Donnerstag, 28. November 2024

 


NZZ; 28.11.24

Das Omelett und die vielen Eier

Der neue Mensch – ein antizivilisatorisches Projekt

Eine der schrecklichsten Ideen der Menschheitsgeschichte ist jene des besseren oder neuen Menschen. Sie verleiht den ungeheuerlichsten Schandtaten die infame Dignität des Befugten, ja, Heroischen. Der Weg zum besseren Menschen fordert seine Opfer. «Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerschlagen», lautet die Lenin zugeschriebene Devise. Viele, sehr viele Eier, dafür sorgte Stalin. Dafür sorgten Mao, Pol Pot und all die anderen mörderischen Eierzerschlager. 

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Die Crux der Idee des neuen Menschen lässt sich in zwei Fragen verdichten. Die erste: Wer definiert den neuen Menschen? Und die zweite: Was tut man mit dem alten Menschen? In den revolutionären Entwürfen der Menschenverbesserer manifestiert sich wiederkehrend die Anmassung, zu wissen, wie der Mensch tickt, was er will, welche Lebensform für ihn die beste ist, wie man sie verwirklicht. Ein intellektueller «Radikalismus» sondergleichen, der nur dann harmlos bleibt, wenn er nicht zur praktisch-politischen Durchsetzung drängt – und das tut er leider fast immer. 

Die Geschichte braucht nicht noch einmal erzählt zu werden, welche realen Formen die Idee des neuen Menschen im 20. Jahrhundert annahm. Bisher hat sie ihr Biotop vor allen in totalitären Systemen gefunden. Und es ist durchaus richtig, Nationalsozialismus, Faschismus und Kommu-nismus als Warnbeispiele herbeizuziehen. In ihnen allen trieb der Keimgedanken des neuen Menschen sein Unwesen: des rassenreinen Ariers, des beliebig manövrierbaren Arbeiter-Soldaten, des «neuen Italieners», der vor allem glaubt, gehorcht und kämpft. Natürlich handelt es sich um Konditionierpraktiken. Aber indem man sie desavouiert, verabschiedet man nicht not-wendig den ideellen Kern in ihnen. Der neue Mensch spukt nach wie vor in zahlreichen Köpfen. 

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Das heisst, der totalitäre Charakter steckt schon in der Logik des Gedankens. Der neue Mensch stellt einen Idealtypus dar. Ideale sind immer Abstraktionen. Sie «ziehen» vom Menschen, wie wir ihn kennen, unerwünschte Merkmale «ab». Sie bosseln ihn gedanklich zurecht, und fordern auf, den Gedanken in die Tat umzusetzen. Die Realisierung des Ideals erfolgt nun freilich nicht in der Reibungslosigkeit des Gedankens. Sie bedeutet realiter stets Homogenisierung der Bevölkerung, durch Propaganda, Manipulation, Erziehung, Dressur, Zwang. Der neue Menschentyp hat sich der Abstraktion zu unterziehen, und wer das nicht tut, spürt deren reale physische Gewalt. Sie bedeutet das Ausmerzen von Abweichlern, Minderheiten, «Feinden» der Gesellschaft. Man tötet nicht Menschen, man tötet Angehörige einer abstrakten Kategorie. 

In der Metapher des Omeletts drückt sich die inhärente Menschenverachtung am ungeschminktesten aus. Sie erreicht die Spitze des Zynismus dann, wenn die Propheten des neuen Menschen eine Bevölkerung als «Experimentiermasse» betrachten, welche die Opferbereitschaft aufzubringen hat, der Idee zum Durchbruch zu verhelfen. So etwa Che Guevara, zur Zeit der Kubakrise und eines drohenden Nuklearkonflikts. Er gebrauchte ein der Omelett-und-Eier-Metapher verwandtes Bild. Er lobte die Fähigkeit des kubanischen Volkes, das sich «geleitet durch einen Führer von historischer Grösse, bis zu einer selten in der Geschichte erlebten Höhe entwickeln konnte. Es ist das fiebererregende Beispiel eines Volkes, das bereit ist, sich im Atomkrieg zu opfern, damit noch seine Asche als Zement diene für eine neue Gesellschaft.» 

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Mit dem Mauerfall 1989 verloren die revolutionären Gesellschaftsentwürfe ihre utopische Strahlkraft. Nun bietet sich neuerdings nicht primär die Gesellschaft, sondern der individuelle Körper als Ansatzpunkt der Verbesserung an - des «Enhancement»: der Erweiterung, Verstärkung, Steigerung. Der menschliche Körper – zumal sein Gehirn - ist, da man seine Komponenten bis in die molekulare Struktur zu erkennen beginnt, beliebig gestaltbar. Die Spielräume, die moderne Digital- und Biotechnologien eröffnen, lassen jene der dystopischen Fiktionen eines Orwell und Huxley hinter sich. Man zerschlägt jetzt die Eier nicht mehr, man baut sie so um, dass sie inhärente Anlagen zum Omelett haben. Ein neuer Totalitarismus entsteht - mit humaner Schminke.  

Eine flagrante Form ist die Verhaltenszurichtung nach chinesischem Modell. Die kommunistische Obrigkeit vertritt eine Art von digitalem Leninismus. Menschen sind lenkungsbedürftige Herdenwesen. Um sie in einer friedfertigen, produktiven, innovativen Gesellschaft zu organisieren, braucht es einen weisen, strengen Grosshirten, sowie servile Unterhirten und abgerichtete Wachhunde. Dazu muss man den Bürger zum Bürger-plus-App umfunktionieren. Die Idee des neuen Menschen findet ihre zeitadaptierte Gestalt im Sozialkreditsystem. Es zielt darauf ab, das Verhalten des Bürgers so zu «zivilisieren», dass es sich ohne äussere Zwänge mit den politischen und ökonomischen Vorgaben der Regierenden verträgt. Kein offen sichtbarer Staatsterror (ausser bei solchen, die nicht mitmachen), sondern innere Disziplin, die man als Beglückung feiert. Es ist doch so schön, über die Scoring-App zu erfahren, wie sehr einen die Obrigkeit schätzt oder wie vertrauenswürdig eine Person ist, der man begegnet. Das eigene Urteilsvermögen kann bleiben, wo es will. 

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Richten wir den Blick nicht exklusiv auf die chinesischen Verhaltensdresseure. Der Trend ist universell: das Zusammenwachsen von Mensch und Technik. Es kennzeichnet die ersten beiden Dekaden des 21. Jahrhunderts, und man zelebriert es in den einschlägigen Kreisen als ultimative Befreiung des Menschen. Befreiung nun auch von seinem biologischen Erbe. Die traditionelle Prothetik, die der Reparatur und Rehabilitation des Körpers durch künstliche Komponenten dient, wird intelligent. Und es ist abzusehen, dass man den Menschen immer mehr mit Implanta-ten «anreichert», die ihn auf ein posthumanes physisches und kognitives Niveau zu heben versprechen. Die «Strategische gesellschaftliche Initiative 2045» - eine 2011 vom russischen Internetmogul Dimitry Izkow gegründete Non-Profit-Organisation - visiert ausdrücklich die Vervollkommnung der Menschheit mittels Wissenschaft und Technologie an: «den Transfer der Persönlichkeit eines Individuums auf ein anderes nichtbiologisches Trägermedium (..), um so das Leben zu bis hin zum Punkt der Unsterblichkeit zu verlängern.»

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Die unverbesserlichen Menschheitsverbesserer reden gern vom Menschen als Gattung. Sie scheinen nicht viel von der Idee zu halten, dass das Menschliche am Menschen gerade in seiner sperrigen Individualität liegt. Und damit ist ja auch erneut das Grundproblem der Utopie angesprochen: ihr abstrahierender Charakter. Man muss an einem Idealtypus Mass nehmen, um «die» Menschheit zu verbessern. 

Der neue Mensch begründet in der Regel einen Elitismus. Für die bolschewistischen Visionäre waren nicht alle für den neuen kommunistischen Menschen vorgesehen. Der Idealtypus aus Silicon Valley dürfte eine neue Ungleichheit zwischen mehr und weniger «enhancten» Exemplaren unserer Spezies begründen. Von Demokratie hält die Techno-Oligarchie ohnehin nicht viel. Und die Befreiung vom «Diktat» der Biologie liefert die Menschen ja nur umso unausweichlicher einem neuem Diktat aus, nämlich jenem der Daten-Proliferation. Der neue Mensch, das ist jetzt die Internet-Laborratte, die sich einem immerwährenden Upgrading für die aktuellesten KI-Systeme zu unterziehen hat. Wer das nicht freiwillig tut, ist alter Humanschrott, buchstäblich ein Nicht-Nutz(er). Bleibt abzuwarten, was mit ihm geschieht.

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Wir leben heute in einer Welt der Technikfrömmigkeit und Leichtgläubigkeit in alles, was uns angeblich von unseren natürlichen «Fesseln» befreit. Wir haben ein Transzendenzbedürfnis nach dem «erlösten» Zustand. Aber wenn wir ihn in den Horizont des technisch Machbaren hereinholen wollen, dann ebnen  wir dem Gegenteil den Boden. Schlimm genug sind schon Menschen, die wissen, was gut ist für uns. Schlimmer sind «bessere» Menschen. Die Hölle: Das ist der perfekte Mensch.






Donnerstag, 31. Oktober 2024

 


NZZ, 30.10.24


Der Wille zur Rache

Das Erstarken des Vergeltungsgedankens in der Politik

Wir erinnern uns: Anfangs Mai 2011 exekutierte eine Spezialeinheit der US-Navy Osama Bin Laden in dessen Heim in Pakistan. Präsident Obama verkündete dem amerikanischen Volk: «Justice has been done». Und damit bediente er ein vorherrschendes Gefühl, das eine populäre Zeitung so zum Ausdruck brachte: «Wir haben ihn! Endlich wurden wir gerächt!» Solche Wortwahl erinnert an Vendettas. Besonnenere Zeitgenossen wunderten sich, wie Obama, im-merhin ein ausgebildeter Jurist, sich an einer solchen Formulierung vergreifen konnte. Meinte er nun «Gerechtigkeit» als Rache?

Der Terrorismus ist bedrohlich genug. Noch bedrohlicher ist eine allgemeinere Entwicklung: des Wiederauflebens und Erstarkens des Rachegedankens in der Politik. Die Islamisten sind die Pioniere. Ihre Ideologen des modernen Terrors wollen primär keinen Krieg gewinnen, sie wollen Vergeltung als Antwort auf die Erniedrigung und Kränkung der islamischen Kultur durch die Entwicklung der modernen Zivilisation, die ja nun tatsächlich primär in Europa und Nordamerika stattgefunden hat. 

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Dieses Gefühl der Erniedrigung ist die eigentliche Brutstätte des Racheaffekts. Demagogen aller Art verwenden eine Dreischritt-Taktik zur Weckung dieses Affekts. Man redet dem Publikum zunächst ein, wie stark es gedemütigt werde. Dann sucht man nach den Urhebern dieser Erniedrigung. Schliesslich inszeniert man sich als die Figur, die Vergeltung verspricht. 

Ein Schulbeispiel lieferte Donald Trump in seinem Wahlkampf 2016. Er begann auf dem Regis-ter der Erniedrigung und Bedrohtheit: «Unser Land ist in ernsthaften Schwierigkeiten. Wir haben keine Siege mehr (..) (Die Chinesen) lachen über uns als Einfaltspinsel. Sie schlagen uns im Geschäft.» Dann suchte er im zweiten Schritt die Schuldigen: «Wenn Mexiko seine Leute schickt, schickt es nicht die Besten (..) und diese Leute bringen ihre Probleme zu uns. Sie bringen Drogen. Sie bringen Kriminalität. Sie sind Vergewaltiger (..) Und all dies kommt nicht nur von Mexiko, sondern von überall her aus dem Süden (..) und es kommt wahrscheinlich – wahrscheinlich – aus dem Mittleren Osten». Schliesslich öffnete der Überbringer schlechter Nach-richten seinen Wundermittelkoffer: «Nun braucht unser Land (..) einen wirklich grossen Führer (..), einen Führer, der ‘The Art of the Deal’ schrieb, der unsere Jobs zurückbringt, unser Militär». Diesem Niveau bleibt Trump bis heute treu. Er spielt den Rächer der Erniedrigten. An einer Konferenz der Konservativen 2023 sagte er: «Für all die, denen Unrecht getan wurde: Ich bin eure Vergeltung». 

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Es verlockt, zumindest hypothetisch, das Aufleben des Rachegedankens mit der globalen Lage in Zusammenhang zu bringen. Die Welt ist ethnisch-kulturell zersplittert, trotz UNO-Charta. Heute spricht man schon fast abschätzig über eine sogenannte regelbasierte Weltordnung. Wo aber die Fundamente eines internationalen Regelwerks bröckeln, kann der Rachegedanken ungehindert Fuss fassen. 

Ganz offensichtlich im Israel-Hamas/Hizbullah-Konflikt. Die Medien gebrauchen gerne das Bild der unaufhaltsamen Eskalationsspirale. Beide Parteien «müssen» vergelten, aber nach unterschiedlicher Logik. Die islamistische Logik sieht im Terror Vergeltungsaktionen gegen die «Kolonialmacht» Israel, letztlich gegen «den Westen». Und die Rache trifft mit wahlloser Grausamkeit Zivilisten. Die israelische Logik sieht sich gezwungen, darauf zu reagieren. Aber wie? Soll man Gleiches mit Gleichem vergelten? Palästinensische und libanesische Zivilisten eben-falls wahllos «bestrafen»? Das kollaterale Leid, das israelische Gegenschläge verursachen, ist entsetzlich, und gewiss spielen auch Rachemotive mit. Aber der Staat Israel steckt in der Zwickmühle. Er hängt von westlicher Unterstützung ab, und er sieht sich im Gegensatz zur Hamas und dem Hizbullah einem Internationalen Gerichtshof verpflichtet. Das Urteil des Genozid-Staates hängt über allen seinen Aktionen.  

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Abgesehen von solcher Rechtfertigungsproblematik vernimmt man in Zeitungskommentaren nun Atavismus-Alarm; die Warnung vor biblischen Zeiten des «Auge um Auge, Zahn um Zahn». Also letztlich vor kompromisslosen Vergeltungskriegen. Zeigt sich hier das Modell für ähnliche politische Konflikte? Spekulationen über kulturelle Rückschritte sind stets abenteuerlich. Aber mich sucht in diesen Tagen die Erinnerung an Francis Fukujamas These vom Ende der Geschichte heim, die den globalen Siegeszug der liberalen Demokratie – und damit auch der Rechtsstaatlichkeit - verkündete. Man konnte die These als Lob «westlicher» politischer Reife lesen, die das Zeitalter der Vergeltung endlich überwindet, und uns «Aufgeklärten» erlaubt, die Welt dank Recht und Gesetz zu regulieren. 

Nichts gegen Aufklärung, aber hüten wir uns vor leichtfertigem Idealismus. Ressentiment und Rache lassen sich durch Recht und Gesetz nicht überwinden, nur verdrängen. Und gerade im Souterrain des Verdrängten entfaltet der Wille zur Rache seine diabolische Potenz. 

Also potenziell  in uns allen.







Dienstag, 15. Oktober 2024

 


Der mathematische Beweis im Zeitalter der Algorithmen 

Was, wenn Mathematiker den Computer nicht mehr verstehen?

Was ist ein Beweis? Das ist das tiefste erkenntnistheoretische Problem der Mathematik. Der Beweis garantiert die Geltung mathematischer Sätze. Und in ihnen sieht man die höchste Art der Wahrheit. Unumstösslich, ewig, weil sie Sachverhalte beschreiben, die «nicht von dieser Welt» sind: platonisch. Der Satz von Pythagoras ist ein solcher Sachverhalt. Er existiert in einem Reich, über dessen Seinsweise die philosophierenden Mathematiker allerdings nie eins wurden. 

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Aus diesem Grund wuchs um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert das Bedürfnis, das Fundament der Mathematik philosophisch zu «reinigen», indem man ihr eine logisch makellose Architektur zugrundelegt. Das ist die grandiose Idee einer Beweismaschine, die kraft einer Formalsprache sowie klarer Schlussregeln aus einer endlichen Anzahl von Axiomen alle mathemati-schen Sätze deduziert. Nach dem Konsens der Mathematiker geht die Mengenlehre - das Fundament der Mathematik - von 10 Standardannahmen aus, den sogenannten Zermelo-Fraenkel-Axiomen. Tatsächlich gibt es zahlreiche Sätze, deren Wahrheit man vermutet, deren Beweis aber aussteht. Eine Beweismaschine wäre ein Geschenk des platonischen Himmels. Man müsste ihr einfach ein Theorem vorlegen, und innert endlicher Frist würde sie das Theorem aus den Axiomen deduzieren. 

Ein Wunschtraum, den der Logiker Kurt Gödel in den 1930er Jahren zerstörte. Er zeigte, dass nur schon eine Maschine, in der sich die Arithmetik formalisieren lässt, nicht alle arithmetischen Sätze aus den zugrundegelegten Axiomen beweisen kann. Das System lässt sich erweitern, aber es bleibt in diesem Dilemma gefangen. Der britische Mathematiker Alan Turing doppelte in den 1950er Jahren nach, als er zeigte, dass es Sätze gibt, bei denen die Beweismaschine keine Antwort liefert, das heisst in unendlichen Leerlauf gerät. Wenn also schon die Arithmetik in diesem Sinn unvollständig ist, wie steht es um die ganze Mathematik? Was hat es für einen Sinn, von der Wahrheit eines Theorems zu sprechen, wenn es nicht beweisbar ist? 

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Die Frage zielt direkt auf die Fundamente der Mathematik. Und sie hat den kanadischen Mathematiker Andrew Granville veranlasst, einen neuen, pragmatischeren Gesichtspunkt in die Debatte einzubringen. Kurz gesagt lautet seine These: Letztlich beruht der Beweis auf einer Übereinkunft unter den Mathematikern. Mathematik ist ein Sprachspiel mit Regeln und Normen, und die Objektivität – die «Wahrheit» - ihrer Sätze ist durch ein solches Sprachspiel be-gründet. Wie Granville schreibt, besteht das beste System in der Mathematik darin, «dass viele Forscher einen Beweis aus verschiedenen Perspektiven prüfen, und dass dieser Beweis gut in einen Kontext passt, den sie kennen und dem sie vertrauen. In einem gewissen Sinn sagen wir nicht, wir wüssten, der Satz sei wahr. Wir sagen, wir hofften, er sei korrekt, weil eine Vielzahl von Leuten ihn aus verschiedenen Blickwinkeln gestestet haben». So gibt es zum Beispiel über 400 Beweise des Satzes von Pythagoras.  Deshalb wäre es wahrscheinlich unverfänglicher, statt von der Wahrheit von Theoremen von ihrer Robustheit zu sprechen. 

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Eine solche Sichtweise gewinnt nun an unerwarteter Aktualität, wenn wir die neuesten KI-Systeme in die Diskussion einbeziehen. Sie lernen ja immer mehr intellektuelle Fähigkeiten des Menschen, sie lernen auch Mathematik. Im gegenwärtigen Vertrauen in die Gelehrigkeit von Computern stellt sich die Frage, wie es denn um einen künstlichen Mathematiker stünde, um ein KI-System also, das Mathematik von den elementaren arithmetischen Grundlagen auf lernen und die rechnerischen, logischen und metamathematischen Kompetenzen schrittweise selbst erwerben und entwickeln würde, bis es schliesslich die Stufe eines künstlichen Supermathematikers erreicht hätte. Es wäre nicht nur in der Lage, die uns bekannten mathematischen Theoreme zu beweisen, es würde auch bisher ungelöste Probleme bewältigen, auf eine Art und Weise freilich, die den Mathematikern Kopfzerbrechen bereitet. Seine Spielzüge wären  für den Menschen eine Black Box. Was aber ist ein mathematischer Beweis, wenn die Mathematiker ihn nicht verstehen?

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Die Frage ist brisant, denn sie ist vom fiktiven Szenario ins reale übergetreten. Kürzlich entwickelte Deep Mind von Google zwei KI-Systeme – Alpha Proof und Alpha Geometry 2 -, die komplexe Probleme lösen.  Und schon seit längerem lassen sich Mathematiker von Beweisassistenten helfen. Zum Beispiel von Lean, einem System, das 2013 entwickelt worden ist. Grosse Teile des mathematischen Wissens finden sich darin in eine Computersprache übersetzt. Schlägt man einen Beweis vor und formuliert ihn in Lean, vollzieht ihn das System Schritt für Schritt nach und versieht ihn mit dem Siegel «korrekt» oder «nicht korrekt». 

Aber wie robust ist der Beweis eines Theorems, der von einem KI-System geliefert wird? Bekanntlich können KI-Systeme «halluzinieren». Sie generieren Output, der nur scheinbar mit dem Input zusammenhängt: Fake-Beweise. Ein Bot lieferte zum Beispiel den «Beweis», dass zwischen zwei ganzen Zahlen unendlich viele ganze Zahlen existieren. 

Oder der Fall könnte eintreffen, dass ein Programmierer vergisst, den Trainingsalgorithmus eines neuronalen Netzwerks anzuhalten. So soll es vorgekommen sein, dass ein solcher «vergessener» Algorithmus selbständig eine neue Form der Addition herausgefunden hat (sogenannte modulare Addition), die man ihn nicht lehrte. Im Maschinenlernen nennt man diese neuen Einsichten des Computers «Grokking». Was also, wenn der Computer Beweise «grokkt», die unseren Begriffshorizont übersteigen? 

Hier nimmt eine neue Interaktionsform zwischen Mensch und Maschine Gestalt an, in der der Computer seinen «autonomen» Beitrag zum Wissenskorpus leistet. Die Mathematiker müssten ihm das Vertrauen in die Beweiskompetenz schenken, und das heisst, sie müssten ihn in ihre Community aufnehmen. Anzunehmen ist dabei, dass das Zusammenspiel von menschlichen und künstlichen Mathematikern durchaus den Beweis eines schwierigen Theorems erlaubt. Erneut stellt sich also die Frage der Übereinkunft als Basis des Beweises. Übereinkunft zwischen Mensch und Computer? Und wenn die Computer mit der Zeit die ganze Arbeit übernehmen würden? 

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Das ist äusserst unwahrscheinlich. Denn gerade die Kooperation mit dem Computer kann möglicherweise den Unterschied zwischen Mensch und Maschine deutlicher hervortreten lassen. Mathematik ist eine geistige Terra incognita. Es zeugt von einem völlig falschen Verständnis für sie, wenn man den Beweis als Abschnurren formallogischer «maschineller» Schritte betrachtet. Er ist im Gegenteil ein hoch kreativer Prozess, der sehr viel an intuitiver Einsicht, Einfallsreichtum, Umgang mit Paradoxien, «unscharfem» Denken voraussetzt. KI-Modelle werden ja auf dem Korpus der niedergeschriebenen mathematischen Arbeiten trainiert. Aber wie die KI-Forscherin Katie Collins von der University of Cambridge bemerkt, sind «online wenig Daten über formalisierte Mathematik zu finden, verglichen mit Daten in natürlicher Sprache». Das ist kaum verwunderlich, denn kreative Mathematiker wissen in der Regel mehr, als sich in Programmsprachen codieren lässt. Und aus diesem Grund ist es fraglich, ob man diesen impliziten Rumpf der Mathematik jemals völlig explizite darstellen kann.  

Das heisst, die Mathematik wird sich im Zeitalter der KI als das zu erkennen geben, was sie schon immer war: als eine Kunst des Vermutens, die in glücklichen Fällen zu robusten Resultaten führt. 



Mittwoch, 9. Oktober 2024

 


NZZ,7.10.24

Diagnose: Naturanalphabetismus

Sprachverödung heisst Naturverödung


Das Lamento über das Verschwinden der Arten ist allbekannt. Mit dem Schwund in der Natur korrespondiert allerdings ein anderer, ebenso bedenklicher Schwund, nämlich in der Sprache. Dabei wuchert unser Wortschatz traditionell wohl nirgendwo üppiger und dichter als im Reich von Flora und Fauna. 

Zum Beispiel diese zarte und lustvoll exakte Annäherung an das Gewächs in alten Botanik-schwarten. Linnés „Pflanzensystem“ (deutsch 1787) beschreibt eine Flechtenart (Hunds-flechte) so: „Die Blätter sind zart, breit, flach, eben, einfach oder in ziemlich runde Lappen geteilt. Die Oberfläche derselben ist an der frischen (..) Pflanze braungrünlich oder bleich-bleifärbig, mit einem aschgrauen mehlartigen Staube bedeckt (..) An der aufgerichteten Spitze des Blattes sitzt ein Fingernagel-förmiges, eirundes, oberwärts konvexes, unterwärts konkaves bräunliches oder dunkelrötliches Schildchen, welches an seiner Unterfläche ebenfalls inkarnatrot ist.“ 

Oder dann Vogelbücher wie etwa Petersons „Die Vögel Europas“, wo über den Habichtsadler zu lesen ist: „Länglicher Schwanz mit einem halben Dutzend matter Binden und einer breiten dunklen Endbinde. Von unten gesehen hebt sich die schmal gestreifte, seidenweisse oder rahmfarbene Unterseite von den langen dunklen Flügeln ab. Junge mit rostfarbenem Kopf, dicht röstlichbraun gestreifter Unterseite und eng gebändertem Schwanz.“ Und erst noch die Lautmalerei. Seine Stimme: ein schnatterndes „kai, kai, kikiki.“ 

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Immer, wenn ich solches lese, beschleicht mich eine unbestimmte leise Trauer: Habe ich das je beobachtet, je gehört? Der britische Reiseschriftsteller Robert Macfarlane betreibt eine Art von Archäologie der Landschaftssprache und er macht in seinem neuen Buch „Landmarks“ (2015) auf ein generelles Symptom in unserem Verhältnis zur Natur aufmerksam: Wir verlernen diese Sprache. Auf den Hebriden fand er zum Beispiel ein „Torf-Glossar“, eine Sammlung von über hundert gälischen Ausdrücken für das Moorland. Er stiess auf Wörter für feinen Eisfilm auf Blättern und Zweigen, für den leisen Windhauch auf der Oberfläche eines stillen Gewässers, für den Tunnel am Grund einer Hecke, den kleine Tiere für ihren regelmässigen Durchgang schaffen. „Landspeak“ nennt Macfarlane diese Sprache. Nun wird aber unsere Ökologie zunehmend überformt von technischen Systemen, und das schlägt sich notgedrungen im Sprachgebrauch nieder. Mit Videos auf Youtube brauchen wir kein Vokabular der Landschaftsbeschreibung mehr. Wie der amerikanische Umwelthistoriker William Cronon bemerkt hat, besteht das beste Verständnis der Natur um uns im Verständnis der Natur in uns; und dazu gehört Sprache: „Die Natur in unseren Köpfen ist ebenso wichtig wie die Natur, die uns umgibt, denn die eine gestaltet und filtert ständig die Art und Weise, wie wir die andere wahrnehmen.“ 

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Macfarlane weist auf ein anderes Phänomen hin, das mit dem Sprachverlust für die Natur einhergeht: auf die Kompensation oder vielmehr den Ersatz durch ein neues universelles Technospeak. Der Oxford Junior Dictionary, ein Nachschlagewerk für Kinder, hat eine Vielzahl von Wörtern für die Natur getilgt. Sie seien für ein Leben in den heutigen Umwelten nicht mehr relevant: zum Beispiel Eichel, Kreuzotter, Esche, Buche, Weidenkätzchen, Löwenzahn, Heide, Efeu, Mistel Wiese. An ihrer statt nimmt der Diktionär jetzt Begriffe auf wie Attachment, Block-Graph, Blog, Breitband, Chatroom, Cut-and-Paste, MP3-Player, Voice-Mail. 

Eine fundamentale Verschiebung. Wie Macfarlane schreibt, manifestiert sich darin nicht nur ein Schwinden unseres Gespürs für die Natur, sondern auch der Verlust einer „Art von Wortmagie: einer Kraft, die bestimmte Begriffe besitzen, um unser Verhältnis zur Natur und ihren Orten zu verzaubern.“ Wir vermüllen die Natur nicht zuletzt dadurch, dass wir das Vokabular der Imagination zum Abfall werfen. Wir bemerken nicht, dass Sprachverödung nur die eine Seite der Naturverödung ist. 

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Ein Einspruch wie jener Macfarlanes wird heute schnell als pastorales Genre, als „romantisch“ oder „nostalgisch“ abgetan. Aber das verunglimpft die Romantik, die alles andere als rückwärtsgewandt war. Adalbert von Chamisso zum Beispiel schrieb nicht nur „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“, er war Botaniker; er entdeckte unter anderen den Goldmohn -  die kalifornische Wappenblume – und nach ihm ist etwa auch eine Heidelbeerart - Vaccinium chamissonis – benannt. Er verfasste ein Lehrbuch mit dem ziemlich un-romantischen Titel: Übersicht über die nutzbarsten und schädlichsten Gewächse, die wild oder angebaut in Norddeutschland vorkommen (1827). 

Chamisso wäre heute wohl am ehesten den Ökologen zuzurechnen - allerdings wäre er ein besonderer Ökologe. Immer hatte er auch die Verschränkung von Natur und Kultur – also Sprache - im Blick. Die Pflanze war für ihn nie nur Forschungsobjekt, sondern ein Natur-subjekt, das „mächtig auf die Geistesrichtung einzelner Individuen, wie die Kulturgeschichte ganzer Völker eingewirkt hat (..) Die Vegetation ist es, die an den Boden gefesselt, den festen Teil der Erdoberfläche mit einem grünen Teppich bekleidend, so mächtig Geist und Gemüt anregt. Sie ist es, die vorzugsweise der Erdoberfläche das Ansehen einer belebten gibt und den Eindruck der allverbreiteten Lebensfülle hervorruft.“ Das gleiche liesse sich auch von der Sprache sagen. Eine Landschaft ist eine  geologische und linguistische Sedimentation.

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Hoffnung besteht allerdings. Die Tilgung der Naturwörter aus dem Oxford Junior Dictiona-ry hat den Protest von – zum Teil bekannten - Autorinnen und Autoren hervorgerufen. Der Schriftsteller und Photograph Tim Robinson stellte das Bedürfnis nach einer Sprache fest, die einer „säkularen Zelebrierung von Orten“ angemessen sei. Ein anderer Photograph, Dominick Tyler, veröffentlichte einen prachtvollen Band über englische Landschaften („Uncommon Grounds“), in dem paarweise 100 Wörter für Naturszenen mit entsprechen-den Bildern zusammengestellt sind. Vom Botaniker Richard Mabey stammt das Buch „The Cabaret of Plants“, in dem er für eine „neue Sprache“ plädiert, welche die Pflanze in ihrer spezifischen Individualität würdigt.

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Dann gibt es natürlich immer noch die Naturlyrik, etwa Marion Poschmanns „Geliehene Landschaften“ (2016). Sie nennt ihre Lyrik „Lehrgedichte und Elegien“. Ihr Blick auf die Natur ist von der Stadt geprägt. Er weiss vom Vordringen des Technischen und Urbanen, zum Beispiel in die ehemals besungene Pracht der Alpen. Die Sprache ist kalt und technisch. Mönch und Jungfrau im Berner Oberland werden da direkt angesprochen:

„Du schläfst in stabiler Seitenlage am Rande

der Alpen, am Rand der Verbreitungskarten 

rotkarierter Lawinengefahr. Thermikzieher

schrauben sich durch die Habitusbilder der Skigebiete,

und Abluft in haushaltsüblichen Mengen verfängt sich 

in Hecken, steigt auf zu den glitzernden Wolken der Welt.“

Die Eroberung der Alpenwelt ist hier längst Banalität. Es mischen sich das Erhabene der „glitzernden Wolken der Welt“ und die „haushaltsüblichen Mengen“ an Abluft. Das Gedicht handelt vom Anthropozän, von der Dominanz des Menschen über die Natur. Aber trotz ihres „elegischen“ Charakters hört man aus dieser Lyrik einen trotzigen Appell heraus: Schaut doch mal hin, in was für einer Umwelt ihr lebt! Und ich liefere euch das Vokabular für die Sichtbarmachung dieser Umwelt! 

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Hoffnung kommt auch von einer anderen Seite. Macfarlane erzählt von einem fünfjährigen Mädchen, das für die weichen Grassamen in seinen Händen eine eigene Bezeichnung aus-heckte: „Honigpelz“ („honeyfur“). Oder, als er seinem kleinen Sohn sagte, dass es keinen Ausdruck für den schimmernden Buckel gibt, der entsteht, wenn Wasser über einen Stein strömt, antwortete der Kleine spontan: Strömungspopo („currentbum“). Wunderschön. Kinder haben diese magische Fähigkeit, die Erde mit Sprache stets wieder neu zu verzaubern. Treiben wir ihnen diese Fähigkeit nicht aus. Die Rettung der Natur liegt nicht zuletzt in der Auswilderung unserer Sprache für die Natur. 


Mittwoch, 2. Oktober 2024



Schwierigkeiten mit der Identität

Das Unbehagen vor dem Uneindeutigen


Jeder Mensch ist jemand: eine Person. So weit, so banal. Fragt man aber, warum ich der bin, der ich bin, gerät man schnell in die Bredouille. Schon der geläufige Sprachgebrauch hilft wenig. Wir verbinden unser Personsein leicht mit der Vorstellung eines Besitzes. Ich bin der, der ich bin, weil ich eben eine Identität «habe», die mich zu dem macht, was ich bin. Aber was versteckt sich hinter dieser «Habe»?

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Man kann zur Beantwortung der Frage auf zwei etwas abgehobene Begriffe im philosophischen Vokabular zurückgreifen: Essenzialismus und Voluntarismus. Essenzialismus bedeutet: Meine Identität ist definiert durch etwas, das nicht meiner Bestimmung unterliegt: durch den Willen Gottes, durch mein Genom, meine gesellschaftliche Rolle - mein «Wesen». Der Wesensbegriff ist perfid. Er nagelt eine Person an ganz bestimmten, scheinbar unveränderlichen Merkmalen fest. Er beschreibt nicht Eigenschaften einer Person, er schreibt sie ihr diktatorisch zu. So bist du und so hast du zu sein! Amartya Sen hat dafür den treffenden Begriff der Identitätsfalle geprägt. Einmal Schwarzer, immer Schwarzer. Einmal Frau, immer Frau. Einmal Jude, immer Jude! Und das bedeutet nicht selten, dass man mit der «Verwesentlichung» eine Person gedank-lich vergewaltigt – in letzter Konsequenz auch physisch. 

Voluntarismus bedeutet: Meine Identität ist Sache meines Willens, meiner Wahl. Wer ich bin, bestimme letztlich ich. Ich bin nicht der, als den ihr mich festzunageln versucht! Ich bin nicht Stiller! Man erkennt sofort das Aufbegehren gegen den Essenzialismus. Ich wehre mich gegen Kategorien, die in einer Gesellschaft als normative Macht wirken. Ich bin frei, mich so auszudrücken und auszuleben, wie ich es für gut befinde, unabhängig von all den Identitätsfutteralen, die eine Gesellschaft bereithält. 

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Die Positionen schliessen einander nicht aus, sie markieren Pole eines Spektrums. Am einen Pol liegt die «plombierte» Identität: Du bist notwendig der, der du bist! Am anderen liegt die «frei flottierende» Identität: Wähle dich, der du bist! Die meisten Menschen situieren sich im Mittelbereich. Sie bewegen sich in einer gewissen Instabilität zwischen Selbst- und Fremdidentifikation, nach der berühmten Devise Rimbauds «Ich ist ein Anderer». Die Instabilität auszuhalten kennzeichnet die robuste Person.  

Dieses Spektrum der Identitäten ist heute durch beide Extreme akut bedroht. Ganz offenkundig von Hardcore-Essenzialisten, die die Person aufgrund einer Weltanschauung oder Ideologie ein für allemal festgelegt haben möchten. Andererseits aber auch von «Libertinisten», die sich frei fühlen, ihre Identitäten wie Hemden und Hosen zu wechseln. 

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Und unversehens landen wir in der aktuellen Genderdebatte. Die queere Gemeinschaft wehrt sich gegen einen biologischen Essenzialismus, gegen die Zuschreibung der Geschlechtsidentität allein im Namen der «Natur». Kritikerinnen und Kritiker der Binarität «dekonstruieren» diese «Natur» als eine soziale Macht, die Andersartige in das Prokrustesbett von traditionellen Normen zu zwängen sucht. Normen aber sind keine Fakten, sie beruhen auf einer Übereinkunft der Menschen. Und die Legitimität einer Übereinkunft ist stets hinterfragbar. 

Nun beobachten wir freilich eine Verhärtung der Fronten. Gegen nichtbinäre Identitäten wappnen sich erstarkende reaktionäre Kräfte. Autoritäre Regimes haben in der Gendertheorie ihre Lieblingsfeindin entdeckt. Als Unterwanderin der «natürlichen» Weltordnung. Putin und Orban zum Beispiel sehen die Staatssicherheit durch die queere Community gefährdet. Papst Franziskus entblödete sich nicht, die Gendertheorie mit der Atombombe zu vergleichen.  

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Ich stelle als Vermutung eine These auf: Dieser intellektuelle Backlash drückt ein Unbehagen vor dem Uneindeutigen aus. Es geht dabei um weit mehr als bloss um die Geschlechtsidentität. Gerade die Freiheit, zu sagen «Ich bin nicht so, ich bin auch anders», macht aus uns lebende, weil «uneindeutige» Personen - und nicht abstrakte, statistisch verwertbare Kategorien. Unserer «natürlichen» Persönlichkeit moduliert sich ja zunehmend eine digitale, von der Technoindustrie manipulierbare Identität auf. Identifizierung ist immer auch ein Instrument der Machtausübung, durch Unternehmen, staatliche Behörden oder andere Institutionen. Im Uneindeutigen steckt eine heimliche Subversion gegen das Gleichmacherische. Wir sollten sie angesichts immer potenterer Identifizierungs- und Überwachungstechnologien gerade heutzutage bewahren und pflegen. 

«Ich bin nicht der, der ich bin (zu sein habe)!» wird deshalb zur Losung eines Aufstands des Uneindeutigen in der digitalen Ära. 









Donnerstag, 19. September 2024

 


Wenn ein Löwe sprechen könnte

„Wenn ein Löwe sprechen könnte, würden wir ihn nicht verstehen“, schrieb einst Ludwig Wittgenstein. Und warum? Wir würden uns nicht in den Löwen finden. Wirklich? - Stellen wir uns vor, wir beobachten aus einem Savannenversteck ein Rudel Löwinnen beim gemeinsamen Frass einer frisch getöteten Antilope. Unweit von uns sehen wir einen jungen Löwen. Er ist verwundet, jagdunfähig, hungrig: die Rippen stechen hervor. Nur zu gerne möchte er den Löwinnen karnivore Gesellschaft leisten. Aber er ist zu schwach, zu klein, zu unsicher. Er umschleicht unruhig das Rudel, zieht sich mehrmals zurück, kommt wieder. Schliesslich gibt er auf und sucht das Weite. Muss dieser Löwe zu uns sprechen können, damit wir ihn verstehen? Sein Verhalten drückt doch alles aus: Einsamkeit, Hunger, Schmerz, Frustration, Begehren –  ist das so weit von unserer Emotionalität entfernt?

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Sogleich ertönt der Warnruf der Ethologen: Sei vorsichtig, du vermischst Beobachtung und Interpretation - du unterstellst dem Löwen ein Innenleben, von dem wir keine Evidenz haben! Die Warnung hat Tradition, und sie ist verständlich aus der bewegten Geschichte der modernen Tierforschung, in der stets wieder zwei Metaphern miteinander kämpfen: Tier als Mensch und Tier als Maschine. Die erste Metapher ist uralt, Grundlage von Tier-fabeln durch Kulturen und Epochen hindurch. Die zweite Metapher ist neueren Datums, sie stammt aus dem 17. Jahrhundert, als man die Natur mechanomorph, nach dem Muster der Maschine zu erklären begann. Locus classicus ist die Philosophie von Descartes. Mit ihr erfolgte sozusagen der cartesianische „Sündenfall“ der Neuzeit, der das Tier zur „res extensa“, zum komplexen organischen Automaten aus Muskeln, Knochen und Nerven machte, mit Mechanik als Innenleben. 

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Darwin zweifelte nicht an einem Innenleben der Tiere, und er schrieb auch ein zu seiner Zeit kaum beachtetes Buch darüber: „Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren“ (1872). Während der Wissenschaftler Darwin sich skrupulös an die beobachtbaren Merkmale von Emotionen – z.B. Angst, Freude, Wut, Abscheu - hielt, schlug sein Freund George Romanes methodisch über die Schnur, etwa mit Anekdoten über Ratten, die eine Nahrungsversorgungskette bildeten, indem sie einander gestohlene Eier mit ihren Pfoten weiterreichten; oder über einen von einer Kugel getroffenen Affen, der nun seine Hand mit eigenem Blut einfärbte und sie dem Jäger hinhielt, auf dass dieser sich schuldig fühle. – Der Anthropomorphismus hielt Einzug in die Tierforschung. Und die Angst vor ihm sollte den Ethologen das ganze 20. Jahrhundert hindurch in den Knochen stecken.

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Man kann zwei Hauptschulen der Ethologie unterscheiden, jene mit und jene ohne „Tierpsyche“. Die erste steht a priori unter Anthropomorphismusverdacht. Begonnen hatte sie ausdrücklich als „Tierpsychologie“. Dabei war von Anfang an nie hinreichend klar, was man sich darunter vorzustellen hatte. Viele Forscher sahen sich in einem Dilemma gefangen: Eine Fülle von Beobachtungen wies auf ein Innenleben der Tiere hin, aber das Ethos der Objektivität gebot, sich nicht auf dieses Innenleben einzulassen. Man machte sich so schnell zur Witzfigur. Symptomatisch für diese Situation ist der vom Begründer der experimentellen Tierpsychologie - Conwy Lloyd Morgan - aufgestellte „Morgansche Kanon“ (1894): Erkläre das Verhalten eines Tiers nie durch höhere kognitive Vermögen, wenn es auch als Ergebnis eines niedrigeren Vermögens interpretiert werden kann: durch Instinkte und Reflexe.

Damit war das Paradigma für Generationen von Ethologen festgeschrieben: Das Tier ist eine Verhaltensmaschine. Zu sagen, dass der Hund winselt, weil er Schmerzen hat, ist keine Erklärung. Denn Schmerzen haben und Winseln sind im Grunde dasselbe. Nun ist die Verwendung eines solchen Modells an sich kein Problem – sofern man es als Werkzeug betrachtet. Je erfolgreicher aber das Modell, desto mehr vergessen wir seinen Werkzeugcharakter und schlagen dann alles über seinen Leisten. Wir halten das Modell für die Wirklichkeit und am Ende wird auch das Reden des Menschen über sich selbst anthropomorph. 

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Gewiss, wir können nicht in Haut, Fell oder Gefieder des Tiers schlüpfen. Das behauptet auch niemand. Wir können ebensowenig in die Haut anderer Menschen schlüpfen, und dennoch in sie finden. Der Grund liegt zum wesentlichen Teil darin, dass wir, gemäss Witt-genstein, das gleiche Sprachspiel spielen. Aber es gibt noch einen anderen Zugang. Wir alle kennen den Mitmenschen auch durch sein Verhalten, die Art, wie er wohnt, isst, sich kleidet, mit den Leuten umgeht: wir kennen seine Umwelt. Es war die geniale Idee des Zoologen Jakob von Uexküll vor über hundert Jahren, sich dem Tier auf diese Weise zu nähern. Er stellte die später berühmt gewordene Frage des Philosophen Thomas Nagel: Wie ist es, ein Tier zu sein? Genauer fragte Uexküll: Was ist die Umwelt des Tiers? Und durch das penible Studium seiner Umwelt finden wir uns immer mehr in das Tier. Was eine Umwelt hat, ist Subjekt seines Verhaltens – also ist alles Subjekt, von der Zecke bis zum Philosophen.

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Die Reichweite von Uexkülls Idee – einer Art von „kopernikanischer Revolution“ im Denken über das Tier - erschliesst sich uns eigentlich erst heute, und sie entfaltet ihre Heuristik umso mehr, als den Ethologen ein ungleich potenteres Instrumentarium zur Verfügung steht, in der Gestalt von Evolutionsbiologie, Kognitionspsychologie, Neurowissenschaft usw. Die moderne Ethologie hat sich zu einer faszinierenden Disziplin entwickelt, um das Zentrum des Tiersubjekts mit seinem artspezifischen Mentalleben herum. Einer der renommiertesten gegenwärtigen Verhaltensforscher, Frans de Waal, fragt im Titel eines seiner Bücher: „Are We Smart Enough To Know How Smart Animals Are?“ ( 2016). 

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Ein Grossteil von uns foutiert sich darum. Denn im gleichen Atemzug, in dem man auf die Fortschritte in der Ethologie hinweist, macht sich ein schreiender Widerspruch Luft. Er drückt sich in einem Zahlenverhältnis aus, jenem von Nutztieren und Wildtieren. Eine re-zente Übersicht gibt an, dass sich die gesamte planetarische Biomasse der Säuger auf 32% Menschen, 65 % Nutztiere und 3% Wildtiere verteilt. Über die Robustheit der Zahlen lässt sich debattieren, nichtsdestoweniger kann man daraus eine bedenkliche philosophische Lektion ziehen. Im technisch-ökonomischen Scheuklappenblick erscheint das Nutztier nicht als Subjekt. Allem besseren ethologischen Wissen zum Trotz degradieren wir das Tier zur organischen Maschine. Weil nicht der Erkenntnisgewinn das letzte Wort hat, sondern der wirtschaftliche.

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Und es mutet allmählich wie ein abgenutzter Treppenwitz an, wenn der Mensch stets wieder ein Alleinstellungsmerkmal des Humanen zu finden sucht, und jedes Mal entdeckt, dass irgend eine andere Spezies ebenfalls dieses Merkmal oder zumindest Anlagen dazu mit sich bringt: Emotion, Intelligenz, Selbstbewusstsein, Werkzeuggebrauch, Imagination, Sozialität, Verhaltenserziehung (Kultur), Humor, Altruismus, Todesahnung ... eine fortgesetzte „Enttäuschung“ humaner Einzigartigkeit, dieser hartnäckigen und arroganten Obsession. Natürlich kann und soll man über das spezifisch Humane an solchen Merkmalen debattieren – speziell darüber, was menschliche Kultur dazu beiträgt - , aber ob wir daraus je ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal gewinnen können, bleibt fraglich. Und warum sollten wir auch?

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Bevor Descartes das Tierreich zu einer „res extensa“ degradierte, plädierte der italienische Humanist Hyeronimus Rorarius in einem Buch dafür, „dass die Tiere die Vernunft besser nutzen als die Menschen“ (1654). Nun wäre es an der Zeit, dass wir das Tierreich zu einer „mens extensa“ erklärten, einer Welt des ausgedehnten Geistes. Menschen sind ein Teil davon. Erst noch ein ausnehmend kleiner. 


Freitag, 13. September 2024



NZZ, 12.9.24

Rohstoff Wissen – Treibstoff Nichtwissen

Wissenschaft ist nicht Wissensdienst


Warum stecken wir eigentlich so viel Geld in die Wissenschaft? Gängige Antwort: Weil sie uns Wissen liefert. Und damit meinen wir in der Regel Wissen, das sich in Anwendungen umsetzen lässt: Die Quantenphysik in superschnelle Computer, die Chemie in neue synthetische Stoffe, die Molekularbiologie in Nano-Medikamente, die KI-Forschung in intelligente Maschinen, die Neurophysiologie in Hirnimplantate. Gerade die beiden letzten Jahrzehnte haben einer Mentalität zum Aufschwung verholfen, die man als «Muskisierung» der Wissenschaft bezeichnen könnte; also die risikokapitalistische Investition in hochfliegende, ja, grössenwahnsinnige Forschungsprojekte zur Beglückung der Menschheit. 

Diese Mentalität ist eigentlich jüngster Auswuchs eines Mythos, der seinen Ursprung im 17. Jahrhundert beim ersten Propagandisten der neuzeitlichen Forschung Francis Bacon hat. Er lautet kurz und bündig: Wissen ist gut; mehr wissen ist besser. Damit halten wir es bis heute. Dank Wissenschaft wissen wir immer mehr. Und Wissen befreit uns aus dem Dämmerzustand der Ignoranz. Nur vergisst dieser Mythos die andere Hälfte der Geschichte. Wissenschaft schafft auch Nichtwissen. 

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Das bedarf der Erläuterung. Vergleichen wir der Einfachheit halber eines der zentralen wissenschaftlichen Instrumente, die Theorie,  mit einer Laterne. Heute spricht man auch ruhmredig von «Leuchttürmen». Ihr Lichtkreis erhellt ein Stück Dunkelheit, und in diesem Kreis entdecken und erklären wir viele Dinge. Fortschritt besteht darin, diesen Kreis - und dadurch unser Wissen – zu erweitern. Aber bekanntlich vergrössert sich mit dem Radius des Kreises sein Umfang, das heisst: die Grenze zum Dunkel draussen, zum Nichtwissen. Kreative Geister in der Wissenschaft sind sich dieser Grenze ihres Lichtkreises bewusst, sie betonen oft geradezu mit Pathos die Bedeutung des Nichtwissens. Und das liegt an der inneren Dynamik des Erkenntnisprozesses. Forschende Neugier braucht die Spannung zwischen zwei erkenntnistheoretischen Polen, zwischen dem, was man weiss, und dem, was man nicht weiss. Diese Spannung elektrisiert buchstäblich die Phantasie, die explorative Lust am Dunkel draussen. Der Wert der Wissenschaft liegt ebenso im Nichtwissen wie im Wissen. 

Dieser Slogan leugnet nicht die Bedeutung des Wissens als Produktionsfaktor. Er richtet sich gegen ein eindimensionales «finalisierendes» Forschungsverständnis, das an die Wissenschaft immer mehr «externe» Leistungserwartungen heranträgt. Ein solches Verständnis zersetzt – so meine These - den wissenschaftlichen Geist von innen. Denn Wissenschaft steht nicht im Wissensdienst von Industrie und Wirtschaft. Sie ist kein marktgängiges Unternehmen, das unter Vorgabe von Zielen und Plänen seine problemlösenden Produkte – «silver bullets» - liefert. Und Wissenschaft lässt sich nicht - wie die alte Leier «Rohstoff Wissen» suggeriert - als blosse Res-source für industrielle Anwendung vereinnahmen. Zum Rohstoff Wissen gehört der Treibstoff Nichtwissen. 

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Natürlich profitieren Forscher vom traditionellen Bild des Wissen-Schaffers. Wie sonst sollten sie ihr Tun plausibel machen. Niemand erhält Fördergelder, um das Nichtwissen zu erweitern. Erkenntnissuche aber setzt Nichtwissen voraus, als eigentlichen Beweger der Forschung! Wie der renommierte Biochemiker Erwin Chargaff schrieb: «Es gibt in der wissenschaftlichen Forschung ein Suchen und ein Finden. Sucher sind nicht notwendigerweise auch Finder, aber sie verfassen die wertvolleren Reisebeschreibungen. Die älteren Generationen von Wissenschaftlern (..) gehörten vorwiegend zum Typ des Suchers. Das Suchen enthält auch ein Stück Träumen, und man könnte sagen, dass manch ein grosser Wissenschaftler seinen grossen Fund wie im Traum machte, wobei er übrigens nicht immer das fand, was er suchte. Die heutige Forschung aber misst dem Finden allzu grosse Bedeutung zu und pflügt ihre Abkürzungen mit dem Bulldozer durch die stummen Wiesen der Natur». 

Es wäre ein grosses Missverständnis, aus diesen Worten bloss das Lamento eines Nostalgikers herauszuhören. In der kognitiven Leidenschaft Neugier steckt kreative Anarchie, sie ist die wertvollste Ressource der Wissenschaft. Deshalb stellt das Austrocknen dieser Quelle die grösste Gefahr für eine wissensbasierte Gesellschaft dar. 

Läge es deshalb nicht an den Universitäten, das Ethos des Nichtwissens neben aller Exzellenzhuberei öffentlich zu bekunden? Das heisst, sich nicht einfach als Ausbildungsstätten von Skills zu begreifen? Wie wäre es mit einem Propädeutikum, das sich näher mit dem Im-Dunkeln-tappen beschäftigt? Einem Lehrgang für Formen der Ignoranz? Immerhin: Es gibt in Deutschland eine «Akademie der Wissenschaft vom Nichtwissen».  Sie lobt einen Essaypreis aus für die Förderung des Nichtwissens. Kein Jux, kein Spinnerprojekt. Sondern eine Idee, den Wert der Wissenschaft vor ihren Verwertern zu retten.








Dienstag, 23. Juli 2024

 


NZZ, 8.8.24

Die Aura der athletischen Leistung

Über den Homo sportivus optimus

Angesichts der «übermenschlichen» Performance des Tour-de-France-Siegers Tadej Pogacar spricht der ehemalige Radrenntrainer Antoine Vayer von «Mutanten».  Damit bringt er ein Unbehagen zum Ausdruck, das viele Sportbeobachter schon einmal heimgesucht haben dürfte:  Handelt es sich bei diesen Athleten eigentlich um eine neue Gattung - sind das Hybride zwischen Mensch und Maschine? Und die Frage  stösst uns auf eine hundertjährige Sportgeschichte, die sich eigentlich als eine Technikgeschichte entpuppt. 

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Spitzensport ist das Verlangen nach physiologischer Transzendenz: man will über seinen eigenen Körper hinauswachsen, obwohl ihm natürliche Grenzen gesetzt sind. Noch 1927 schrieb der englische Physiologe und Nobelpreisträger Archibald V. Hill: «Es gibt einen Widerstand, der der Muskelsubstanz inhärent ist und der mit steigender Geschwindigkeit ebenfalls ansteigt. Dieser Widerstand fungiert als automatische Bremse, die ein Tier daran hindert, sich zu schnell fortzubewegen und auf diese Weise derart hohe Geschwindigkeiten seiner Extremitäten zu erreichen, dass diese unter ihren eigenen Trägheitsbelastungen brechen würden».

Als man aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Arenen und auf den Strassen vermehrt beobachtete, wie Athleten diesen «inhärenten» Widerstand überwanden, begann sich die Debatte der Sportmediziner um die «physiologische Pathologie» des Spitzensports zu drehen. In seinem Buch «Edu¬cation physique et la Race» schrieb etwa der französische Pionier der Sportmedizin Philippe Tissié unumwunden, dass «sportbedingte Erschöpfung beim gesunden Menschen so etwas wie eine experimentell verursachte Krankheit hervorruft (..) Der Athlet ist ein Kranker.»

Dabei sollte es freilich nicht bleiben. Mit der wachsenden gesellschaftlichen Anerkenung des Leistungssports wurde auch die Frage laut, was denn «biologische Grenze» der Leistung bedeute. Der Spitzensportler stösst eine herkömmliche Werteordnung um: Nicht die gesunde (normale) Physiologie definiert den Rekord, sondern der Rekord definiert die gesunde Physiologie. Immer gebieterischer begann das Experimentierfeld der Ultraphysiologie das Recht zu verlangen, Normen zu setzen. Wer weiss denn, wie weit man die Leistungsgrenze treiben kann, wenn nicht der Athlet selbst? Spitzensport ist die Freiheit, mit der Gesundheit Missbrauch zu treiben. Ganz nach Brecht: «Der grosse Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat, gesund zu sein». 

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Antoine Vayers Rede von den «Mutanten» weist auf eine andere Grenzauflösung hin. Athlet und Gerät gleichen sich zunehmend an. Der Sportlerkörper ist das Bild, das sich moderne Wissenschaft und Technologie von ihm machen: eine organische Maschine. Der Athlet ist nur zu bereit, die neuesten Errungenschaften der medizinischen und biochemischen Forschung zwecks Leistungssteigerung an sich zu testen. Dadurch liefert er sich – ob er will oder nicht – dem Maschinenbild aus und verhilft ihm gleichzeitig zu gesellschaftlich-kultureller Anerkennung. Er macht sich zum Verbündeten eines hochfahrenden Fortschrittsprojekts, welches die Maschine nicht nur als ebenbürtig zum Menschen betrachtet, sondern als weit leistungsfähiger. Die Entwicklung des Geräts ist nicht an biologische Grenzen gebunden. Wenn man den menschlichen Körper der Kategorie des Technischen zuschlägt, dann gibt man ihn frei zum scheinbar grenzenlosen Umbau. Sport wird Technologiefortsatz. 

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Sport strebt nach Exzellenz, und Exzellenz basiert auf einer Mixtur aus (genetischer) Lotterie und harter Arbeit. Die harte Arbeit wird nun freilich immer mehr unterstützt durch die neuen Mittel der Menschenverbesserung. Und hier liegt der entscheidende Punkt: Bis jetzt verstanden wir unter «menschlich» das, was wir aus dem von der Natur Gegebenen machen. Gewiss, wir ergänzen und verbessern diese Gabe seit alters mit Hilfsmitteln jeder Art. Trotzdem stand bislang unsere «Natur» nicht in Frage. Genau sie aber wird durch das Bio-Enhancement herausgefordert. Die Biologie kann technisch aufgerüstet werden. Menschsein bedeutet nun für eine Avantgarde, das Menschsein hinter sich zu lassen: Transhumanismus. Und in dieser Sicht werden wir uns abgewöhnen zu fragen, was von der Natur und was von der Technik stammt. 

Heute stehen Gentests zur Verfügung, die das Potenzial eines Menschen bestimmen lassen. Das  heisst, dass die Lotterie immer mehr beeinflusst werden kann. Und es gibt Philosophen wie zum Beispiel Julian Savulescu in Oxford, die diese Manipulation des natürlichen Zufalls nachgerade zum sportethischen Gebot der Aufhebung natürlicher Ungleichheit erheben: «Dadurch, dass wir allen leistungssteigernde Mittel erlauben, ebnen wir das Spielfeld». Wer nicht dopt, ist selber schuld.

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Antoine Vayer wünscht sich dagegen einen «wahrhaftigeren» Sport. Was soll man sich darunter vorstellen? Eine Enklave der «puren» sportlichen Leistung? Wenn wir von der tendenziellen Grenzauflösung zwischen Natürlichem – «Reinem» - und Künstlichem – «Gedoptem» - ausgehen, dann mutet der Appell an die Wahrhaftigkeit heute ziemlich nostalgisch  an. Wir bemerken hier eine Parallele zur Kunst. Auch sie wird durch Technologie «gedopt». Die neuesten Systeme der Künstlichen Intelligenz machen sich anheischig, nun selber kreativ zu sein, malerische, musikalische, literarische Werke zu produzieren. Die Künstler befürchten, dass diese Einmischung des Technischen die Wahrhaftigkeit ihrer Werke – ihre Aura - gefährdet. Das muss umso mehr für den Athleten gelten. Er ist Autor und Werk in Person, sein Rekord soll auf einmalige Weise demonstrieren, was er aus sich selbst gemacht hat. Walter Benjamins Feststellung über das Kunstwerk gilt besonders für das «Sportwerk»: Wird es technisch reproduzierbar, verliert es seine Aura.  

Wir wollen im Sport Eigenleistung unter der wachsenden Zudringlichkeit der künstlichen Fremdleistung sehen, Authentizität in zunehmend unauthetischeren Lebensumgebungen. Das Skandalon liegt gar nicht so sehr im Doping, sondern im Umstand, dass man dem wissenschaftlich-industriell-wirtschaftlich-medialen Riesenkomplex Spitzensport nach wie vor den Mantel der «sauberen» athletischen Eigenleistung umhängen möchte; dass man immer wieder so tut, als bekäme man das Hamsterrad unter Kontrolle, das der dopinggeständige Radfahrer Jörg Jaksche mit beissender Lakonie einmal so beschrieben hat: «Nur wer dopt, gewinnt. Nur wer gewinnt, kommt in die Medien. Nur wer in den Medien ist, macht seine Sponsoren glücklich. Nur glückliche Sponsoren geben auch im nächsten Jahr noch frisches Geld.»

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Im Grunde sind wir heute Zeugen eines tiefen und schleichenden Charakterwandels des Sports. Wenn wir bisher - und immer noch - in der sportlichen Leistung unsere natürlichen Gaben bewundern und schätzen, so ist doch festzustellen, dass die Technisierung und in ihrem Gefolge die Ökonomisierung auch das Ziel der sportlichen Aktivität umdefiniert. Die Süssholzraspler der hehren Werte täuschen uns kaum noch darüber hinweg, dass der Sport prioritär an seinem monetarisierbaren Unterhaltungswert gemessen wird. Für Pierre de Coubertin bedeutete das «schneller, höher, stärker» noch die Kultivierung einer «harten, geistig-sittlichen Muskulatur». Heute will das Publikum sich von «mutierten» Athleten faszinieren lassen. Und es zahlt dafür auch wacker. 

Natürlich betreiben wir Sport auch um des Vergnügens willen. Aber die intensive Bewirtschaftung des Vergnügens raubt ihm genau das, was man mit Schiller als sein Ethos definieren könnte: das spielerische Moment. Der Mensch ist nur da ganz Sportler, wo er spielt. Und gerade im Spiel liegt ja der Ansatz der Erziehung zur Freiheit. Heute verhält es sich eher so, dass der Sport diese Freiheit unter dem Zwang der Marktgesetze verliert. Und deshalb ist der technisch aufgerüstete «Homo sportivus optimus» die symptomatische Gestalt einer Gesellschaft, die im Begriff ist, dem Spiel seinen befreienden Charakter auszutreiben.  




Samstag, 6. Juli 2024




Conditio transhumana

Aus der Trickkiste der technologischen Fabulanten

Wird die Welt immer schlechter, träumt man gern von guten alten Zeiten. Oder von guten neuen. Seit einiger Zeit macht sich eine umtriebige Truppe von Philosophen, Wissenschaftern und Ingenieuren daran, uns auf eine Zukunft einzustimmen, in der die meisten Probleme der Menschheit gelöst sein werden. Das Projekt des radikalen Transhumanismus, wie es genannt wird, entwirft aus den neuen bio-, info- und neurotechnischen Möglichkeiten eine entsprechende neue Anthropologie, die Abschied vom Menschen nimmt, wie wir ihn kannten. Ihr Anliegen lautet etwas plakatiert: Die gegenwärtigen Probleme der Menschheit sind mit dem herkömmlichen Menschen nicht lösbar. Also muss ein neuer, „problemadaptierter“ Mensch her, das heisst: Man muss den herkömmlichen Menschen mit wissenschaftlich-technischen Mitteln neu designen, um die Probleme zu lösen. 

Das  Märchen vom Altern und Tod

Einer dieser Transhumanisten ist der Philosoph Nick Bostrom. Er erzählt uns das Märchen von Altern und Tod, dem tyrannischen Drachen, dessen Appetit man befriedigen musste, indem man ihm jeden Tag bei Einbruch der Dunkelheit zehntausend Männer und Frauen ablieferte. Schliesslich aber wurde der Drache besiegt, die Menschheit von der Tyrannei des Alterns und des Todes befreit.  

Bostrom ist nicht naiv. Er schlägt mit dem literarischen Format des Märchens geschickt drei Fliegen mit einer Klappe. Erstens macht er den wissenschaftlich-technologischen Kampf gegen Altern und Tod auf einem gemeinverständlichen „kindlichen“ Niveau plausibel; zweitens spricht er unsere tiefsten Instinkte an - wer fürchtet sich nicht vor dem Tod? – ; und drittens lädt er diesen Kampf moralisch auf. Die Auseinandersetzung mit Drachen steht seit je im Zeichen Gut-gegen-Böse. Bostrom sagt es ausdrücklich: „Wir haben zwingende moralische Gründe, die menschliche Seneszenz loszuwerden.“ Das Leben ist kurz, die Technik währt lang, sagte schon Hippokrates. Also protzt man das Leben technisch auf, damit es lange währt.

Du sollst dich verbessern!

Das Beispiel scheint mir geeignet zu sein, um auf drei Tricks aufmerksam zu machen, mit denen im Ausmalen zukünftiger besserer Welten gern gearbeitet wird. Erstens erklärt man es zur Pflicht des rationalen Menschen, das Projekt zu unterstützen. Bostrom beschreibt zum Beispiel das transhumane Leben in seinem „Brief aus Utopia“.  Man werde dort spielend 170 Jahre alt, verfüge über kognitive Fähigkeiten unerhörten Ausmasses, streue Glück in Form von ein paar Körnchen in den Tee, höre Musik, die sich zu Mozart so verhält, wie Mozart zu schlechter Musak, und so weiter. Wie also kann ein vernünftiger Mensch die Wonnen solcher künftiger Existenz ausschlagen? Schnell verfängt man sich allerdings hier im Fehlschluss vom Mittel auf den Zweck: Wir haben die Mittel zur radikalen Menschenverbesserung, ergo ist die radikale Menschenverbesserung auch der Zweck. Die Diskussion verlässt den Horizont des Wissenschaftlich-Technischen nicht mehr. Der Imperativ „Du musst dich verbessern!“ stutzt dem Wünschen, sofern es nicht ein wissenschaftlich-technisches ist, die Flügel. Wer anderes wünscht, handelt unvernünftig, ja, unmoralisch.

Jammertal-Verstärker

Zweitens erhöht sich die Wünschbarkeit der Utopie dadurch, dass man den Ist-Zustand der Welt möglichst in Grautönen malt. Nennen wir dies den Jammertal-Verstärker. Er arbeitet, meist verdeckt, auf eine Umwertung der Werte hin. Erinnern wir uns des Märchens von Bostrom. Alter und Tod sind der Drache, den es zu besiegen gilt. Das hat durchaus eine gewisse Plausibilität. Zumindest: Wer hegt nicht den Wunsch nach einem genussvollen, beschwerdefreien Alter? Aber das ist nicht zwingend der Wunsch, ein ewiges Alter zu haben. Mit dieser überdrehten Logik operiert indes das radikale Enhancement. Und sie hat tatsächlich etwas von der Logik des Märchens. Der König ist krank. Also muss ein Heilwasser oder ein Zaubervogel her. Der Mensch altert und stirbt. Also muss eine entsprechende Heiltechnologie her. Versteckt unterstellt man, das Alter sei eine Krankheit, von der man zu „gesunden“ hat. Die Utopie dichtet uns ein Defizit an, erklärt das Normale um zum Pathologischen. 

Unvermeidlichkeit der Transhumanität

Drittens artikuliert Transhumanismus einen mehr oder weniger ausgeprägten Technik-Deter¬minis¬mus: Technik entwickelt eine Eigendynamik, man kann gegen sie (das heisst: gegen die grossen Technikunternehmen) so oder so nichts unternehmen. Dadurch umgibt sich die Utopie mit einer Aura des Unausweichlichen. 

There is no alternative. Das transhumanistische Zukunftsszenario eröffnet sich uns als „zwingender“ Ausgang aus der biologischen Evolution. Was die Natur stümperhaft zusammengebastelt hat, übernimmt nun der Mensch und führt es als bewusstes Design fort. Seine „Bestimmung“ ist es, sich zu verbessern, sich verbessernd über sich hinauszuwachsen. Damit ist dem ganzen Projekt auch gleich eine kryptoreligiöse Weihe verliehen, die es für nicht wenige umso attraktiver macht. 

Der „disruptive“ Unterschied zwischen alten und neuen Techno-Utopien

Die drei Momente – In-die-Pflicht-nehmen, Jammertal-Verstärker und Unvermeidlichkeit – machen den Propagandakern der Techno-Utopisten aus. Dabei sei ausdrücklich betont, dass dem technischen Fortschritt immer schon ein gewisser utopischer Drang innewohnt. Seit er sich der Technik bedient, nimmt also der Mensch quasi am transhumanen Projekt teil. Was heute hingegen ins Gewicht fällt, ist die Verfügbarkeit machtvoller Technologien, welche diese Träume zu realisieren versprechen. 

Die Realisierungsmöglichkeit markiert den „disruptiven“ Unterschied zwischen alten und neuen Utopien. Platons Vision einer von Philosophen geführten Gesellschaft war harm-los, weil es sich tatsächlich um eine Vorstellung jenseits des Machbaren handelte. Heute führen nicht Philosophen-Könige das Zepter, sondern Digitalunternehmen-Könige mit ihren Software-Wächtern. Und sie haben die Macht, die Gesellschaft wirklich nach ihren Visionen zu verändern. Schon heute brüstet sich Google damit, dem Nutzer sagen zu können, was er will, bevor er weiss, was er will. 

Things bite back

Zur bekannten Ironie der Technik gehören die nichtindendierten Effekte von Innovationen. „Things bite back“, wie es im Englischen schön heisst. Wir kennen ja bereits Enhancement mit Botox, Steroiden, Viagra. Und wir kennen auch ihre Nebenwirkungen: Lähmungserscheinungen und Infektionen bei Botox; Herzprobleme bei Steroiden; niedriger Blutdruck und Priapismus bei Viagra. Wir haben keine Ahnung, wie das bei einem total transformierten menschlichen „Metakörper“ wirklich aussehen würde. Technophantasien, die diese Unkenntnis nicht als Parameter berücksichtigen, unterscheiden sich kaum von altem magischen Denken: der Zaubertrank hat die gewünschte Wirkung, ohne Kollateraleffekte. Aber genau diese Wunschwirkung haben Technologien nicht. Und je „totaler“ sie werden, desto grösser das existenzielle Risiko, dass der Kollateralschaden zu einem Total-schaden auswächst. 

Etwas fehlt

Es handelt sich, aufs Ganze gesehen, um Technologien der Transzendenz, die uns angeboten werden. Sie übernehmen das Geschäft der Theologen. Ray Kurzweil ist der Johannes der Täufer der neuen Religion: Die Singularität ist nahe herbeigekommen! - Nochmals: Die Visionen der Menschenverbesserer entspringen durchaus  plausiblen Wünschen und Zielen. Der Krebskranke wünscht sich eine Therapie, die anschlägt; der Querschnittsgelähmte eine intelligente Prothese; der Blinde einen Chip im Seh-Areal des Hirns. Das sind prinzipiell begrüssenswerte Posten im Projekt der Leidensverminderung und Mangelbehebung. Utopien gehen aus von der Grunderfahrung „Etwas fehlt“, um die griffige Kurzformel von Ernst Bloch zu zitieren.  Der Transhumanismus verspielt genau da seine Plausibilität, wo er dieses „Etwas fehlt“ in ein „Alles fehlt“ verwandelt, und die schlaraffische Omnikompetenz zum Massstab des Humanen macht. 

Und vergessen wir eines nicht: Transhumanismus bedeutet im Grunde nicht die Überwindung des Menschen, sondern eines Menschenbildes. Gut möglich, dass wir bald schon auch das transhumane Menschenbild überwunden haben werden. Immerhin stünde es uns gar nicht so schlecht an, vermehrt wieder das Humane im Transhumanen zu bedenken. 




Donnerstag, 6. Juni 2024

 


                         The Waters of May.            Sense

Freitag, 31. Mai 2024



NZZ, 30.5.24

Das Monster in uns

Der Hang zum Unmenschlichen ist menschlich

Jüngst war in den Medien von den «Hamas-Monstern» die Rede. «Yahia Sinwar – das Monster von Gaza». Solche Dämonisierung – oder genauer «Monsterisierung» -  hat Tradition. Ein Buch über den Massenmörder Anders Breivik trägt den Titel «The Utoya Monster», ein Film über den Inzesttäter Josef Fritzl «Geschichte eines Monsters». Regelmässig bezeichnet man Untaten, die das menschliche Fassungsvermögen übersteigen, als «monströs». Den Titel «Monster» reservieren wir – oft mit heimlichem erotischem Schaudern - für Menschen, deren psychisches und intellektuelles Universum sich unserem Verständnis entzieht. Deshalb ist der Begriff auch eine Warnung; «monstrare» bedeutet zeigen und warnen. 

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Wovor eigentlich? Sicher vor physischer Bedrohung. Monster wollen Böses, sie wollen von uns Besitz ergreifen, uns vergewaltigen, unser Blut saugen, uns töten. Grund genug, sich vor ihnen zu fürchten. Aber physische Gefahr allein genügt nicht, um sie von anderen Bedrohungen zu unterscheiden. Ein Krokodil kann durchaus eine physische Gefahr darstellen, ist aber kein Monster. Und warum nicht? Weil man es einer eindeutigen Kategorie zuschlagen kann. Das Krokodil ist ein Tier. 

Zum Monstersein braucht es eine andere Aura der Gefahr. Man könnte sie die Gefahr der Uneindeutigkeit nennen. Monster passen in kein Kategoriensystem, sei dies natürlich oder kulturell. Sie sind ein Affront gegen die Natur, die Sitte, das Recht. Wir wissen kognitiv nicht, was wir mit diesem uneindeutigen Ding anfangen sollen. Wenn es keine reelle Gefahr anzeigt, so doch eine virtuelle. Und gerade diese Virtualität – das Gerücht, der Verdacht, die Imagination - macht jemanden zum Monster. Als Zwitterkategorie eignet es sich gut zur Dämonisierung des Anderen. Transmenschen werden oft als solche «uneindeutige» Wesen wahrgenommen. 

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Die britische Fernsehserie «Black Mirror» schildert dystopische Zukunftsszenarien einer völlig technisierten Gesellschaft. In einem Szenario ist die menschliche Spezies von monströsen humanoiden Wesen bedroht. Ein spezieller Trupp von Monsterjägern verfolgt und eliminiert sie. Wie sich allerdings herausstellt, ist den Monsterjägern ein Modul ins Gehirn implantiert worden, das sie andere Menschen als Monster wahrnehmen lässt. Beim Helden der Geschichte funktioniert dieses Modul nicht, weshalb er entdeckt, dass er kein tapferer Verteidiger der menschlichen Spezies ist, sondern am Vernichtungsfeldzug einer verachteten Bevölkerungsgruppe teilnimmt. 

Das ist Science Fiction. Freilich brauchen wir gar keine fiktiven Gehirnimplantate, um in anderen Menschen Monster zu sehen. Gewöhnlich nehmen wir Artgenossen spontan als Mitmenschen wahr. Aber immer wieder mischt die Ideologie des «Untermenschentums» mit, die uns suggeriert, gewisse Mitglieder unserer Spezies seien nicht «eigentlich» menschlich. Wir kennen die Ideologie sattsam aus den Traktaten der Nazis oder der weissen Suprematisten. Jüngst auch aus dem Mund des stellvertretenden Bürgermeisters von Jerusalem, Arieh King. Er erklärte angesichts von fast nackten Palästinensern, die in einer Sandgrube festgesetzt worden waren: Könnte er entscheiden hätte er die Gefangenen mit Bulldozern lebendig begraben; sie seien keine Menschen oder menschliche Tiere, sondern Untermenschen.  

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Wie stark und nachhaltig freilich dieses Ideengezücht in unseren Köpfen wuchern mag, es verdrängt den mitmenschlichen Urblick nie völlig. Oder eher, es spaltet ihn auf in zwei Teilblicke, die sich unter Umständen nicht mehr vertragen. Dieser unheimliche Zwiespalt ist in uns allen angelegt. Und er wird in dem Moment zur Monstrosität, in dem die Ideologie unsere Wahrnehmung derart in Bann schlägt, dass wir andere Menschen gegen die Evidenz unserer Sinne und gegen die innere Stimme unserer Empathie nicht mehr als «unseresgleichen» qualifizieren. Dann geschieht etwas, das im Tierreich eine Ausnahme ist: die Gewalthemmung gegenüber Angehörigen der eigenen Spezies verschwindet nahezu total. Die Hamas-Terroristen sahen in ihren Opfern zweifellos Menschen, und gerade weil die Opfer Menschen waren, wurden sie unmenschlich massakriert. Ein japanischer Veteran des Zweiten Weltkriegs sagte in einem Interview: «Wenn wir chinesische Frauen vergewaltigten, dann betrachteten wir sie als Menschen; wenn wir sie töteten, als Schweine». 

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Wir sind offenbar anfällig für diese «normale» Geistesgestörtheit. Es bedarf dazu gar nicht erst der Ideologie. Auch tradierte Vorurteile, Ängste, tiefverwurzelter ethnischer Hass können den Widerspruch am Köcheln halten. 1993 wütete der Mob im rumänischen Dorf Hadareni pogromartig gegen Roma. Zahlreiche Häuser wurden niedergebrannt, drei Roma getötet. Eine Dorfbewohnerin äusserte sich dazu wie folgt: «Wir sind stolz auf unsere Taten. Eigentlich wäre es sogar besser gewesen, wenn wir mehr Leute verbrannt hätten und nicht nur deren Häuser. Wir verübten keinen Mord – wie kann man das Töten von Zigeunern Mord nennen? Zigeuner sind nicht wirkliche Menschen, weisst du. Sie töten einander. Sie sind Kriminelle, untermenschlich, Ungeziefer».   

Das Vokabular des letzten Satzes enthüllt den ganzen monströsen Widerspruch: Roma sind Kriminelle, also Menschen, und gleichzeitig Ungeziefer, also nicht Menschen – eigentlich sind sie weder noch, nämlich untermenschlich. Die Frau lebt mit diesem Widerspruch in Seelenruhe. Sie demonstriert die «einleuchtende» Logik der Unmenschlichkeit, deren Spur sich vom Dorfpogrom in Rumänien bis zum Genozid in Ruanda zieht. Das teuflische Motiv, andere Menschen als Ungeziefer zu behandeln, liegt exakt darin, dass sie kein Ungeziefer sind. 

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Entmenschlichung beginnt im Kopf. Im Denken und Reden über andere, nicht im Behandeln an-derer, obwohl beides untrennbar zusammenhängt. Der Hang zur Unmenschlichkeit ist menschlich, und ihm wohnt oft eine mörderische logische Stringenz inne. Wir sollten also Humanität auch, nein, vor allem von ihrem entgegengesetzten Pol - der Monstrosität - her denken. Adorno nannte diesen Pol «Auschwitz» und schrieb: «Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung». Aber zu dieser Erziehung gehört notwendig das Memento, dass Ansätze zu Auschwitz immer möglich sind. 

Das forderte Susan Sontag eindringlich: «Wer sich ständig davon überraschen lässt, dass es Verderbtheit gibt, wer immer wieder mit erstaunter Enttäuschung (oder gar Unglauben) reagiert, wenn ihm vor Augen geführt wird, welche Grausamkeiten Menschen einander antun können, der ist moralisch oder psychologisch nicht erwachsen geworden. Von einem gewissen Alter an hat niemand mehr ein Recht auf solche Unschuld oder Oberflächlichkeit, auf soviel Unwissenheit oder Vergesslichkeit». 

Moralische Reife erlangen wir also, indem wir das Monster in den Horizont des Menschenmöglichen einbeziehen. Dann können wir ihm ins Auge sehen – in uns selbst. Fürchten müssen wir es immer. 

Freitag, 24. Mai 2024

 


Der Frosch im Kochtopf


Wenn sich die Dinge langsam und unmerklich verändern, ist man sich der Drastik der Entwicklung kaum bewusst. Man gebraucht hiezu oft das warnende Bild des Frosches im Kochtopf. Er springt aus dem siedenden Wasser, aber lässt sich zu Tode kochen, wenn man die Wassertemperatur stetig leicht erhöht. Die Analogie ist ein Slippery-Slope-Argument. Sie warnt uns vor Trägheit oder Widerwillen gegenüber nötigen Massnahmen und Verhaltensänderungen. Wir seien zum Beispiel angesichts der graduellen Umweltverschlechterungen wie Frösche im Topf, hört man, wir würden erst herausspringen, wenn es zu spät ist – sofern wir das dann noch können. Oder wir seien zuwenig wachsam gegenüber antidemokratischen Bewegungen in gegenwärtigen liberalen Gesellschaften, und wir würden dies erst merken, wenn die Diktatur sich etabliert hat. 

Was sagt die Biologie dazu?

Frösche sind Amphibien. Sie sind Kaltblütler, das heisst, sie produzieren nicht selbst ihre Körpertemperatur wie wir Säuger. Sie zapfen externe Energiequellen an, am häufigsten Sonnenlicht. Vom Gesichtspunkt der Effizienz aus betrachtet ist das sehr klug. Wir Warmblütler müssen viel essen, um die nötige Körpertemperatur zu erhalten. Kaltblütler brauchen viel weniger Nahrung als Energiezufuhr. 

Natürlich merken Frösche, wenn ihre Umgebung zu kalt oder zu heiss ist. Sie  regulieren ihren internen Temperaturhaushalt, indem sie Sonnenlicht suchen, wenn ihnen kalt ist. Wenn ihnen zu warm ist, verdunsten sie Wasser, um dem Körper Wärme zu entziehen, auf die Art und Weise, wie wir Menschen schwitzen. Jede Spezies hat ihr eigenes kritisches Temperaturmaximum. Bei Menschen beträgt es etwa 42 Grad; bei Fröschen zwischen 25 bis 30 Grad. Ein Frosch kann während einer bestimmten Zeit in einer Umgebung mit Temperatur über dem Maximum aushalten, bis er aus der Umgebung flüchtet. Im Übrigen sitzen Frösche nicht einfach so herum, sie sind bewegungsfreudig, was ja auch in der Redensart «Sei kein Frosch!» zum Ausdruck kommt: Lauf nicht davon, wenn die Situation brenzlig ist. 

Lobotomisierte Frösche

Seit Galvanis Experimenten mit Froschschenkeln ist der Frosch ein probates Versuchstier – ein «Präparat» - in der medizinischen Forschung. Hunderttausende dieser Tiere verendeten verstümmelt und verstückelt auf Labortischen. Und mussten auch in den Kochtopf springen. Im späten 19. Jahrhundert stand vor allem das Nervensystem des Froschs im Fokus des Interesses. Der deutsche Mediziner Friedrich Leopold Goltz - entschiedener Befürworter der Vivisektion - führte sogenannte «Ausschaltungsversuche» am Zentralnervensystem des Frosches durch, um Aufschlüsse über die Reflexvorgänge zu erhalten. Er verglich dabei Frösche, die er lobotomisiert – Teile ihres Gehirns entfernt – hatte, mit normalen Fröschen. Goltz erhöhte die Wassertemperatur auf 56 Grad innerhalb von zehn Minuten. Und er stellte fest, dass die hirnlosen Tiere im heissen Wasser blieben, während die behirnten heraussprangen. Natürlich betrachten wir aus heutiger Sicht solche Experimente mit eigentlich trivialem Ausgang als grausam. Aber wir müssen beden-ken, dass die Kenntnis über Vorgänge im Nervensystem – verglichen mit heute - noch dürftig war. Im Übrigen bezweifeln moderne Biologen die Aussagekraft des Experiments. 

Das Haufen-Paradox

Trotzdem ist die Metapher nützlich. Einmal als die Frage, wie wir auf fein abgestufte, kaum bemerkte Weise in gefährliche Situationen hineinrutschen können. Wann ist es zu spät? Das ist ein uraltes philosophisches Problem, bekannt als das «Haufen-Paradox» (Sorites-Paradox). Es hat zu tun mit den sukzessiven kleinen Veränderungen eines Zustands bis zu jenem Punkt, wo der Zustand sich in einen neuen verwandelt. Wir beginnen mit einem Sandkorn und fügen ein weiteres hinzu. Haben wir nun einen Sandhaufen vor uns? Nein. Dann fügen wir ein weiteres Korn hinzu. Immer noch kein Haufen. Wenn wir die Prozedur weiter führen, sagen wir bis zu einer Million Körnern, können wir immer noch argumentieren: Bisher war das kein Haufen, also auch jetzt nicht. Paradox, wir kommen nach dieser Logik nie zu einem Sandhaufen. 

Nun ja, das ist eher etwas für philosophisch geneigte Naturelle. Für gewöhnlichere ist die Metapher ein Hinweis darauf, wie wir Menschen quasi als «selbst-lobotomisierte» Frösche auf bestimmte, offensichtliche Gefahren nicht reagieren. Die Welt ist nämlich voller Kochtöpfe. 





Donnerstag, 9. Mai 2024



Die mörderische Macht der Illusion

Es gibt zwei Arten von Illusion. Wenn wir die Sonne als riesigen Kreis am Horizont auf- oder untergehen sehen, haben wir eine falsche Vorstellung. Die wahrgenommene Grösse der Sonne ist eine Illusion. Die Illusion im anderen Sinn ist eine Idee, von der wir wünschen, sie sei wahr. Mörderisch wird die Illusion, wenn wir von ihr derart überzeugt sind, dass sie sich nicht als falsch herausstellen kann. Im Gegenteil. Je mehr sie sich als falsch herausstellt, desto gewalttätiger verlangt sie nach Durchsetzung. Ich verfolge hier kurz drei Beispiele solcher Durchsetzung. Wenn ich sie an bekannten Politikern festmache, dann habe ich nicht primär die Personen im Visier, sondern deren Ideengezücht, das eine Tradition der Entmenschlichung bewahrt und weiterführt. 

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Mörderische Illusionen brauchen ein Brutklima des Enttäuschtseins, der Erniedrigung, der Bedrohung. Das führte der britische Psychoanalytiker Roger Money Kyrle bereits in den 1930er Jahren exemplarisch vor. Er besuchte Versammlungen der Nazis und beobachtete die Psychodynamik bei Reden von Hitler und Goebbels. Er stellte dabei einen einfachen Steigerungs-Dreischritt fest: Selbstmitleid-Verfolgungswahn-Grössenwahn. Money Kyrle bezeichnet die Zuhörerschaft als «Monster». Und er beschreibt das Crescendo des manischen Aufputschens: «Während zehn Minuten hörten wir vom Leiden Deutschlands seit dem Krieg. Das Monster schien sich einer Orgie von Selbstmitleid hinzugeben. Dann folgten in den nächsten zehn Minuten die schrecklichsten Explosionen gegen Juden und Sozialdemokraten als den einzigen Urhebern dieses Leids. Selbstmitleid machte Hass Platz; und das Monster schien im Begriff, mörderisch zu werden. Aber der Ton änderte sich noch einmal. Nun hörten wir zehn Minuten lang vom Aufstieg der Nazi-Partei, von kleinen Anfängen zu einer überwältigenden Macht. Das Monster wurde nun, vergiftet vom Glauben in die eigene Allmacht (..),  sich seiner selbst bewusst». 

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Die amerikanische Jornalistin Gwynne Guilford folgte den Fusstapfen von Money Kyrle in Wahlveranstaltungen der amerikanischen Republikaner 2016.  Sie fand den Dreischritt triumphal bestätigt. Trump spielte meisterlich mit den Wünschen seines Gefolges, sich als Teil eines übermächtigen Ganzen: sich «real» zu fühlen. 

Trump begann auf dem Register von Enttäuschung, Verlust, Bedrohung: «Unser Land ist in ernsthaften Schwierigkeiten. Wir haben keine Siege mehr (..) (Die Chinesen) lachen über uns als Einfaltspinsel. Sie schlagen uns im Geschäft.» Dann suchte er im zweiten Schritt die Schuldigen: «Wenn Mexiko seine Leute schickt, schickt es nicht die Besten (..) Es schickt Leute mit einem Haufen von Problemen, und diese Leute bringen ihre Probleme zu uns. Sie bringen Drogen. Sie bringen Kriminalität. Sie sind Vergewaltiger (..) Und all dies kommt nicht nur von Mexiko, son-dern von überall her aus dem Süden (..) und es kommt wahrscheinlich – wahrscheinlich – aus dem Mittleren Osten». Schliesslich öffnete der Überbringer schlechter Nachrichten seinen Wundermittelkoffer: «Nun braucht unser Land (..) einen wirklich grossen Führer (..), einen Führer, der ‘The Art of the Deal’ schrieb, der unsere Jobs zurückbringt, unser Militär (..) Wir brauchen jemanden, der dem Markenzeichen USA wieder zu Grösse verhilft: Make America Great Again (MAGA)». Gehörte der Mob, der 2021 das Kapitol in Washington stürmte, zur Vorhut der MA-GA-Bewegung?

Trump sei nicht Grossmachtswahn à la Hitler unterstellt. Er dürfte – zum Glück - ein zu windiger Politiker sein, um seine «Ideologie» mit aller Gewalt durchzusetzen. Steve Bannon, sein Einflüsterer im Wahlkampf 2016, scheint zumindest in seiner Gedankenwelt unzimperlicher zu sein. Ihm schwebt die gewaltsame Restauration der «westlichen Zivilisation» vor, ein nationalistischer, «aufgeklärter» - sprich unregulierter -  Kapitalismus mit jüdisch-christlichem Wertefundament. Natürlich gilt es zuerst die Schuldigen zu benennen – die «Elite», die «Schickeria, die Investment-banker und die Typen von der EU». Dass der  Konflikt mit diesen Schuldigen kriegsmässige Ausmasse annehmen könnte, stört Bannon nicht. Im Gegenteil. Er, der «Leninist», sieht hier den Weg der revolutionären Gewalt, um endlich der neuen Zivilisation, der «vergessenen» Mittelschicht Amerikas Platz zu machen. 

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Mit ebendieser Gewalt sucht der russische Präsident die westliche Zivilisation zu besiegen. Vor der Attacke Russland auf die Ukraine 2022  hielt Putin eine langatmige Rede an die Nation, wo-runter er insbesondere «unsere Landsleute in der Ukraine» zählte, also den annektierten ukrainischen Südosten plus die Krim.  

Auch hier zunächst die Evokation der Demütigung: «Man stellt sich die Frage: Armut, Perspektivlosigkeit, Verlust des industriellen und technologischen Potentials – ist das etwa diese sogenannte Entscheidung für die westliche Zivilisation, mit der man jetzt schon seit Jahren Millionen Menschen für dumm verkauft und zum Deppen macht, indem man ihnen Milch und Honig verspricht?» Die Urheber sind schnell identifiziert: eine korrupte Schicht von ukrainischen Oligarchen: «Die staatlichen politischen Institutionen wurden permanent neu zugeschnitten, immer so, dass es den entstehenden Clans zum Vorteil gereichte, deren materielle Interessen denen des ukrainischen Volks entgegengesetzt waren». Im Hintergrund wirken natürlich die Unterstützer NATO und USA – die «westliche Zivilisation». Schliesslich der Befreiungsschlag, das Ultimatum: «Von denen, die in Kiew die Macht an sich gerissen haben und sich an sie klammern, fordern wir, dass sie die Kampfhandlungen unverzüglich einstellen. Andernfalls lastet die gesamte Verantwortung für ein mögliches weiteres Blutvergiessen voll und ganz und ohne Einschränkung auf dem Gewissen des auf dem Territorium der Ukraine herrschenden Regimes. Ich bin mir sicher, dass ich mir bei den heute getroffenen Entscheidungen der Unterstützung der Bürger Russlands, aller patriotischen Kräfte des Landes, gewiss sein kann».  Nebenbei bemerkt, das typische Charakteristikum jeden autoritären Regimes: Befreiung von der Verantwortung eigener Taten. 

Russland muss nicht bloss vom ukrainischen Filz gereinigt werden, sondern von allem, was sich nicht in die «patriotische» Illusion integrieren lässt. Russische Propaganda spricht heute von «sanitären Zonen», die man durch Bombardierung ukrainischer Städte wie Charkiw einrichten wolle.  Sanitäre Zonen schützen vor Kontamination, vor Schädlingen, Krankheitskeimen. Bei den Nazis war das Ghetto eine solche Zone. Goebbels notiert 1939 in sein Tagebuch nach einem Besuch des Ghettos von Lodz: «Wir steigen aus und besichtigen alles eingehend. Es ist unbeschreiblich. Das sind keine Menschen mehr, das sind Tiere. Das ist deshalb auch keine humanitäre, sondern eine chirurgische Aufgabe. Man muß hier Schnitte tun, und zwar ganz radikale. Sonst geht Europa einmal an der jüdischen Krankheit zugrunde».

Nun gehört auch eine ukrainische Stadt zur Zone «ärztlichen Eingriffs». Der Fortschritt der Entmenschlichung ist unaufhaltsam. 

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Drittes Reich, MAGA, das historische Russland. Das Leitmotiv all dieser schönen Illusionen – es gibt mehr als diese drei - lautet, wie schon Lenin wusste: Für ein grosses Omelett muss man viele Eier zerschlagen. Der Wunsch, dass die Illusion wahr sei, übertrumpft in der Regel den Realitätssinn. Bannon ist (zur Zeit) weg vom politischen Fenster. Aber sein Gedankengebräu köchelt wohl in vielen Köpfen. Putins Problem dürfte sein, dass er seine megalomane Rechnung ohne eine grosse Zahl von «Bürgern Russlands» macht.  Was verschlägt es? Scheitert die Illusion an der Realität, dann hat die Realität der Illusion angepasst zu werden. Und zwar mit allen Gewaltmitteln. Sie stehen megatonnenweise zur Verfügung. Die Geopolitik macht die Erde zu einem einzigen gigantischen Waffenlager. Zu Diensten von Illusionen.





 


The Message is the Massage Über die Krise der epistemischen Autorität Wenn ich einer anderen Person etwas mitteilen will, will ich sie überz...