Mittwoch, 25. Oktober 2023

 


Despotenliebe

oder Der Wille zur Unterwerfung

Der gegenwärtige autoritäre Führungsstil in vielen Ländern der Welt wirft einmal mehr die Frage auf, warum viele scheinbar so aufgeklärte Zeitgenossen Despoten verfallen. Die Frage betrifft eine Relation, muss also zwei Psychologien berücksichtigen, jene des Führers und jene des Anhängers. Was gibt einer Person derart Auftrieb, sich über die anderen aufzuschwingen? - und: Was ist der Antrieb des Anhängers, der sich derart dem verführerischen Einfluss einer anderen Person unterwirft? Welche unheimlichen Kräfte spuken da im Kellergeschoss unserer Psyche?

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Auf die erste Frage gibt es die klassische Antwort eines Soziologen. Max Weber prägte in sei-nem Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ (1921/22) den Begriff der charismatischen Figur oder Herrschaft. «’Charisma’ soll eine als ausseralltäglich (..) geltende Qualität einer Persönlichkeit heissen, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch ausseralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ‚Führer’ gewertet wird. Wie die betreffende Qualität von irgendeinem ethischen, ästhetischen oder sonstigen Standpunkt aus ‚objektiv’ richtig zu bewerten sein würde, ist (..) völlig gleichgültig: darauf allein, wie sie tatsächlich von den charismatisch Beherrschten, den ‚Anhängern’ bewertet wird, kommt es an.»

Damit hat Weber auch gleich den Finger auf die neuralgische Stelle gelegt. Liest man «objektive» Bewertung nämlich als in der alltäglichen politischen Routine einer Demokratie erprobte Mittel der Bewertung, dann erkennt man, warum der Charismatiker sich meist dadurch zu profilieren sucht, dass er diese politische Alltagspraxis als ineffizient, als «Schlamassel» diffamiert, nur um sich «ausseralltäglich» daraus zu erheben und seinen Tross nachzuziehen. Charismatische Figuren sind Symptome unsicherer, unübersichtlicher, unvorhersehbarer politischer Zustände, in denen ein «objektiver» Bewertungsstandpunkt fehlt. Man sollte deshalb seine Aufmerksamkeit weniger solchen Figuren schenken als vielmehr den Zuständen, denen sie ihr Charisma verdanken. Damit wäre schon viel zu ihrer Entzauberung beigetragen.

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Auf die zweite Frage gibt es ebenfalls eine klassische Antwort, aus der Psychologie. Sigmund Freud beschreibt in «Massenpsychologie und Ich-Analyse» (1921), wie eine Person in der Masse eine andere wird. Freud spricht vom «Ichideal», im Zusammenhang mit dem Verliebt-sein. Und er sieht in der Liebe zum charismatischen Führer einen versteckten, umgeleiteten Narzissmus: «(Das) Objekt (dient) dazu, ein eigenes, nicht erreichtes Ichideal zu ersetzen. Man liebt es wegen der Vollkommenheiten, die man fürs eigene Ich angestrebt hat und die man sich nun auf dem Umweg zur Befriedigung seines Narzissmus verschaffen möchte.»

Der charismatische oder autoritäre Herrscher wird zum personifizierten Ichideal seiner Anhänger. Die eigenen Vorstellungen, was richtig und was falsch, was erlaubt und was unerlaubt ist, werden sofort plastischer und sichtbarer, wenn man den Kompass des Verhaltens auf den Pol des Führers ausrichtet. Nicht zuletzt deshalb wirken solche Personen denn auch buchstäblich polarisierend. 

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Weniger theoretisierend als Freud ging der britische Psychiater Roger Money Kyrle vor. Er besuchte in den 1930er Jahren Versammlungen der Nazis und beobachtete die Psychodynamik bei Reden von Hitler und Goebbels. Er stellte dabei einen einfachen Steigerungs-Dreischritt fest: Selbstmitleid-Verfolgungswahn-Grössenwahn. Der erste Schritt besteht darin, im Gefolge ein Gefühl der Erniedrigung, des Ausgenutztseins, der Ohnmacht zu erwecken.  In einem zweiten Schritt werden die Verursacher und Missetäter identifiziert und benannt: der «Feind von aussen», den man für die Übel verantwortlich macht. Und drittens preist man eine magische Kur gegen dieses Übel an, die meist darin besteht, dem Gefolge ein Gefühl der Allmacht zu verleihen, wenn es sich nur dem Führer anschliesst. «Jeder Zuhörer fühlte einen Teil der All-macht in sich selbst. Er wurde in eine neue Psychose befördert. Das herbeigeführte Selbstmitleid ging über in Paranoia und die Paranoia ging über in Grössenwahn,» beschreibt Money Kyrle das Crescendo dieses manischen Aufputschens.

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Das Gnadentum des Übermenschlichen, das der charismatischen Führer oft reklamiert, offenbart eine typische Doppeldeutigkeit. Es hebt ihn in schwindelnde Höhen, reisst ihn aber auch in tiefste Abgründe. Wenn seine Prophetien und Versprechen sich nicht erfüllen, kann er keine Gnade «von unten» erhoffen. Das Gefolge verzeiht ihm nicht, dass es den Preis der Unterwerfung für ein unerfülltes Erlösungsversprechen bezahlt hat. Es stürzt ihn und wartet auf den nächsten Verführer. Das wirklich Unheimliche an diesem Phänomen ist, dass wir nichts daraus lernen. Das dämonische «Da capo!» wird also nicht verhallen.




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