WOZ, 18.8.2016
Über die
Beglückung des Planeten
Glück ist
heute ein pharmatechnologisches Produkt, ergo ein bewirtschaftbares Gut. Die Neurochemie
rückt dem Unglücklichsein zu Leibe. Damit verwandelt sie vorab die
Befindlichkeit einer Person in den Befund eines Organismus. Man sucht nicht
primär nach Gründen für das Unglücklichsein, sondern nach Symptomen, die man
mit neurochemischen Mitteln bekämpft. Ein solches Verständnis von Depressionen
liegt natürlich ganz im Interesse einer mächtigen Industrie, für die der
mentale Zustand des Menschen primär eine Quelle der Profitmaximierung
darstellt. Nur keine falschen Pietäten! Zum Unglücklichsein gibt es keinen
Grund, wenn ein gutes Pharmakon dagegen existiert.
Man kann
eine Art von Mittel-Zweck-Umkehr feststellen. Traditionell hatte man es mit
einer Krankheit zu tun, und man entwickelte ein Mittel dagegen. Neuerdings ist
die Allianz von Wirtschaft und Medizin so mächtig, dass man sich fragen kann,
ob Arzneimittel produziert werden, um Krankheiten zu behandeln, oder ob
Krankheiten nun von den Arzneimitteln definiert werden, um einen entsprechenden
Markt zu etablieren. Antidepressiva zum Beispiel kennt man seit gut einem
halben Jahrhundert. Seither beklagen immer mehr Menschen depressive Symptome.
In den USA soll es sich um gut einen Drittel der erwachsenen Bevölkerung
handeln.
Die normative Macht des Pharmakons
Die
Psychopharmaka werden nicht nur ständig verfeinert und verbessert, sie führen
auch zu dem, was man die normative Macht des Medikaments nennen kann. Es
definiert den Zustand der Normalität. Wenn man also über immer wirksamere Antidepressiva
verfügt, dann ist es nicht „normal“, lange in depressivem Zustand zu bleiben.
Man schluckt das Mittel, und wer das nicht tut, riskiert, als mental „gestört“
klassifiziert zu werden. Eines der massgebenden medizinischen Klassifikationssysteme
– das „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM) – listet
die Symptome solcher Gestörtheit auf. Der Leitfaden wird vom einflussreichen Fachverband
der amerikanischen Psychologen - der
„American Psychiatric Association“ (APA) -
herausgegeben, dessen Budget sich zur Hälfte von der Pharmaindustrie
speist. Im elfköpfigen Beratungskomitee der neuesten, der fünften Ausgabe des
DSM sitzen acht Experten mit engen Beziehungen zur Big Pharma. Sie haben eine
nicht unwesentliche Definitionshoheit über psychische Krankheiten. Angesichts
immer wirksamerer Antidepressiva wie zum Beispiel Wellbutrin hat die APA
befunden, mehr als zwei Wochen Unglücklichsein nach dem Tod eines nahestehenden
Menschen sei nicht normal, sondern Symptom eines „gestörten“ Geisteszustands.
Trauern wird also zum Gesundheitsrisiko.
Glück als Humankapital
Glück gehört
zum Humankapital. Es ist ein Faktor der Selbstoptimierung, wie etwa auch Achtsamkeit
(Mindfulness), digitale Entgiftung, kognitive Therapie,
Stressreduktionstechniken. Glück kann, wie dies einer der Schöpfer des Begriffs
des Humankapitals, der einflussreiche Ökonom Gary Becker, ausdrückte, „augmentiert“
werden. Beckers Theorie lässt sich als eine Art von ökonomischem
Existenzialismus betrachten: Der Mensch ist das, was er in sich investiert. Erziehung
zum Beispiel ist eine strategische Investition in sich selbst. Persönliche Beziehungen
sind Wirtschaftverträge mit Kosten und Nutzen für die Partner. Auch Glück ist
eine solche Investition: ein Asset, eine innere Kapitalanlage. Glück, so lautet
das Mantra, kann man wählen. Coca Cola verwendet es in seiner Werbung: Open
Happiness; mit der Flasche öffnest du das Glück. Nike schlägt die gleiche
Richtung ein mit „Just do it“: Kauf es einfach und du wirst glücklich. Solche
Botschaften sind branchenüblich scheinheilig. Sie gaukeln dem Konsumenten ein
Happy-Go-Lucky-Leben und eine Entscheidungsfreiheit vor, die er im Grunde nicht
hat. Ohnehin klingen solche Sprüche in einer Welt zunehmender ökonomischer
Machtballung und Ungleichheit nur noch höhnisch: Du hast die Wahl - zwischen
verschiedenen Formen von Abhängigkeit.
Chief Happiness Officer
Das Glück
ist jedenfalls zu wichtig, um dem Zufall überlassen zu werden. Schlechte
Stimmung schadet dem Geschäft. Ein glücklicher Arbeiter ist ein produktiver
Arbeiter. Ein ganzer Berufsfächer von pfiffigen Glücksvermehrern hat sich
geöffnet, die uns in jedem Weiterbildungskurs und Managementseminar aufzeigen,
welch Glückspotenzial und -kapital in uns liegt und zu fördern wäre, koste es,
was es wolle. Da ist zum Beispiel der Glückschef oder Chief Happiness Officer,
kurz: CHO. Eine wachsende Zahl von Unternehmen beschäftigt solche professionelle
„Jolly Good Fellows“, welche die Bude spirituell auf Vordermann bringen sollen.
Bei Google war es bis vor kurzem der Software-Designer Chade-Meng Tan. Er bietet
den Angestellten ein „mindfullness training“ an, das hilft, inneren Frieden und
klaren Geist zu finden, um dadurch Stress und Negativität zu entgehen. Herr Tan
hat sogar eine Suchmaschine für innere Zustände entwickelt: Search Inside
Yourself (SIY). Man findet mit ihr vor
allem einen Rezepte-Mix aus Fernostweisheit und Resultaten aus der Forschung
über emotionale Intelligenz. Einsichten aus dem Repertoire eines Grüssaugusts wie:
Wann immer du jemandem begegnest, sollte dein erster Gedanke sein: Ich möchte, dass
diese Person glücklich ist! Herr Tans Kurse erfreuten sich unter Google-Leuten einer
solchen Beliebtheit, dass er sich nun einem höheren Ziel zuwendet. Für ihn ist
SIY nicht weniger als ein Mittel, den Weltfrieden herbeizuführen. Wer will es
ihm verargen, dass er auch auf den Nobelpreis schielt.
World-Happiness-Index
In den
letzten Dekaden lag die menschliche Kognition im Fokus der Psychologen und
Hirnforscher. Nun gewinnt die menschliche Emotionalität zunehmend an Bedeutung.
Es ist die Rede von Bruttonationalglück oder vom World-Happiness-Index (auf dem
die Schweiz nota bene den zweiten Platz hinter Dänemark einnimmt[i]).
In dieser Bedeutungsverschiebung spiegelt sich durchaus auch ein Interesse am
Wissen über die Manipulierbarkeit der Kunden, Patienten, Wähler, Sportler,
Arbeitnehmer. Wie es scheint, lässt sich der Mensch über das Gefühl besser
„anschubsen“ als über den Verstand. Wie also ihn beeinflussen, damit er das
Gewünschte tut, ohne es zu merken? Das ist die Zentralfrage der „Schubser“: der
Marktforscher, Politstrategen, Betriebspsychologen, ökonomischen Behavioristen.
Für sie ist Glück der geschäftsfördernde Faktor par excllence, der Schlüssel zu
Macht, Geld, Status. Und hier bricht ein tiefer Widerspruch auf.
Prekäre Arbeitsverhältnisse
Es ist kaum
wegzudiskutieren, dass die globale ökonomische Dynamik auch weltweit zu einem
psychischen Malaise führt. Millionen von Arbeitenden unter prekären Verhältnissen
in den sogenannt entwickelten Gesellschaften fühlen sich unwohl, und sie möchten
sich von „gutmeinenden“ Beratern und Glückstechnologen auch nicht zum
Wohlfühlen überreden lassen. Wenn Frauen und Männer unter bestimmten Arbeits-
und Lebensbedingungen nicht aufblühen, dann tun sie dies wahrscheinlich auch
nicht, wenn man sie mit den wirksamsten Therapien und Pharmaka traktiert und vollpumpt.
Dann stellt sich die Frage, ob wirklich das Individuum krank ist oder nicht
vielmehr die Gesellschaft, in der es lebt und arbeitet. Anders gesagt: Mit dem
psychologischen und psychotherapeutischen Blick auf das Glück riskiert man eine
Aufmerksamkeitsverschiebung weg vom Sozialen und Politischen, und damit weg von
wichtigen äusseren Mitursachen einer inneren Krise. Immerhin kennt man ja durchaus
einige Arbeitsbedingungen, die das Glück nicht notwendig fördern. Man weiss zum
Beispiel, dass Arbeit, über die man
keine Kontrolle hat, ziemlich unwohl macht und auch das Risiko zu Herzattacken
erhöht. Unter solchen Bedingungen nimmt die Arbeitsmoral Schaden. Und auch die
Wirtschaft. In den USA verursachen Krankheiten, häufiges Fernbleiben vom
Arbeitsplatz (Absentismus) oder auch unnötig langes Verharren am Arbeitsplatz
(Präsentismus) Gesundheitskosten in der Höhe von 550 Milliarden Dollar.
Das gute Leben – eine Frage der Neurochemie?
Arbeitsmoral
aber lässt sich nicht einflössen wie ein Aufputschmittel. Nach dem Börsencrash
2008 postulierten Psychologen, nicht das Finanzsystem sei das Problem gewesen,
sondern die Gehirne der Börsianer. Die Wall Street soll unter den falschen
Neurochemikalien kollabiert sein; zuviel Testosteron in zuvielen Traderhirnen,
zuviel Koks in zuvielen Bankerhirnen. Angeblich hatte man auf der Basis von
Hirnscans von Börsenmaklern ein Psychopharmakon entwickelt, welches zu
effizienterer Entscheidungsfindung verhelfen sollte. Und dieses Mittel habe
nicht richtig funktoniert. Man kann an einer solchen Vermutung zweifeln, ja,
sie lächerlich finden, jedenfalls drückt sie die implizite Mentalität aus, dass
sich auch elende soziale und politische Zustände durchstehen lassen, wenn man
nur richtig gedopt ist. Und dahinter verbirgt sich die verführerische Tendenz
unseres Zeitalters, die Frage nach dem guten Leben durch die Frage nach der
richtigen Neurochemie zu ersetzen. Davor spannt man die zynische Logik: Wenn
die herrschende Form des Kapitalismus den Bedürfnissen vieler Menschen nicht
entspricht, dann muss man diese Menschen halt ändern, um den Bedürfnissen
dieses Kapitalismus’ zu entsprechen. -
Etwas ist faul an der Weltbeglückung
Vielleicht
sollte man vor dem Hintergrund der Weltbeglückung einen zweiten Blick auf die
Frage werfen, ob denn Unglücklichsein immer als Krankheit oder Störung zu
betrachten sei. Im Unglücklichsein steckt ja auch der Keim der Kritik, also
eines Denkanlasses. Man fragt nach Ursachen, Gründen, nach Verantwortlichen,
ja, Malefikanten. Unglücklichsein kann sich durchaus in kritischem Diskurs
artikulieren, statt als Symptom wegbehandelt zu werden. Dazu muss eine Sprache
entwickelt werden, die sich nicht in verhaltensökonomischer und neurochemischer
Konditionierung erschöpft; die einem „Diskurs des Unglücklichseins“ Vorschub
leistet: Analyse durch Denken, nicht Paralyse durch Wohlfühlen und Liken. Es
gibt eine Menge von Autorinnen und Autoren, die an einer solchen Sprache
arbeiten. Um hier nur ein paar zu nennen: Joseph Stiglitz mit „Der Preis der
Ungleichheit“; Richard Wilkinson und Kate Pickett mit „Gleichheit ist Glück“,
Tim Kasser mit „The Price of Materialism“ und neuerdings Will Davies mit „The
Happiness Industry“.
There is no alternative – wirklich?
Das
herrschende Wirtschaftssystem kann Unglücklichsein nicht dulden. Die Ausmerzung
dieses Zustands gehört deshalb zur systemerhaltenden Aufgabe. Mit der Bewirtschaftung
des Glücks absorbiert der Kapitalismus gleich auch die Kritik an ihm. Im Kern
haben wir es also mit einem fundamentalen Problem zu tun. Für nicht wenige
Verfechter des vorherrschenden Wirtschaftssystems – nennen wir es der Einfachheit
halber das neoliberale - sind alle entscheidenden Fragen bereits beantwortet.
Die Regeln des ökonomischen Spiels werden als Quasi-Naturgesetze interpretiert.
Das erinnert an die Lage vor fünfzig Jahren, als Herbert Marcuse „Der eindimensionale
Mensch“ schrieb. Diese Eindimensionalität hat sich nunmehr verfestigt zum Axiom:
Es gibt kein anderes System – there is no alternative. Wirtschaftsleute und
Politiker beten unablässig dieses Mantra herunter, wie einen Gegenzauber, der
sie vor dem schützt, was sie am meisten befürchten: dass nämlich die Menschen
ihr Unglücklichsein nicht als Geistesstörung begreifen, sondern als Gestörtheit
des ökonomischen und politischen Systems. Unter dem Glücksimperativ – sei er
kapitalistisch oder wie auch immer geartet – missglückt uns jedenfalls das
Leben.
[i] http://www.sciencealert.com/the-world-happiness-index-2016-just-ranked-the-happiest-countries-on-earth
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