Mittwoch, 9. April 2025


Musks retrograder Futurismus 

Elon Musk gefällt sich in der Rolle des unbändigen Futuristen – des «utopischen Anarchisten». Er investiert in alles, was mit Zukunft konnotiert ist: Roboter, KI-Systeme, Elektroautos, Schnellbahnen, Raketen, Satelliten, Neuroimplantate, soziale Netzwerke, wahrscheinlich bald auch Quantencomputer. Aber so «visionär» wie er meist dargestellt wird, ist Elon Musk gar nicht. Sein Futurismus erweist sich genauer betrachtet nicht als der Beginn der Zukunft, sondern als Rückfall in die Vergangenheit, vor mehr als hundert Jahren. 

Und aus dieser Vergangenheit taucht jetzt sein Grossvater Joshua Haldeman auf, ein Chiropraktiker, Amateurflieger und Verschwörungstheoretiker aus Kanada. Zu einiger Bekanntheit gelangte er als Führungsmitglied einer politische Bewegung namens Technocracy Incorporated, die den Ersatz der Demokratie durch eine Autokratie von Ingenieuren und Wissenschaftlern anstrebte. Unter deren Herrschaft würde Nordamerika zu einem «Technat». Zeitweise trug man sich mit der Idee, auch Kanada und Mexiko zu annektieren. Im Technat tragen die Menschen keine Namen, sondern Nummern. Mister Haldeman war Nummer 10450-1. 

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Der Reiz einer solchen Vision wird einigermassen verständlich vor dem Hintergrund der Grossen Depression in den 1920er Jahren. In den Augen der Technokraten war die liberale Demokratie gescheitert. In der neuen Welt des Technats würden nur Ingenieure und Wis-senschaftler die nötige Intelligenz aufweisen, um all die technischen und industriellen Probleme zu lösen. Eine technokratische Truppe würde die Staatsdienste eliminieren. Das weckt heute Assoziationen zum «Department of Government Efficiency» (DOGE), einer Abteilung zum Kahlschlag der Bürokratie, bestehend vor allem aus Musk-hörigen jungen Musketieren aus der Technobranche. 

Die technokratische Bewegung fiel so schnell in sich zusammen wie sie sich verbreitet hatte. Sie zerfaserte in zahlreiche rivalisierende Faktionen. Die Technokraten hielten nicht viel von politischen Parteien und Prozeduren. Der Hauptgrund für ihr Scheitern aber war – der Erfolg der Demokratie. Franklin D. Roosevelts New Deal führte zu einem politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbruch, der die technokratische Bewegung bald einmal marginalisierte. 

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Aber so leicht verschwindet die Idee der technokratischen Erneuerung der Gesellschaft nicht aus den Köpfen. Die Zeit scheint vielmehr geradezu überreif für sie zu sein. 2023 verfasste der Musk-Spezi Marc Andreessen ein «techno-optimistisches Manifest», in dem er das Aufkommen von Techno-Supermännern beschwört. Man liest darin zum Beispiel: «Wir können zu einer weitaus höheren Lebens- und Daseinsweise fortschreiten. Wir haben die Werk-zeuge, die Systeme, den Willen. Wir glauben, dass unsere Nachkommen in den Sternen leben werden. Wir glauben an die Grösse. Wir glauben an den Ehrgeiz, an die Agression, die Hartnäckigkeit, die Unbarmherzigkeit, die Stärke.»

Die Tonalität weckt ungute Erinnerungen. Zu den Inspiratoren seines Elaborats zählt Andreessen den italienischen Schriftsteller Filippo Tommaso Marinetti, der 1909 sein delirantes «futuristisches Manifest» schrieb. Er hämmerte Sätze wie: «Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag (..) Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert, (..) Wir wollen den Krieg verherrlichen - diese einzige Hygiene der Welt -, den Militarismus, den Patriotismus,  die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.» Zehn Jahre später gründete ein politisches Wildtier namens Mussolini eine Bewegung, die von einem solchen hormonellen Rausch getragen war. 

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Ich zögere, historische Parallelen zu ziehen. Wenn jetzt aber Musk mit Donald Trumps Wahl eine «Gabelung auf dem Weg der menschlichen Zivilisation» vor uns sieht, dann ist es angebracht, auf die Gabelung in den frühen 1930er Jahren hinzuweisen, die sich zwischen dem demokratischen und dem technokratischen Weg auftat. Amerika hat damals den ersten Weg eingeschlagen, was uns nicht zum Trugschluss verleiten sollte, dass in der heutigen Konstellation das Gleiche passiert. Wie die amerikanische Historikerin Jill Lepore kürzlich in einem instruktiven Essay in der New York Times schreibt , zeuge Musks Futurismus «von einem tiefen Mangel an politischer Imagination, von der Beharrlichkeit der Technokratie, und der Hybris von Silicon Valley.»

Technischer Fortschritt tendiert zu antidemokratischem Rückschritt. Musk und Konsorten investieren in eine oligarchische Zukunft. Sie bereiten den technokratischen Takeover vor. Die Chancen stehen gut, dass politische Phantasielosigkeit und unternehmerische Rücksichtslosigkeit, gepaart mit Mega-Technologie, dem alten Projekt zum brachialen Durchbruch verhelfen könnten. Es gibt heute keinen New Deal. 

Samstag, 5. April 2025



The Message is the Massage

Über die Krise der epistemischen Autorität

Wenn ich einer anderen Person etwas mitteilen will, will ich sie überzeugen, einschüchtern, täuschen, für mich gewinnen; ich will sie «kneten» - griechisch: «mássein». Das heisst, Informieren und Massieren sind zwei Seiten ein und desselben Vorgangs. The Message is the Massage. Am eindeutigsten beobachtbar in der Werbung. Hier «knetet» die Botschaft immer. 

Die These ist nicht neu. Der Titel von Marshall McLuhans berühmtem Buch lautete bekanntlich nach einem Fehler des Schriftsetzers «The Medium is the Massage.» Der Untertitel hob den Kernpunkt hervor: «Ein Inventar an Effekten». Später doppelte Paul Watzlawick mit einer weiteren These nach: Es ist unmöglich, nicht zu kommunizieren. Was man auch interpretieren kann als: Es ist unmöglich, nicht zu manipulieren. Schliesslich schrieben die Evolutionsbiologen John R. Krebs und Richard Dawkins in einem wegweisenden Aufsatz: «Wir unterscheiden zwei Ansichten der Evolution von Tiersignalen. Die eine, die wir als die klassische bezeichnen, betont die Kooperation zwischen Individuen. (..)  Die andere Ansicht, die wir vertreten, betont die Kompetition (..) Die Selektion bevorzugt Individuen, die das Verhalten anderer Individuen erfolgreich manipulieren, sei dies zu deren Vorteil oder Nachteil.»

Tiere haben das Vermögen des «Unehrlichseins». Die eine Art entwickelt Fähigkeiten und Eigenschaften, mit denen sie die andere ausstechen kann. Die evolutionären Psychologen proben schon länger eine Umwertung der Werte. Sie sprechen von der Machiavelli-Intelligenz bei Tieren, also von einer erworbenen Fähigkeit, die sich der Strategie des «Massierens» bedient: des Irreführens, Verwirrens, Übervorteilens. 

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Die bekannteste Form des Massierens nennt man heute «Bullshitten». Es hat sich zum allgegenwärtigen dominanten Kommunikationsstil gemausert, so dass sich die Forschung mit der Frage zu beschäftigen beginnt, ob denn daran nicht doch respektable kognitive Kompetenzen zu erkennen seien. Nachgerade symptomatisch scheint mir der Titel einer Publikation (Preprint) von kanadischen Psychologinnen und Psychologen zu klingen: «Bullshit Ability as an Honest Signal of Intelligence». In der Konklusion liest man: «Wir stellen fest, dass jene, die geschickter sind, befriedigenden (..) Bullshit zu produzieren, auf einer Skala kognitiver Fähigkeiten höher rangieren und auch von anderen als intelligenter wahrgenommen werden (..) Aufs Ganze gesehen, lässt sich die Fähigkeit, befriedigenden Bullshit zu erzeugen, als Strategie betrachten, erfolgreich durch soziale Systeme zu navigieren.» 

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Bullshitten als «ehrliches» Anzeichen von Intelligenz zu betrachten irritiert aus einem ganz bestimmten Grund. Zweifellos erweisen sich manipulative Taktiken da als vorteilhaft, wo der Erfolg von der Geschicklichkeit abhängt, andere zu «massieren». Also nahezu überall heute. Und deshalb sollte uns nicht die Frage nach dem Zusammenhang von Bullshit und Intelligenz beschäftigen, sondern vielmehr das Motiv der Fragestellung. 

Denn hier stossen wir auf das Symptom einer tieferen kulturellen Regression. Unser aktuelles Kommunikationsverhalten lässt auf weiten Gebieten sozialen Lebens – und das heisst primär: in den sozialen Netzwerken - den Charakter der freien Wildbahn erahnen, in Anlehnung an Nietzsche: den Willen zur Manipulation. Es herrscht ein Selektionsdruck, unter dem man nur durch Täuschen, Tricksen, Faken: durch «Massieren» des anderen erfolgreich besteht. Ein Biotop für die Subspezies der Leugner, Profilneurotiker, Spinner, Trolle, Zyniker. 

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Man kann darüber mit den Schultern zucken. Aber dass «Massieren» auf die gleiche Stufe wie ehrliches Informieren gehoben werden soll, beschert uns ein wirklich ernstes intellektuelles Umweltproblem. Ich nenne es Krise der epistemischen Autorität. 

Herkömmlicherweise gilt das wissenschaftliche Expertentum als solche Autorität. Coronaepidemie und Klimawandel haben den Ruf der Experten nicht gefördert. Das liegt gewiss an der Komplexität des Themas, aber auch an etwas anderem: die Phänomene sind von allgemeinem Belang, sie gehen Wissenschaftler und Laien direkt an. Und hier tritt ein gestörtes Verhältnis zwischen beiden zutage. Ganz offensichtlich und banal daran zu erkennen, dass man den Leuten, die dafür ausgebildet sind, über ein gewisses Gebiet kompetent zu urteilen, nicht mehr glaubt und vertraut. Gleichzeitig aber meint, mit einer zusammengeschusterten Do-it-yourself-Theorie das ganze gesammelte Wissen einer Disziplin über den Haufen werfen zu können. 

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Zugegeben, es gibt auch in der Wissenschaft falsche oder Pseudoautoritäten. Man erinnere sich nur an die Coronapandemie, die ja auch als eine Pandemie der falschen Experten bezeichnet worden ist.  Es meldeten sich Fachleute zu Wort, die sich zwar weder als Virologen, noch als Infektiologen, noch als Epidemiologen ausweisen konnten, aber dennoch mit unfehlbarem Durchblick die «wahre» Situation erkannten. 

Ohnehin sollte man aber epistemische Autorität nicht mit der Autorität von Personen gleichsetzen, seien sie Wissenschaftler, Philosophen oder öffentliche Intellektuelle. Sie liegt vielmehr in intellektuellen Tugenden, auf die ein robustes demokratisches Zusammenleben abstellt: etwa das Überwinden des Ingroup-Outgroup-Bias, das heisst der Neigung, nur gleichen Meinungen Glauben zu schenken und die anderen mit einem Shitstorm zu überziehen; Skepsis gegenüber vorschnellen Verallgemeinerungen und patenten Problemlösungen; das Vermeiden von Argumenten ad personam;  das Misstrauen gegenüber Leuten, die ihre Gefühle für Fakten halten; das Ersetzen von moralisierenden Schuldfragen durch empirische Ursachenfragen; die Erkenntnis, dass Rationalität nicht nur den Glauben an die eigene Vernunft, sondern auch an die Vernunft des anderen bedeutet. Lassen wir die Aufzählung. Aufs Ganze gesehen könnte man den epistemischen Tugendkatalog mit der Bezeichnung des bekannten Wissenschaftsautors Carl Sagan zusammenfassen: «Baloney Detection» - Quatscherkennung. Sagan nannte sie eine «hohe Kunst». 

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Aber wer sagt eigentlich, was der Fall ist, was ein korrektes Argument, was ein triftiges Urteil? Gibt es überhaupt eine solche universelle Instanz, die wir alle – oder zumindest die Mehrzahl – anerkennen, sozusagen ein Schiedsgericht über das Objektive? 

Lange ist es her, da Jürgen Habermas eine ideale Spielwiese der Kommunikation ersann, wo der «eigentümlich zwanglose Zwang des besseren Arguments» regiert. Dieser «Zwang» hat eine ganz einfache Basis: das Vertrauen in den anderen, das Vertrauen darauf, dass der andere wie ich die Spielregeln des «besseren Arguments» anerkennt. Alle unsere zivilisatorischen Errungenschaften - Wissenschaft, Philosophie, Kunst, Politik, Religion – sind Systeme des Vertrauens. Wir erleben heute eine beispiellose Erosion dieses Vertrauens. Es wird herausgefordert durch eine Halunkenmentalität, die dem anderen a priori täuschenden Vorsatz, Feindseligkeit, üble Absichten oder Irrationalität unterstellt. Weite Teile des öffentlichen Lebens sind infiziert vom viral um sich greifenden Empörungs-, Verdächtigungs-, Beschuldigungs- und Bedrohungsdiskurs.

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«Massage» in Mc Luhans Buch liess sich auch lesen als «Mass Age»: Massenzeitalter.  Lange vor McLuhan schrieb der spanische Philosoph Ortega y Gasset  den Essay «Der Aufstand der Massen» (1929). Darin stehen die Sätze: «Wer Ideen haben will, muss zuerst die Wahrheit wollen und sich die Spielregeln aneignen, die sie auferlegt. Es geht nicht an, von Ideen oder Meinungen zu reden, wenn man keine Instanz anerkennt, welche über sie zu Gericht sitzt». Bullshitter und andere «Kneter» wollen nicht die Wahrheit. Sie anerkennen keine solche Instanz. Sie haben deshalb auch keine Meinungen, sie sondern Meinungen ab wie Speichel. Und wer diesen Speichel unkritisch resorbiert, ist ein… 


Musks retrograder Futurismus  Elon Musk gefällt sich in der Rolle des unbändigen Futuristen – des «utopischen Anarchisten». Er investiert in...