Dienstag, 11. März 2025






Der Chatbot als artifizielles Du
Über eine neue alte Mensch-Maschine-Beziehung


Man kann bekanntlich mit dem Chatbot «Gespräche» führen, sogar erstaunlich «intelligente». Es kommt nur darauf an, wie man seinen Output interpretiert, und ihn als neuen Prompt wieder eingibt.  Wir attestieren dabei der Maschine – respektive ihrem Algorithmus –  eine Eigenständigkeit, die sie als künstlichen körperlosen «Agenten» auszeichnet. Wir betrachten sie als artifizielles Du. Anders gesagt: Wir begegnen ihr in einer Art von digitalem Animismus.

Wir erinnern uns an den Film «Her». Der Protagonist verliebt sich in ein Programm. Eine hinreichend perfekte Simulation genügt und entbindet von der Frage, ob man es überhaupt mit einem lebendigen, fühlenden Wesen zu tun hat. Es handelt sich mittlerweile nicht mehr bloss um filmische Fiktion, es gibt sogenannte Therapie-Chatbots, die sich zur Online-Behandlung von Menschen in psychischer Krise anbieten: «Woebots» («Wehroboter»). Nutzer dieses KI-Systems antworteten in Befragungen etwa: «Ich glaube, Woebot mag mich; Woebot und ich respektieren uns gegenseitig; Ich habe das Gefühl, dass Woebot sich um mich sorgt, auch wenn ich Dinge tue, die er nicht gutheisst». Man sollte sich hüten, diesen Animismus als eine Regression in «primitives» Denken zu qualifizieren, denn die meisten Nutzer sind sich wahrscheinlich bewusst, dass sie mit einem leblosen System kommuniziren - dass sie also in eine Scheinbeziehung zur Maschine treten. 

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Dieser Schein, diese Virtualität, offenbart noch einen anderen Aspekt der Mensch-Maschine-Beziehung. Der Chatbot ist wie ein Spiegel. Es befindet sich niemand – kein Du - hinter dem Spiegel. Ein «Gespräch» mit dem Chatbot ist das Gespräch mit dem eigenen Echo. Der Philosoph und Psychiater Thomas Fuchs macht auf eine bedenkenswerte Beziehung zwischen Virtualität und Narzissmus aufmerksam: «Virtualität ist das Kennzeichen aller narzisstischen Spiegelungen. Der Narzisst ist nicht wirklich dort, wo er zu sein glaubt, denn das grandiose Selbstbild, das ihm die anderen spiegeln sollen, ist nur Schein. Er ist aber auch nicht in sich, in seinem eigenen leiblichen Selbst; denn dessen Leere und Unerfülltheit versucht er ja ständig zu entgehen. Er sucht sich im Blick der anderen, die er, mit einem Begriff Kohuts, als Selbst-Objekte gebraucht – Objekte, die seiner Selbstbestätigung dienen.»

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Nun hat  der Mensch gegenüber Geräten schon immer einen affektiven, ja, erotischen Hang erkennen lassen. Man könnte vom Pygmalion-Effekt sprechen. Der digitale Animismus ist nur eine aktuelle Spielart des Techno-Animismus, einem Phänomen, das man seit den Automaten der Antike kennt. Die Sozialpsychologin Sherry Turkle spricht von «Beziehungsartefakten». Ein solches Artefakt versteht uns nicht, es empfindet nichts, es sorgt sich nicht um uns, es simuliert einfach immer besser «Verständnis» für uns. Dass Problem ist, so Turkle, dass wir darin kein Problem sehen. 

Wir befinden uns, anders gesagt, auf einer Echo-Stufe zum Artifiziellen. Wir wissen, dass sich im künstlichen «Du» niemand verbirgt, und trotzdem behandeln wir es als jemand. Die Situation hat etwas Verstörendes. Ein anderer Film - «Ex Machina» - demonstriert dies. Der Softwaredesigner Caleb erhält vom Unternehmer und Milliardär Nathan den Auftrag, einen Turingtest mit der Roboterin Ava durchzuführen. Tatsächlich entspricht das Setting aber nicht jenem des Turing-Tests. Caleb weiss, dass Ava ein Automat ist. Nathan umreisst den Auftrag so: Finde heraus, ob du immer noch das Gefühl hast, sie sei ein bewusstes Wesen, selbst wenn es sich um eine Maschine handelt. Nun geschieht etwas, das ich «anthropomorphen Switch» nenne. Caleb «schaltet» von der maschinellen Einstellung zum Roboter sozusagen «um» zur personalen Einstellung, und danach hat der Automat den Status eines «Du». Und dieser Switch erweist sich unter Umständen als irreversibel. Das heisst, wir können dem Automaten seinen personalen Status nicht mehr absprechen. 

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Werden wir also künftig immer mehr umschalten? Mit dieser Frage überschreiten wir die Schwelle zu einem neuen Zeitalter der Maschine. Wir blicken gebannt auf die künstliche Intelligenz, sie verhext uns über die Massen. Warum sind wir Menschen so verschossen in die Idee, KI-Systeme würden mit uns auf gleicher sozialer und persönlicher Höhe verkehren? Liegt es daran, dass viele von uns sich einen Roboter-Kumpel wünschen, in Ermangelung eines menschlichen? Entwickeln wir uns zu Narzissten, die in den Maschinen nur sich selbst begegnen? Riskieren wir am Ende, uns selbst im Spiegel der elektronischen Leere zu verlieren, und zu vergessen, dass es wirkliche Dus gibt? 

Der Psychiater und Philosoph Jaques Lacan stellte bekanntlich die These vom Spiegelstadium der persönlichen Entwicklung auf. Ihr gemäss lernt das Kleinkind im Spiegel sich selbst kennen. Wenn der Chatbot also eine Spiegelfunktion ausübt, könnte er eine Chance bieten, uns aus dem «kleinkindlichen» Stadium im Umgang mit der Technologie zu lösen und uns selbst wieder zu entdecken. 

Dazu braucht es allerdings menschliche Intelligenz. 


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