Mittwoch, 11. März 2015

Risikoumkehr: Gefahr als Rettung




Die Designer von neuer Technik preisen ihre Produkte vorzugsweise im Namen der Sicherheit an. Ein interessantes Gegenprojekt zu diesem Sich-in-Sicherheit-wiegen-durch-Technik ist als „Konzept des umgekehrten Risikos“ bekannt geworden. Das Konzept klingt einfach und einleuchtend. Wo alles geregelt, voraussehbar, ungefährlich erscheint, ist der Hang zur Unachtsamkeit, zum Risiko und Abenteuer auch höher. Macht man daher Dinge und Artefakte „gefährlicher“, wächst unser Gefahrensinn. Ein Beispiel: Die häufigsten Unfälle im Haushalt sind Vergiftungen und Stürze. Was, wenn man nun etwa Badewannen oder Treppen rutschiger aussehen lässt oder bestimmte Substanzen als „gefährdernder“ markiert als sie in Wirklichkeit sind? Würde man dadurch nicht auch unsere Aufmerksamkeit und unseren „Respekt“ für sie schärfen? Wie der Technikdesigner Donald Norman schreibt:
„Wir leben heute zu bequem, zu sehr isoliert von den Gefahren und Risiken (..)  im Umgang mit komplexen, mächtigen Maschinen. Wenn Motorräder und Automobile, wenn Geräte und Substanzen so riskant erscheinen wie sie sind, würden die Leute vielleicht ihr Verhalten entsprechend ändern. Wenn aber alles schalldicht abgedämpft, gepuffert und keimfrei ist, sind wir der realen Risiken nicht mehr gewahr. Deshalb müssen diese Risiken wieder auf eine realistische Art ins Bild gerückt werden.“[1]

Was das konkret heisst, zeigt ein Experiment im öffentlichen Raum: shared space. Es geht von geradezu „revolutionären“ Gedanken aus, dass der Mensch die Verantwortung für seine Mobilität entdeckt. Hans Mondermann: „ Shared space gibt den Leuten die Verantwortung für ihre Bewegungsformen zurück. Der Verkehr ist nicht mehr durch Signale geregelt, die Leute regeln ihn selber. Und genau dies ist die Idee. Strassenbenutzer sollten aufeinander achten und zu ihren gewöhnlichen Manieren im Alltagsverkehr zurückkehren. Die Erfahrung zeigt, dass die Zahl der Unfälle durch eine solche Massnahme rückläufig ist.“[2]

Mit welcher Reserve man diese Idee auch zur Kenntnis nimmt – sie stellt das übliche Konzept vom Kopf auf die Füsse, vom Sicherheits- zum Unsicherheitsdenken sozusagen. Dahinter verbirgt sich aber ein weiterführender Gedanke: Die smartesten Objekte sind jene, die unsere eigene Smartheit ergänzen, statt sie zu ersetzen. Sie bieten eine Intelligenz-Kollaboration an. An ihnen zeigt sich im Übrigen der Imperativ der Techniknutzens: Lass die Geräte nicht nur auf unbewusster Ebene auf dich wirken, sondern hebe den Gebrauch auf die reflexive Ebene. Das Problem ist nicht die Technik, sondern ihr unbewusster – viszeraler – Gebrauch.




[1]   Donald Norman: The Design of Future Things, Es bewahrheitet sich hier eigentlich in vollem Umfang, was Arnold Gehlen bereits vor über einem halben Jahrhundert klar sah. Zu den sozialpsychologischen Befunden einer durchautomatisierten Gesellschaft zählte er auch den „Verlust eines Realitätsinnes“: „..eine von der Industrie umgeschaffene, durchtechnisierte Aussenwelt, in der sich Millionen von ichbetonten, selbstbewussten und auf Anreicherung ihres Erlebens bedachten Menschen bewegen und für die das folgenlose, verpflichtungslose Lebendigwerden an irgendwelchen ganz beliebigen Reizen und Eindrücken (..)  nichts Fragwürdiges ist..“ (Arnold Gehlen: Die Seele im technischen Zeitalter, S.63)
[2]   Hans Mondermann www.shared-space.org

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