Der Duft der Rose und der riechende Roboter
Wie die technologische Entwicklung die Philosophie notwendig macht
Kann ein Roboter eine Rose riechen? Das heisst, können wir eine künstliche Nase bauen, die wie wir den Duft der Blume wahrnimmt? Die Frage klingt ziemlich abstrus. Aber sie kann uns ein schon seit langem diskutiertes philosophisches Problem veranschaulichen, das nun auch die KI-Forscher beschäftigt.
Was geschieht, wenn ich eine Rose rieche? Objektiv betrachtet, handelt es sich um Informationsübermittlung durch Moleküle. Die Blume emittiert bestimmte Duftmoleküle. Sie flottieren in der Luft und sie suchen als «Schlüssel» die «Schlösser» von Rezeptormolekülen in der Zellmembran meines Nasenepithels. Wenn ein Duftmolekül ein «Schloss» öffnen kann, veranlasst dies die Rezeptorzelle, elektrische Signale zu produzieren, den Input in das neuronale Netz meines olfaktorischen Cortex. Er verarbeitet sie und der Output ist das, was ich als den Duft der Rose wahrnehme.
Das Quale des Duftes
Natürlich zeichne ich hier die Karikatur eines hochkomplexen physiologischen Prozesses. Es geht mir nun auch nicht um diesen Prozess, sondern um die Eingangsfrage. Wir müssten, um eine künstliche Nase zu bauen, diesen Prozess in seinen Details kennen und reproduzieren können. Das ist prinzipiell denkbar. Angenommen, die Wissenschaft habe diesen Wissensstand erreicht. Sie kann objektiv und bis in die letzten Einzelheiten die Vorgänge zwischen Nase und Hirn beschreiben. Aber dennoch würde die künstliche Nase den Rosenduft nicht riechen. Sie reproduziert den ganzen elektrophysiologischen Prozess «von aussen». Was ihr fehlt, ist die Erfahrung «von innen», also die spezifische Empfindung des Dufts.
Selbst wenn sich in der künstlichen Nase exakt dieselben Prozesse abspielen wie in meiner Nase, bliebe ein fundamentaler Unterschied: Ich registriere nicht einfach ein elektro-physiologisches Signal, ich empfinde es als etwas Qualitätshaftes – als Quale, wie die Philosophen sagen. Es fühlt sich an, es lässt sich empfinden. Das Quale des Rosendufts ist in der Sprache der Physiologie nicht ausdrückbar. Es ist der künstlichen Nase unzugänglich. Wie aber kommt beim menschlichen Körperapparat dieser Übergang vom elektrophysiologischen Vorgang zur qualitativen Duftwahrnehmung zustande? Oder allgemeiner gefragt: Wie «taucht» aus unbewussten Vorgängen bewusstes Erfahren «auf»?
Olfaktorische KI
Wir landen hier bei einem der dornigsten Probleme der Philosophie. Es gibt eine intensive Diskussion über die Qualia. Sie hat zum Teil ein recht akademisch verstiegenes Format angenommen, aber der angesprochene Unterschied dürfte uns allen aus dem Alltag wohlbekannt sein. Empfindungen wie der Duft der Rose sind elementare Erfahrungen eines bewussten Wesens. Auch Tiere machen solche Erfahrungen – zumindest höhere Arten mit hinreichend komplexen Nervensystemen. Und Roboter? Denkbar ist zum Beispiel, dass die Ingenieure ein System bauen, dessen Sensoren die chemischen Bestandteile des Duftes exakt analysieren: olfaktorische KI. Tatsächlich existiert bereits eine Firma wie etwa «Osmo», die genau dies tut. «Giving computers a sense of smell», lautet deren Motto. Osmo brüstet sich damit, die grösste KI-kompatible Duftdatenbank zu sein, die ihrerseits hilft, KI-Systeme in der Duftwahrnehmung zu trainieren. Die Firma verwendet KI zur Generierung neuartiger Düfte.
Das «harte Problem»
Wie gesagt, reproduziert ein KI-System Prozesse, die sich auch im Körper eines Lebewesens abspielen. Und dennoch fehlt ihm das Quale des Duftes, dieses einzigartige subjektive Erfahren. Wie minutiös die Wissenschaft zu einer objektiven Beschreibung des Duft- oder Geschmacksempfindens fähig ist, sie bleibt «ausserhalb» dieses rätselhaften Phänomens. Und wenn ich hier ausdrücklich von einem Rätsel spreche, dann spiele ich an auf das ungelöste Problem der Neurowissenschaften, wie Empfindung, allgemeiner Bewusstsein aus dem unbewussten neuronalen Geschehen entsteht. Es gibt zahlreiche Theorien darüber, aber keine befriedigt. Ein Forscher hat das einmal so auf den Punkt gebracht: Theorien des Bewusstseins sind wie Zahnbürsten. Jeder Wissenschaftler hat eine, und keiner will sie mit den anderen teilen. In der Philosophie des Geistes spricht man denn auch vom «harten Problem».
Die Grenze der Objektivität
Ob es je lösbar ist, bleibe dahingestellt. Nur schon das Problem zu formulieren, setzt ja Bewusstsein voraus, sprich: das, was erklärt werden soll. Der Duft der Rose definiert so gesehen die Grenze der Objektivität. Er gehört zur Welt, insofern als diese Welt empfindungsfähige Wesen enthält. Für Bienen oder für Vögel «fühlt» sich der Duft der Rose wahrscheinlich ganz anders «an» als für Menschen. Aber der auf Objektivität gerichtete Blick erfasst dieses Phänomen des Subjektiven nie vollständig. Wie der Philosoph Thomas Nagel schreibt, kann dieses Phänomen durchaus physiologisch beschrieben werden, «doch die Qualitäten, die sie zu Erlebnissen machen, existieren jedenfalls nur aus der Perspektive solcher Wesen, die diese Erlebnisse haben. Da wir nicht die einzigen Geschöpfe des Universums sind, müsste ein allgemeines Bild der Realität ein allgemeines Bild des Erlebens enthalten, das unsere eigene subjektive Perspektive als Spezialfall beinhalten würde. Dieses generische Bild des Erlebens geht völlig über unseren Verstand, und wahrscheinlich wird es dabei bleiben, solange menschliche Wesen existieren».
Die Technologen sind Arbeitsbeschaffer der Philosophen
«Sensible» Roboter werden zu einem Hotspot der KI-Forschung. Es ist heute kaum abzusehen, wohin uns diese Entwicklung noch trägt. Wahrscheinlich wird die ganze Palette menschlichen Empfindens in den Fokus der Roboterbauer geraten. Und je besser wir unsere Physiologie kennen - also über ein immer genaueres objektives Bild des Empfindens verfügen - , desto klarer nimmt die «Machina sentiens» Gestalt an: die Reproduktion dieses Empfindens auf nichtbiologischem Substrat.
Genau hier werden deshalb umso klarere Begriffsunterscheidungen nötig. Ein riechender Roboter ahmt das Geruchsverhalten nach, er hat kein Geruchsempfinden. Das «weiss» auch der ChatGPT. Auf die Frage «Hast du Empfindungen?», lautet der Output: «Nö. Ich habe keine Empfindungen – Ich fühle keine Schmerzen, Wärme, oder etwas Körperliches. Aber ich kann Reaktionen simulieren, auf der Basis dessen, was ich gelernt habe».
Je menschenähnlichere Artefakte die KI-Ingenieure bauen, desto wichtiger wird der kritisch differenzierende Blick. Denn das Menschenähnliche der KI-Systeme akzentuiert ja nur das Menschenunähnliche. Anders gesagt, stellt sich uns die Frage, worin wir Menschen uns denn von Maschinen unterscheiden. Ohne dieses Nachdenken über die Differenz ist der technische Fortschritt der KI ein gefährliches blindes Vorwärtsstolpern. Gefährlich deshalb, weil unter den Technologen die Neigung grassiert, schon die kleinsten Verbesserungen ihrer Systeme zu epochalen «Durchbrüchen» hochzujubeln, und mit überschwenglichen Visionen menschliche Vermögen in die Maschine zu projizieren. Das ist Techno-Magie. Sie verhext den Techniknutzer. Und ihn von dieser Verhexung zu befreien wird zur vordringlichen Aufgabe der Philosophie. Die Technologen sind heute die wichtigsten Arbeitsbeschaffer der Philosophen. Es ist absehbar, dass diese immer mehr zu tun bekommen werden.
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