Dienstag, 21. Juli 2015

Reißt es aus, das fremde Kraut!


Die Zeit, 16. Juli 2015

Dieser Kampf ist Chefsache! Stadtrat Filippo Leutenegger zieht sich ein Paar
Gartenhandschuhe über, schnappt sich einen Spaten und sticht eine Goldrute aus
dem sumpfigen Boden. Mit Stumpf und Stiel. "Gemeinsam gegen Problempflanzen"
heißt der Aktionsplan der Zürcher Stadtoberen. Im Namen der Bio-Diversität wollen
sie dem Riesen-Bärenklau, der Goldrute, dem Knöterich und dem Sommerflieder den
Garaus machen.

Die Jät-Aktion ist aus einem urban-ökologischen Gesichtspunkt durchaus
verständlich. Sie trägt allerdings auch eine verfängliche Metaphorik in sich. War einst
von "invasiven Neophyten" die Rede, geht es nun um den "Kampf gegen die fremden
Pflanzen" und die "Verdrängung einheimischer Arten". Soll nun also die Schweizer Art 
auch im Reich der Pflanzen verteidigt werden?

Die Neophyten-Diskussion ist schon ein paar Jahrzehnte alt. Im Sommer 1970 fielen
in den Notfallstationen englischer Spitäler gehäuft verbrennungsartige Symptome bei
Kindern auf: Rötungen und Blasen auf Lippen, Haut und Augenlidern. Die Ursache
fand man bei einer bis anhin als harmlos taxierten Pflanzenart: dem Riesen-
Bärenklau. Ein Ungetüm von Gewächs, mit seinen scharfzackigen Blättern und einer
mächtigen Doldenkrone. Heracleum giganteum enthält eine lichtempfindliche
Substanz: Furokumarin. Wenn die Haut damit in Kontakt kommt, kann sie eine
Dermatitis mit verbrennungsartigen Symptomen entwickeln. Vor allem, wenn dabei
die Sonne scheint.

Einst war Bärenklau ein beliebtes Natur-Kinderspielzeug; man konnte den Stängel
als Teleskop oder als Pfeife verwenden. Zum Monster wuchs die Pflanze erst heran,
als man herausfand, dass sie eine Immigrantin von ennet dem Eisernen Vorhang ist.
Bärenklau stammt aus dem Kaukasus. Die englischen Boulevardmedien sprachen von
triffids, von den Pflanzen des Schreckens, die im Science-Fiction-Klassiker The Day
of the Triffids von John Wyndham einen Krieg gegen den Menschen führen. Man
empfahl drastische Gegenmaßnahmen: Gifte, Flammenwerfer, Bulldozer, Dynamit.
Ohne durchschlagenden Erfolg. Der Bärenklau setzte seine Unterwanderung fort.
Unkraut schafft aber nicht nur Dystopien. Das zeigt ein 1980 aufgelassenes
Hochbahntrassee der New York Central Railroad in Manhattan. Unmittelbar nach
der Schließung drang ein Stoßtrupp von chinesischen Götterbäumen ein; gefolgt von
der Nachhut aus Woll-Ziest und Goldrute. Auf dem Schienenareal entwickelte sich
schnell ein richtiges Biotop aus Iris, Schlüsselblume, Gänseblume, wilder Möhre –
ironischerweise allesamt "Immigranten" aus Europa und Asien. Den New Yorkern
war das egal. Schließlich ist in der Stadt jeder ein "fremder Fötzel". Das vergandete
Bahntrassee ist heute ein offizieller Park, der sich als grünes Band durch Manhattan
zieht: die sogenannte High Line.

2011 veröffentlichten 19 Wissenschaftler einen Kommentar in der Zeitschrift Nature:
"Beurteilt Arten nicht nach ihrer Herkunft", forderten sie. Und riefen dazu auf, das
"Vorurteil gegenüber nichtheimischen Arten aufzugeben". Sie seien in den letzten
Jahrzehnten verteufelt worden, weil sie angeblich die "geliebten heimischen Arten"
bedrohen und die Umwelten verschmutzen würden.

Nun ist bekanntlich Schmutz lediglich Materie am falschen Ort; und Unkraut nur
Kraut am falschen Ort. Aber aus der Sicht der Pflanze gibt es keine "falschen" Orte.
Die Natur kennt weder Inland noch Ausland. Ökologie heißt immer auch Störung des
ökologischen Gleichgewichts. Bei allen keineswegs zu verharmlosenden Schäden
durch das Unkraut wäre gerade es als Memento geeignet: Fremd wird, was nicht ins
gängige Weltbild passt. Die Natur als Projektionsfläche unserer politischen Ängste.
So ist die Unkraut-Debatte zuallererst nicht eine ökologische, sondern eine
ideologische. Gerade in der Schweiz. Ein Leserbriefschreiber weist darauf hin, dass in
einer indigenen, Stadtzürcher Hecke "mehr Gekreuche und Gefleuche rumwusselt"
als in einem fremden Kischlorbeer.

Sogar ins Bundesparlament wurde die biologische Metaphorik eingeschleppt. Im Jahr 
2009 reicht SVPNationalrat Dominique Baettig eine Interpellation ein. Er fragt den Bundesrat, 
wie hoch denn die "Folgekosten des Eindringens gebietsfremder Arten" seien?  Baettig
beruft sich auf eine gesamteuropäische Studie. Sie berechnete die zu erwartenden 
Schäden und Kosten, die durch die "Ausmerzung eingeschleppter Pflanzen"
verursacht werden.  Doch der SVP-Mann ging noch weiter. In seiner Anfrage steht:
"Könnte der Bundesrat,  ähnlich wie für die Tier- und Pflanzenarten, eine Einschätzung der
ökologischen,  wirtschaftlichen und sozialen Kosten der Migrationsbewegungen (..)
durchführen?"  Ja, damit seien Menschen gemeint, sagt Baettig, als man nachfragt

Unkraut löst Reflexe aus, nicht Reflexion; zumal nicht Reflexion über unsere eigene
Nachlässigkeit im Umgang mit gewissen Pflanzen. Allzu einfach machen uns
Agrartechnologie und -chemie den Kampf gegen ungeliebtes Kraut. Sie entbinden uns
von der Mühe eines tieferen umwelthistorischen und damit kulturhistorischen
Verständnisses. Doch Unkraut vergeht nicht. Wir werden uns mit ihm arrangieren
müssen. Und das wird schwierig. Es bedeutet nämlich, dass wir die praktische
Kontrolle mit einer ökologischen Akzeptanz verbinden müssten. Eine Koevolution
von Eigenem und Fremdem, "Nützlichem" und "Unnützem".

Stattdessen machen wir in einem radikalen Perspektivenwechsel die invasive Pflanze
zur Schuldigen. Und nicht den Menschen, der seit Langem über globalisierte
Verkehrs- und Handelswege die entferntesten Ökosysteme des Planeten erobert. Hier
böte sich ein anderer Blick an. Gerade in der verstädterten Schweiz. Er würde das
Unkraut als mahnenden Indikator betrachten, der uns die Orte anzeigt, wo wir
Menschen unsere Umwelt vernachlässigen: Brachen, Deponien, Autobahnränder,
aufgelassene Industriezonen – all die urbanen und suburbanen Wüsten. Könnte es
also sein, dass die Verunkrautung der Welt und unser verrohender Umgang mit der
Umwelt miteinander zusammenhängen?


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