Sonntag, 13. August 2023

 

                       David Chalmers                              Christof Koch


Das «harte Problem» des Bewusstseins

Integrierte Information, Quantendekohärenz, Emergenz… und was noch?

Was ist Bewusstsein? Vor 25 Jahren stritten ein Neurowissenschaftler und ein Philosoph über diese faszinierende und zugleich frustrierende Frage. Der Neurowissenschaftler Christof Koch vertrat die These, dass das Phänomen des Bewussteins auf der Basis neurophysiologischer Vorgänge erklärbar sei. Dagegen erhob der damals kaum bekannte junge australische Philosoph David Chalmers den kecken Einwand, dass der neurophysiologische Kenntnisstand allein, und mag er noch so hoch sein, nicht erklären könne, wie Bewusstsein aus Gehirnprozesses «auftaucht». Und er prägte einen mittlerweile notorischen Begriff für diese Unzulänglichkeit: das «harte Problem» des Bewussteins. Koch ging mit Chalmers eine Wette ein: Im Jahre 2023 würde man ein neuronales Muster entdeckt haben, das dem Bewusstsein zugrundeliegt, das harte Problem also gelöst sein. Wettgewinn: Eine Kiste Wein. Chalmers erhielt sie im Juni 2023. 

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Das harte Problem ist nicht neu. Wir «verdanken» es in moderner Fassung der Philosophie von René Descartes. Schon bei ihm stand das Gehirn im Fokus. Er spekulierte darüber, wie dieses Organ Gedanken hervorbringen kann. In der mechanistischen Weltsicht entpuppte sich Bewusst-sein als eine «okkulte» Eigenschaft des Gehirns. Und obwohl Descartes sich seinen genialen Kopf zerbrach, fand er letztlich keine befriedigende Erklärung dafür, wie ein Gedanke – etwas «Unausgedehntes», Nicht-Mechanisches - dem Gehirn – etwas «Ausgedehntem», Mechanischem - entspringt. Er hat das Problem der modernen Gehirnforschung vererbt. Und sie bekundet auch mit entwickelten Theorien ihre liebe Mühe.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Problemstruktur. Sie ist einfach. Man geht aus von Eigenschaften X1, X2, X3… der Materie – des Gehirns - , und versucht, ein Phänomen – Bewusst-sein - zu erklären, das daraus resultiert, aber X1, X2, X3… nicht hat. Es übersteigt gewissermassen den Horizont dieser Eigenschaften. Das Gehirn hat eine Masse, eine chemische Zusammensetzung, eine elektrische Leitfähigkeit et cetera pp. – was man vom Gedanken, der ihm entstammt, nicht sagen kann. Gewiss, Bewusstsein «hat etwas zu tun» mit einem neuronalen Muster, aber der Umkehrschluss, dass dieses Muster allein bewusstes Verhalten erklärt, ist ein reduktio-nistischer Erz-Irrtum. 

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Sind wir heute weiter gekommen? Die Fortschritte der Gehirnforschung sind beeindruckend. Heute machen sich neurokybernetische Modelle anheischig, Descartes’ Problem zu «lösen». Ein prominentes  stammt von Christoph Koch und Guido Tononi: die  «integrierte Informationstheorie» (IIT).  

Die Grundidee: Bewusste Zustände sind differenziert und integriert. Als bewusste Wesen sind wir fähig, eine Vielzahl von Eindrücken zu unterscheiden und doch nehmen wir in ihnen etwas als gestalthaftes Ganzes wahr. Ein Smartphone kann eine gewaltige Pixelmenge speichern und in der darin enthaltenen Information Unterscheidungen vornehmen. Das aber genügt nicht, die Pixel müssen auch miteinander verknüpft sein, zu Mustern «integriert». Bewusstseinszustände entstehen, so die These, bei einer gewissen Dichte an differenzierter und integrierter Information – man könnte auch sagen: Komplexität - eines beliebigen Systems. Tononis Theorie definiert eine Masszahl für diese Dichte, in Bits. Sie wird als «Phi» (Φ) bezeichnet. 

Es gibt also für Tononi graduelle Bewusstheit. Phi misst, wie viel integrierte – und damit bewusste – Information ein System enthält, sei es nun organisch, anorganisch oder künstlich. Bewusst-sein ist eine Eigenschaft wie Masse, Schmelzpunkt, Speicherkapazität, Blutdruck oder eben: Komplexitätsgrad eines beliebigen Systems. Tononi spielt im Besonderen mit der Idee eines «Phi-Meters», der für jedes System einen spezifischen Wert berechnet: Menschen, Katzen, Google-Autos, Smartphones. Was sagt uns dieser Wert? Angenommen, man präsentiert mir ein beliebiges System. Ich messe seinen Phi-Wert. Hat es ein Bewusstsein? Nein, nur einen Phi-Wert. Der Zusammenhang zwischen Phi-Wert und Bewusstsein wird einfach stipuliert, nicht erklärt. Das harte Problem bleibt. 

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Natürlich darf die magistrale Erklärerin Quantentheorie nicht fehlen. Der Physiker Roger Penrose und der Anästhesiologe Stuart Hameroff haben ihre eigene Erklärung des Bewusstseins entwickelt. An neurophysiologischen Prozessen sind Mikroobjekte beteiligt, bei denen sich (unter Umständen) Quanteneffekte bemerkbar machen. Hameroff vermutet einen wichtigen Ort für neuronale Quantenereignisse in so genannten Mikrotubuli. Es handelt sich um Proteinfäden, die innerhalb der Nervenzellen als molekulare Informationsübermittler fungieren. Die Hypothese von Penrose und Hameroff lautet, dass Mikrotubuli genügend klein sind, um Quanteneffekte zu zeigen. Das heisst, die Zustände vieler Mikrotubuli können sich zum Gesamtzustand eines verschränkten Quantenobjekts überlagern. Der Kollaps dieses Gesamtzustands – im Jargon: der Dekohärenz -,  manifestiert sich als Bewusstsein.

Spekulation auf hohem Seil, sagen nicht wenige. Erstens ist unklar, ob Mikrotubuli eine zentrale Rolle in Bewusstseinsvorgängen spielen. Zweitens beruft sich Pensose auf eine «modifizierte» neue Quantentheorie, die nach seiner Ansicht die Gravitation auf neurobiologischer Ebene einführen würde und diese Vorgänge erklären könnte. Aber die Theorie existiert (noch) nicht. Überdies herrscht unter Physikern alles andere als Einigjkeit über den Begriff der Dekohärenz.  Das Vorhaben von Penrose erinnert ein wenig an das alte Projekt der Alchemisten mit ihrer Devise: Ignotum per ignotius – das Unbekannte aus noch weniger Bekanntem erklären. In diesem Zusammenhang schwebt mir immer ein Bild des amerikanischen Cartoonisten Stanley Harris vor Augen. Zwei Wissenschaftler stehen vor einer Wandtafel. Links ein Haufen Formeln, rechts ein Haufen Formeln. Die Forscher diskutieren offensichtlich die Frage, wie man von links nach rechts gerät. Als Missing Link steht dazwischen der Satz: «Dann geschieht ein Wunder..». Der zweite Forscher sagt zum ersten: «Ich glaube, Sie sollten in diesem Schritt etwas expliziter sein».

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Um noch einmal auf die «harte» Problemstruktur zurückzukommen. Ein System besteht aus Elementen. Diese haben eine Reihe von Eigenschaften. Im System als Ganzem manifestiert sich eine neue Eigenschaft, die sich nicht auf die elementaren zurückführen lassen. Man spricht von «Emergenz».  Wasser ist nass, ein Wassermolekül ist nicht nass. Bewusstsein ist eine Eigenschaft, die aus dem Kollektivverhalten der Neuronen emergiert. Die Neuronen sind nicht bewusst. 

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich der Emergenzbegriff als Hoffnungsträger in der Erklärung von vielen komplexen Phänomenen angeboten, von der Physik und Chemie, über Biologie und Neurowissenschaft bis zur Soziologie und KI-Forschung.  Das Problem ist allerdings gerade sein explikatives Vermögen. Wenn wir sagen «Bewusstsein emergiert aus neuronalen Prozessen», dann machen wir eine Beobachtung, und bekunden zugleich unsere Ignoranz. Das heisst, wir liefern keine Erklärung. Wir wissen nicht wie und warum dies geschieht. Eine Emergenztheorie des Bewusstsens müsste ja die Eigenschaft «Bewusstsein» aus dem Verhalten der Elemente eines neuronalen Netzes voraussagen können. Wie soll man aber etwas voraussagen, das man erst kennt, wenn es «aufgetaucht» ist? 

Neulich las ich einen kleinen, sehr aufschlussreichen Essay: «Emergenz ist keine Erklärung, sondern ein Gebet».  Der Titel sagt alles. Die Theorien des Bewusstseins, die wir bis heute kennen, sind Theorieversprechen. Ein leeres? Werden sie je etwas anderes sein? Ich weiss nicht, ob Koch und Chalmers eine neue Wette eingehen.







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