Donnerstag, 22. Mai 2025


NZZ, 21.5.25


Der rückschrittliche Futurismus von Silicon Valley 

Elon Musk gefällt sich in der Rolle des unbändigen – manche sagen: puerilen - Futuristen. Er investiert in alles, was mit Zukunft konnotiert ist: Roboter, KI-Systeme, Elektroautos, Schnellbahnen, Raketen, Satelliten, Neuroimplantate, Genetik, soziale Netzwerke, wahrscheinlich bald auch Quantencomputer. Aber so «visionär» wie er sich geriert, ist Elon Musk gar nicht. Sein Futurismus erweist sich genauer betrachtet nicht als zukunftsorientiert, sondern als Rückfall in die Vergangenheit, vor mehr als hundert Jahren. 

Und aus dieser Vergangenheit taucht jetzt sein Grossvater Joshua Haldeman auf, ein Chiropraktiker, Amateurflieger und Verschwörungstheoretiker aus Kanada. Zu einiger Bekanntheit gelangte er als Führungsmitglied einer politische Bewegung namens Technocracy Incorporated, die den Ersatz der Demokratie durch eine Autokratie von Ingenieuren und Wissenschaftlern anstrebte. Unter deren Herrschaft würde Nordamerika zu einem «Technat». Zeitweise trug man sich mit der Idee, Kanada und Mexiko zu annektieren. 

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Der Reiz einer solchen Vision wird einigermassen verständlich vor dem Hintergrund der Grossen Depression in den 1920er Jahren. In den Augen der Technokraten war die liberale Demokratie gescheitert. In der neuen Welt des Technats würden nur Fachleute die nötige Intelligenz aufweisen, um all die imminenten technischen und industriellen Probleme zu lösen. Eine technokratische Truppe würde die Staatsdienste eliminieren. Das weckt heute Assoziationen an das ominöse «Department of Government Efficiency» (DOGE), die Abteilung zum Abholzen der Bürokratie (Kettensäge-Symbolik), bestehend vor allem aus einer Gang von Musk-hörigen jungen Musketieren aus der Technobranche. 

Die technokratische Bewegung fiel so schnell in sich zusammen wie sie sich verbreitet hatte. Sie zerfaserte in zahlreiche rivalisierende Faktionen. Die Technokraten hielten nicht viel von politischen Parteien und Prozeduren. Der Hauptgrund für ihr Scheitern aber war – der Erfolg der Demokratie. Franklin D. Roosevelts New Deal führte zu einem politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbruch, der die technokratische Bewegung bald einmal marginalisierte. 

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Aber so leicht verschwindet die Idee der technokratischen Erneuerung der Gesellschaft nicht aus den Köpfen. 2023 verfasste der Netscape-Entwickler und schwerreiche Musk-Spezi Marc Andreessen ein «techno-optimistisches Manifest», in dem er das Aufkommen von Techno-Supermännern beschwört. Man liest darin zum Beispiel: «Wir können zu einer weitaus höheren Lebens- und Daseinsweise fortschreiten. Wir haben die Werkzeuge, die Systeme, den Willen. Wir glauben, dass unsere Nachkommen in den Sternen leben werden. Wir glauben an die Grösse. Wir glauben an den Ehrgeiz, an die Agression, die Hartnäckigkeit, die Unbarmherzigkeit, die Stärke.»

Die Tonalität weckt ungute Erinnerungen. Zu den Inspiratoren seines Elaborats zählt Andreessen den italienischen Schriftsteller Filippo Tommaso Marinetti, der 1909 sein de-lirantes «futuristisches Manifest» schrieb. Er hämmerte Sätze wie: «Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag (..) Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert, (..) Wir wollen den Krieg verherrlichen - diese einzige Hygiene der Welt -, den Militarismus, den Patriotismus,  die Vernichtungstat der Anarchisten (..) und die Verachtung des Weibes.» Zehn Jahre später gründete ein politisches Wildtier namens Mussolini eine Bewegung, die von einem solchen Testosteronrausch getragen war. 

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Historische Parallelen sind immer heikel. Wenn jetzt aber Musk Donald Trumps Wahl grosssprecherisch als eine «Gabelung auf dem Weg der menschlichen Zivilisation» verkündet, dann muss man auch jene Gabelung erwähnen, die sich in den frühen 1930er Jahren zwischen der demokratischen und der technokratischen Konstellation das Gleiche passiert. Wie die Historikerin Jill Lepore jüngst in einem instruktiven Essay in der New York Times schreibt , zeuge Musks Futurismus «von einem tiefen Mangel an politischer Imagination, von der Beharrlichkeit der Technokratie, und der Hybris von Silicon Valley.»

Technischem Fortschritt eignet die Tendenz zur Antidemokratie. Musk und Konsorten investieren in eine Zivilisation der «überlegenen» Menschen, sprich: der überlebenstüchtigen und stinkreichen Techies. Sie bereiten unverhohlen den plutokratischen Takeover vor. Die Chancen stehen gut, dass politische und unternehmerische Rücksichtslosigkeit, gestützt durch Mega-Technologie, dem alten Projekt von Musks Grossvater und seinesgleichen zum brachialen Durchbruch verhelfen könnte. Es gibt heute keinen New Deal. 


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