Videos mischte sich eine als Gorilla verkleidete Studentin in die Szenerie, schaute kurz in die Kamera, klopfte primatenhaft auf die Brust und verschwand wieder. Mehr als die Hälfte der Probanden nahmen den Gorilla nicht wahr, weil sie nur zu zählende Bälle sahen.

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Natürlich sind Abwehrmassnahmen gefragt. An der technologischen Front arbeiten die Softwareentwickler an Algorithmen, die Deepfakes schnell erkennen. Künstliche Intelligenz bekämpft künstliche Intelligenz. Aus diesem Wettrüsten der Algorithmen wird wahrscheinlich kein Sieger hervorgehen: eine No-Win-No-Win-Situation. Harid Farid, Experte in der Aufdeckung von Kinderpornografie am Dartmouth College, klingt nicht besonders zuversichtlich: „Wir liegen Jahrzehnte hinter einer forensischen Technologie (..) zurück, die effizient ein echtes von einem gefälschten Video unterscheiden könnte. Wenn man das forensische System wirklich täuschen will, wird man auf dem Deepfake-Weg in es einbrechen.“

Auch juristische Massnahmen stossen schnell auf ihre Grenzen. Immer wieder hört man Klagen über das Netz als rechtslosen Raum. Die Daten suchen sich ihre Flussbetten global. Bekanntlich kann eine russische Trollfarm die Meinungsbildung in den USA sensibel beeinflussen. Gesetze greifen aber primär in einem nationalen Rahmen. Und dies handikapiert natürlich die regulatorische Interventionskraft. Zudem erweisen sich die wichtigsten Disseminationsherde von Deepfakes, die sozialen Netze, als regelrechte Immunsysteme gegen den gesetzlichen Eingriff. Es fällt nicht schwer, die Dystopie einer Welt auszumalen, wo es ein Kinderspiel ist, eine Person so „umzugestalten“, dass sie Dinge sagt und tut, die sie nicht gesagt und getan hat.

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Neben den technischen und rechtlichen Weiterungen stossen wir auf etwas noch Beunruhigenderes. Deep Fakes unterminieren eine fundamentale Vertrauensbasis der Erkenntnis: unsere Sinne. Wir stützen uns in Alltagssituationen auf sie und orientieren uns an ihnen. Die Sinne trügen normalerweise nicht. Die eigene Augenzeugenschaft zum Beispiel ist eine relativ verlässliche erkenntnistheoretische Instanz. Nun definieren die neuen Techniken der Simulation gerade diese Normalität um. Normal ist die Verstellung. Was wir sehen, steht unter dem Apriori-Verdacht der Täuschung. Der Augen- und Ohrenzeugenschaft – generell dem Zeugnis unserer Sinne –  wird die Bürgfunktion entzogen. In den neuen Medien vergehen uns buchstäblich Sehen und Hören. Sie lassen uns am natürlichen Urmedium der Gewissheit zweifeln: unserem Körper.

Man muss sich klar machen, was dadurch auf dem Spiel steht. Nicht nur erodiert die soziale Vertrauensbasis unseres Wissens, unserer Kommunikation und Diskussion. Ein gewisses Mass an Vertrauen in das, was man mit seinem Körper wahrnimmt, gehört zur geistigen Gesundheit. Die technische Entwicklung raubt uns dieses Vertrauen, gefährdet somit unsere geistige Gesundheit. Alte Selbstverständlichkeiten, herkömmliche Appellationsinstanzen der Verlässlichkeit fallen in sich zusammen. Das Wahre für falsch zu halten und das Falsche für wahr: damit beginnen Wahnvorstellungen. Die Technologie des Deepfake entpuppt sich von ihrem Wesen her  als Technologie des Wahns.

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Wir sehen uns - kaum zu übertreffende Ironie – an den Anfang der neuzeitlichen Philosophie zurückversetzt. Man erinnert sich an das Szenario, das uns René Descartes in seinen „Meditationen“ skizziert. Er äussert darin den Fundamentalverdacht: „Alles nämlich, was ich bisher am ehesten für wahr gehalten habe, verdanke ich den Sinnen oder der Vermittlung der Sinne. Nun aber bin ich dahintergekommen, dass diese uns bisweilen täuschen, und es ist ein Gebot der Klugheit, denen niemals ganz zu trauen, die uns auch nur einmal getäuscht haben.“

Mit seinem Universalzweifel machte sich Descartes sozusagen zum ersten Informationsquellenvergifter der Neuzeit. Oder genauer: Er spielt mit dem Gedanken eines solchen Quellenvergifters: „So will ich denn annehmen, dass nicht der allgütige Gott die Quelle der Wahrheit, sondern irgendein böser Dämon, der zugleich allmächtig und verschlagen ist, habe allen seinen Fleiss daran gewandt, mich zu täuschen; ich will glauben, Himmel, Luft, Erde, Farben, Gestalten, Töne (..) seien nichts als das täuschende Spiel von Träumen, durch die er meiner Leichtgläubigkeit Fallen stellt.“

Descartes’ Meditation war ein Gedankenexperiment. Deepfakes sind ein technisches und soziales Experiment. Heute vermögen uns Informations- und Kommunikationstechnologie wie ein böser Dämon in elektronischen Träumen zu wiegen. Und das wirklich Böse an diesem Dämon ist, dass wir uns an ihn gewöhnen

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