Freitag, 20. Januar 2023

 


NZZ, 18.1.23

Wie man einen Diskurs totschlägt

Ein halbes Dutzend Keulen

Rhetorik ist die listige Schwester der Logik. Sie tut so, als argumentiere sie zwingend, dabei will sie vor allem eines: manipulieren. Sie kann auch Gespräche totschlagen. Hier eine kleine Auswahl von Keulen, die gegenwärtig im Schwung sind. 

Zwischen zwei Personen A und B spielt sich folgende Diskussion ab.

A:  Ich finde die Hinrichtung von Homosexuellen im Iran eine gottverdammte Schande! 

B:  Wie wagst du es, ein solch schlimmes Wort zu gebrauchen!

A:  Glaubst du nicht auch, dass das Töten von Menschen schlimmer ist als der Gebrauch eines «schlimmen» Wortes?

B:  Ich höre nicht auf jemanden, der ein solches Wort in den Mund nimmt.

A:  Gut, ich nehme es zurück. Aber was ist mit dem Iran?

B:  Ich bin jetzt zu genervt, um diese Diskussion überhaupt noch fortzusetzen.

In einschlägigen Kreisen heisst diese Keule «tone trolling» oder «tone policing». Der Ton-Troll stösst sich am Ton seines Gesprächspartners, an einem unglücklich gewählten Wort. Es tut nichts zur Sache, und doch pimpt der Ton-Troll es zur «Sache» auf. Er trägt die Keule des Beleidigt-seins, Betroffenseins, Empörtseins immer schlagbereit mit sich, wartet auf jeden falschen Ton: Schock! Skandal! Shit! 

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Von sich reden macht eine spezifische Variante dieses Arguments: die Keule des Unwohlseins, traditionell bekannt als Reductio ad nauseam. «Dein Argument erzeugt bei mir Unwohlsein bis zur Übelkeit, also nimm es gefälligst zurück». Ein duseliges Allzweckmittel aus den Eingeweiden. Gewiss, gerade ein gutes Argument bereitet oft Unwohlsein. Daraus folgt aber nicht: Mir ist unwohl, also habe ich ein gutes Argument. Der bündige Bescheid darauf lautet: «Nimm ein Alka Seltzer oder geh frische Luft schnappen.» Umso bedenklicher, dass nun zum Beispiel Verlage Lektoren  – «Sensitivity Reader» - beschäftigen, um «unwohl machende» Texte zu erschnüffeln. Diese vorauseilende  Überempfindlichkeit stumpft ab gegen eine andere Sensibilität, jene für Witz, Satire, Ironie, Mehrdeutigkeit, Widerspruch, ja, Provokation – kurz, für fröhlich-streitbare Intelligenz. Ein Virtuose dieser Intelligenz war der eben erst verstorbene Hans «der Grosse» Enszensberger.

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Besonders eine Keule wird heute gern geschwungen: Identity first. «Ich als postkoloniales Subjekt..», «Ich als Jude und Schwuler..». Die Redewendung macht vorweg klar, dass die Identität vor der Sache steht. A priori errichtet man zwischen Ich und Gegenüber eine halbdurchlässige Wand, die meine Aussagen an dich passieren lassen, aber nicht in umgekehrter Richtung. «Ich als X..» ist potenzieller Gesprächsabbruch. Auf diese Eröffnung kann man mit «Und ich als Y ..» reagieren. «Ich als X..» ist das Banner der Identitätspolitik. Man duckt sich in eine diskursive Schützenstellung. Der amerikanische Politikwissenschafter Mark Lilla bemerkte 2017: «Früher hätte eine Diskussion im Klassenzimmer vielleicht mit den Worten begonnen: ‘Ich denke A, und dies aus den folgenden Gründen.’ Heute heisst es: ‘Ich als X fühle mich beleidigt, weil du B behauptest.’ Anstelle einer Auseinandersetzung Findet eine Tabuisierung konträrer Denkweisen und Meinungen statt.»  

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Komplementär dazu ist das «Du als X..». A sagt «Die ganze Wokeness-Unkultur ist Symptom dafür, Aufmerksamkeit durch Opferstatus zu erheischen». B erwidert «Das sagst du doch nur als frustrierter alter weisser Cis-Mann, dem die Aufmerksamkeit fehlt». 

Das klassische Argumentum ad hominem also. Der irische Schriftsteller Clive Staples Lewis hat es 1941 unvergesslich auf die Schippe genommen mit seiner fiktiven Figur Ezekiel Bulver. Ezekiels Vater erklärte der Mutter, die Summe zweier Seiten eines Dreiecks sei grösser als die dritte Seite. Die Mutter schmetterte die Beweisführung ab: Du sagst das nur, weil du ein Mann bist. Aus heutiger Sicht könnte man sagen, die Mutter reagiere auf das «Mansplaining» des Vaters. Aber Lewis zielt auf etwas anderes: «In diesem Moment durchfuhr meinen sich öffnenden Geist die Einsicht (..): Nimm einfach an, dein Gegner liege falsch, erkläre seinen Irrtum, und die Welt liegt dir zu Füssen». Das klingt frappant nach «querdenkerischer» Kritik an der Wissenschaft in der Pandemie. Die Experten liegen sowieso falsch, also erkläre man ihren Einfluss durch Verschwörungstheorien. Im Englischen nennt man die Keule «Bulverism». 

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Eine Variante, das «Brunnenvergiften», mischt Bulverismus mit dem Appell an Emotionen, insbesondere an moralische. Das Argument erzeugt eine delegitimierende Voreingenommenheit gegenüber dem Gesprächspartner: «Woher nimmst du das Recht, als weisser Historiker über den afrikanischen Sklavenhandel zu schreiben..». Oder Kritik der hanebüchenen homophoben Äusserungen des katarischen WM-Botschafters sieht sich als implizite rassistisch «entlarvt». 

Das fiese Axiom der Cancel Culture ist die Schuldvermutung: Im Zweifel gegen den Angeklagten - du stehst unter Verdacht einer «schuldigen» Haltung, bis deine Unschuld bewiesen ist. Und exakt das sucht Canceln zu verunmöglichen. Eine extreme Spielart dieser Taktik ist die Nazi-Keule oder «Reductio ad Hitlerum»: «Dein Engagement für die Tiere erinnert mich daran, dass auch Hitler ein grosser Tierschützer war». 

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Altbekannt ist die Keule des Tu-quoque-Arguments, des «Du-auch». Geläufig heute unter der Bezeichnung «Whataboutismus». A wirft B vor «Mit deinem Fleischkonsum trägst du zum Klimawandel bei». B erwidert «Fliegst du nicht viermal pro Jahr in die Ferien?» Beide Gewohnheiten haben natürlich mit dem Klimawandel zu tun. Aber das Thema lässt sich elegant umschiffen. Ein beliebtes Instrument von Politikern und Verbandschefs. Während der US-Präsidentenwahl 2016 wütete der Whataboutismus in den amerikanischen Medien. Wer Trump pathologisches Lügnertum vorwarf, lief umgehend in den Konter: Was ist denn mit Hilary Clintons Schwindelei-en?  Jüngst entdeckte FIFA-Boss Infantino das Argument. Gegen Kritik am Unrechtsstaat Katar schwang er die Keule «Was ist denn mit Europa?»: «Ich bin Europäer. Für das, was wir im Laufe von 3000 Jahren rund um die Welt getan haben, sollten wir uns in den nächsten 3000 Jahren entschuldigen, bevor wir moralische Lektionen erteilen».  

Pseudowissenschafter greifen auch gern zum Whataboutismus: Wie steht es denn mit den Wissenschaftern; auch sie verletzen Forschungsnormen, sind Querdenker oder schummeln? Der Fehlschluss der falschen Äquivalenz: Man schliesst von einem gemeinsamen besonderen Merk-mal auf die allgemeine Gleichwertigkeit. Natürlich ist Schummeln keine Bagatelle, aber es spielt in Wissenschaft und Pseudowissenschaft eine unterschiedliche Rolle. Darauf einzugehen verlangt Differenzierungskraft. Und genau das vermeidet der Whataboutismus. Er ist ein falsches Pfund, mit dem sich in Debatten üppig wuchern lässt. 

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Wie gesagt, es handelt sich hier um eine Auswahl. Sie genügt meines Erachtens, um eine allgemeine Diagnose zu stellen: Es fehlt an Benimm des Denkens. Man hört jetzt oft, dieser Benimm sei ja allzu lange von den alten, weissen, cis-männlichen Türhütern der Diskurse – Intendanten, Chefredaktoren, Universitätsprofessoren - definiert worden. Daran mag etwas sein, aber das ist kein Grund zum Keulenschwingen. Offene Diskurse haben eine Verfassung, die Werte wie Objektivität, Faktentreue, Wahrheit, Schlüssigkeit hütet. Sie definieren rationale Fairness in der Kritik. Freie Meinungsäusserung basiert bei allem Kampf um soziale und ethnische Gerechtigkeit auf der Bereitschaft zu einer solchen Fairness. Ihr Schwächeln kann man als trauriges Symptom des «Verfassungsbruchs», ja, der Verluderung unserer Gesprächskultur deuten. 


Also den Benimm neu lernen, Keulen weg legen. Wenn das nur so einfach wäre… 



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