Samstag, 15. April 2023

 




Planetenretter, auf die wir lieber verzichten

2017 prophezeite die Zeitschrift «Foreign Policy» im Titel eines Artikels: «Die nächste Welle des Extremismus wird grün sein».  Das klingt wie eine Vorankündigung des aktuellen Ökoaktivismus und seiner Spektakel, Skandale, Sabotagen. Befürchtungen machen die Runde, dass die Bewegung von der Phase der Symbolpolitik in jene der wirklich harten Tat driftet. Der Übergang von der indirekten, symbolischen Aktion zur direkten, unsymbolischen ist fliessend. Ausdrücklich erteilt etwa der schwedische Aktivist Andreas Malm in einem Manifest Ratschläge, wie man eine Pipeline in die Luft sprengt. «Die Radikalisierung der Klimabewegung ist unvermeidlich», sagt er. 

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Diese Determiniertheit zur Radikalität erinnert an die Zeit zwischen den 1970er und 1990er Jahren. Damals zog sich der Amerikaner Theodore Kaczynski – aka «Unabomber» - in eine kleine Waldhütte in der Wildnis von Montana zurück. Er pflegte dort allerdings nicht die Naturverehrung eines Henry David Thoreau, sondern bastelte Briefbomben und schickte sie vor allem an Universitätsangehörige und Computerspezialisten, die er  nach dem Zufallsprinzip tötete oder schwer verwundete. 1995 wurde er gefasst und er sitzt seit 1998 eine lebenslängliche Strafe in einem Hochsicherheitstrakt im US-Bundesstaat Colorado ab.

Kaczynski ist ein hochintelligenter Mathematiker. Er kommuniziert aus seiner Gefängniszelle mit Briefpartnern, er schreibt Bücher («Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft», ursprünglich «Unabomber Manifest», 1995; «Technological Slavery», 2010) und erfreut sich einer wachsen-den Aufmerksamkeit in der Pop-Kultur (Netflix-Serie «Manhunt: Unabomber», 2017). Kaczynski findet auch Aufnahme in literarischen Kreisen. Der Schriftsteller Ricardo Piglia übernahm in sei-nem Roman «Munk» (2015) das Täterprofil Kaczynskis und sogar Ausschnitte aus seinem «Manifest». Der Psychiater und Krimiautor Keith Ablow hob den Unabomber in die Liga von Orwells «1984» und Huxleys «Brave New World».

Kaum verwunderlich, dass Kaczynski in den Medien als Popanz herumgeistert, der einen gewalt-bereiten «Klimaradikalismus» mit Argumenten füttert. 2019 glaubte der Chefredaktor des Sonn-tags-Blick, den Grünen als Gewinnern der Parlamentswahlen Distanz zum Unabomber anmahnen zu müssen: «Das Weltbild von Extinction Rebellion fusst unter anderem auf den Theorien eines kaltblütigen Mörders. Sollte sich die Klimabewegung in der Schweiz effektiv radikalisieren, muss die Grüne Partei aus deren Windschatten heraustreten und auf Distanz gehen. Eine konstruktive politische Partei kann sich nicht auf das Denken eines praktizierenden Apokalyptikers stützen». 

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Das ist exakt die dümmste Art, sich mit einem Extremismus à la Kaczynski auseinanderzusetzen. Leicht unterläuft einem der Fehlschluss: Er ist ein Mörder, und die Gedanken eines Mörders brauchen uns nicht zu beschäftigen. Man muss mit andern Worten unterscheiden zwischen den Taten und den Gründen dazu. Schauen wir uns einen zentralen Grund kurz an. Kaczynskis Revolutionsargument gegen «das» System beruht auf vier Prämissen: 

1. Primitive Gesellschaften entwickelten sich unter Low-Tech-Bedingungen, die so etwas wie den «Naturzustand» definieren.

2. Moderne Gesellschaften mit ihrem High-Tech-Standard unterscheiden sich davon radikal. Und es ist gerade dieser Standard, der einen nie dagewesenen Stress auf das Individuum ausübt.

3. Die Situation ist schlecht, und sie wird sich verschlechtern. Wir werden zu technik-konformen Wesen mutieren, zu entmenschlichten Menschen.

4. Es gibt keinen Weg, das System zu reformieren, um die negativen Folgen dieser Entmenschlichung zu vermeiden. 

      Ergo: Das System muss abgeschafft werden.

Natürlich ist die Logik nicht schlüssig. Aber falsche Schlüsse aus Prämissen bedeuten nicht Falschheit der Prämissen. Wenn Technik «disruptiv» ist, unsere Lebensformen tief umwälzt, dann zeigen sich die Symptome drastisch genug in der «Disruption», der Zerstörung des planetarischen ökologischen Gleichgewichts; aber auch individuell daran, dass wir uns immer mehr zu Techno-Mutanten entwickeln. Wir sind noch kaum in der Lage, uns einen Begriff von der Skala dieser Mutation - sprich Technikabhängigkeit - zu machen. Kaczynski spricht dieses Unbehagen, und damit nicht wenige von uns an.

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Den Gegenpol zu dieser Position finden wir wohl am prononciertesten beim amerikanischen Ökologen Peter Kareiva. Wenn Kaczynski sagt «Das System muss weg, um den Planeten zu ret-ten», entgegnet Kareiva «Um den Planeten zu retten, muss man ihn ins System integrieren». Man könnte vom romantischen Garten-Eden-Paradigma und vom utilitaristischen Kosten-Nutzen-Paradigma sprechen.

Kareiva plädiert für eine Abkehr vom Garten-Eden-Paradigma. Wir brauchen ein besseres technisches Management der Natur, um sie als nachhaltige «Dienstleisterin» für das Wohlergehen des Menschen zu nutzen. «Statt die Biodiversität um der Biodiversität willen zu erhalten, sollte ein neuer Umweltschutz jene natürlichen Systeme verbessern, die der grössten Zahl von Menschen nützen (..) Umweltschutz misst seine Leistung grösstenteils an seiner Relevanz für Menschen (..) Statt den Kapitalismus zu beschimpfen, sollten die Umweltschützer mit Unternehmen Partnerschaften schliessen, im wissenschaftsbasierten Bemühen, natürliche Werte und Nutzen in gemeinsame Operationen zu integrieren.» 

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Das hat – zumindest in der Absicht - durchaus etwas für sich. So exististieren ja bereits zahlreiche Projekte wissenschaftlich-technisch kuratierter Natur. Man denke nur an die wachsende Industrie genmodifizierter Organismen oder an das Geoengineering. Aber die Integration von natürlichen Werten und gemeinsamem Nutzen erweist sich bei näherer Betrachtung als ein fundamentaler Konflikt, den wir alle - jede Person auf ihre Weise -  in uns auszufechten haben: zwischen der planetozentrischen Position von Kaczynski und der anthropozentrischen von Kareiva. 

Inkompatibel sind primär die Ziele. Wir können nicht zurück in eine vor-menschliche, «unberührte» Natur, aber wir sollten uns auch tunlich vor grosstechnischen Lösungen im Sinne einer Steuerung des «Raumschiffs» Erde hüten. Notfalls könnten wir ja das Raumschiff verlassen und einen anderen kolonisieren – so tönt das bei Techno-Extremisten wie Elon Musk. Der Mensch hat die fatale Fähigkeit, Technologien zu schaffen, deren Konsequenzen und Risiken er nicht kennt. Wo Technik Rettung ankündigt, wächst die Gefahr auch. 

Eine verzwickte Weder-noch-Situation. Der englische Schriftsteller und ehemalige Ökoaktivist Paul Kingsnorth hat sie so umschrieben: «Wenn man mit einem Masterplan für eine bessere Welt rechnet, der allein auf wissenschaftliche und technische Rationalität setzt, verschwendet man seine Zeit. Wenn man jagende und sammelnde Frühmenschen romantisiert oder Briefbomben an Computerwissenschafter schickt, verschwendet man seine Zeit».

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Wie also verschwendet man seine Zeit nicht? Patentantworten existieren keine. Heisst das, dass wir kompasslos dem Abgrund entgegentreiben? Mitnichten. Der Kompass zeigt eine einzige Rich-tung an. Und hier liegt die Crux: die Vorstellung nämlich, die Rettung liege nur in einer einzigen Richtung. Wir alle müssen irgendwie lavieren zwischen Planetozentrismus und Anthropozentrismus. Wir können uns auf die Strasse kleben, Bilder beschmieren, SUV-Pneus aufschlitzen, uns dem Fatalismus ergeben, meditieren, im Garten die Hände dreckig machen, Bäume umarmen, genmodifizierte Kartoffelsorten fabrizieren, Gletscher mit Kunstschnee bestreuen, Aerosole in die Atmosphäre sprühen. 

Das «Verdienst» Kaczynskis und Kareivas liegt darin, dass sie Extreme markieren, auf die wir nicht zuhalten sollten. Das klingt nicht sonderlich aufregend. Aber man macht schon einen ganz kleinen Schritt vorwärts, wenn man weiss, wie die Erde nicht zu retten ist.


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