Freitag, 21. September 2018

Techlash – eine zu seichte Technikkritik





Über das „Bestechende“ der Technologie


NZZ am Sonntag, 16.9.2018

Neuerdings ist vom „Techlash“  die Rede: dem technologischen Backlash – einer Reaktion gegen die hegemoniale Stellung der digitalen Riesen. Ein zunehmend verunsicherterer, beunruhigterer und unzufriedener Teil der Technikkonsumenten verlangt von Unternehmen wie Facebook, Google, Twitter oder Apple Rechenschaft über publik gewordene Nachlässigkeiten, Fahrlässigkeiten, ethische Sorglosigkeiten, manipulative Missbräuche und mögliche gesundheitliche – süchtig machende -  Auswirkungen der Geräte, die unseren Alltag immer mehr invadieren. Zudem scheint jetzt den Designern all des elektronischen Zauberzeugs selbst zu dämmern, was sie eigentlich in die Welt gesetzt haben. Jedenfalls hört man vermehrt Schuldbekenntnisse und Warnrufe von ehemaligen Mitarbeitern der Tech-Firmen.

Wie etwa von James W. Wiliams, dem Ex-Geschäftsstrategen bei Google, der die Industrie als die „umfassendste, normierteste und zentralisierteste Form der Verhaltenskontrolle in der Geschichte der Menschheit“ beschreibt. Williams hat Google verlassen und studiert nun an der Oxford University Ethik der Technologie. Er erinnert sich an so etwas wie ein Erweckungserlebnis, als er eines gewöhnlichen Arbeitstages auf das vielfarbig blinkende Display einer Armaturtafel blickte und sich plötzlich bewusst wurde, welches Ausmass an Aufmerksamkeit Technounternehmen für die Werbung beschlagnahmen: „Ich realisierte: Das sind buchstäblich Millionen von Menschen, die wir sozusagen anstubsen und überreden, Dinge zu tun, die sie sonst nicht tun würden.“


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Erwacht die Branche zu moralischer Reife und sozialer Verantwortung? Das darf bezweifelt werden. Zwar haben spätestens Skandale den Schlummer naiver Technikfrömmigkeit gestört. Mit dem Missbrauch von Computeranalysen zu politischen Zwecken bei Cambridge Analytica oder den Experimenten der Stimmungsmanipulation bei Facebook erlebt nun auch die Computerbranche ihren Sündenfall, wie ehedem die Physik mit der Atombombe, die Chemie mit dem Giftgas oder die Biologie mit der Genmanipulation.

Man kann den Techlash als eine Misstrauenskundgebung nicht gegenüber Technik per se, sondern gegenüber globalen Technounternehmen und ihren Führungsriegen interpretieren. Das ist die traditionelle Neutralitätsthese: Technik kann nichts dafür, dass sie missbraucht wird, das verantworten immer die Menschen. Die These dient heute noch als – immer fadenscheinigere – Verteidigungsstrategie einer Art von Technodizee: Technik als Ganzes ist gut, schlecht sind nur ihre „Unfälle“ und  „nichtintendierten Effekte“.

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Der technologische Backlash ist aber bereits in die technischen Objekte eingebaut. Wir übersehen das meist, weil uns leicht eine Fehldeutung des Werkzeugs unterläuft. Das heisst, nichts ist natürlicher als ein technisches Objekt als „Zeug zu etwas“ zu betrachten; den Hammer als Zeug, um Nägel einzuschlagen, das Auto als Zeug, um sich schneller fortzubewegen, das Telefon als Zeug, um auf Distanz zu kommunizieren, Facebook als Zeug, um mit anderen Personen verbunden zu sein. Diese Sicht blendet die implizite Rückwirkung des technischen Objekts auf das Subjekt des Techniknutzers aus. Die alte Technikauffassung ging aus vom „klassischen“ Dualismus: Hier der Mensch als souveränes Subjekt der Benutzung – dort das Gerät als serviles Objekt der Benutzung. Diese Trennung ist spätesten dann veraltet, wenn smarte Technologien Aufgaben übernehmen, die man früher allein der menschlichen Intelligenz zutraute: Entscheiden, Prüfen, Bewerten, sogar moralisch Urteilen. Wir leben längst schon in einer Symbiose mit den Geräten, in der oft nicht mehr klar ist, wen oder was man als Subjekt des Entscheidens und Handelns betrachten soll.

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Man muss also, anders gesagt, Technik bereits ins kritische Visier nehmen, wenn sie funktioniert. Und das Kernproblem liegt in dem, was ich als Unbewusstes der Technik bezeichnen möchte. Die elektronisch vernetzte Welt der smarten Dinge entwickelt sich zum Nervensystem unserer sozialen, moralischen und politischen Infrastruktur. Und die Technounternehmen setzen heute bewusst bei diesem Unbewussten an: unserem Konsumverhalten, unseren Gewohnheiten, Suchtanfälligkeiten, unsteten Aufmerksamkeiten – im subrationalen Kellergeschoss unserer Psyche. Längst hat sich das Verhältnis Mensch-Technik umgekehrt: Der Mensch gebraucht nicht das Werkzeug, das Werkzeug gebraucht ihn. Wir konsumieren nicht Facebook, Facebook konsumiert uns. Die Frage des Unternehmens lautet: „Wie verzehren wir möglichst viel Zeit und Aufmerksamkeit von dir?“

Skandale können uns durchaus aus dem technischen Unbewussten aufschrecken, aber meist ist ihre Wirkung passager. Wie schon der Ausbruch der Empörung über die Manipulations-Experimente bei Facebook 2014 zeigte, sind die Techfirmen resilient genug, um solchen öffentlichen Reaktionen zu begegnen und relativ unbeschadet durch die aufgewühlten Gewässer des Protestes zu steuern. Die wirklich tiefen Abhängigkeiten kommen selten zum Vorschein, geschweige denn ins kritische Visier der Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeit wird ja heute weitenteils von den Social Media, also von Techfirmen, definiert.

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Was heute immer dringlicher wird, ist eine fundamentale Rückbesinnung auf die Technik, also nicht die Frage „Was machen wir mit der Technik?“, sondern „Was macht die Technik mit uns?“ Und ich wähle als generelle Antwort auf die erste Frage die Formel: Technik ist Delegieren von menschlichem Können an Artefakte; als Antwort auf die zweite Frage die Formel: Technik „besticht“ uns. Die Artefakte „bestechen“ auf doppeldeutige Art: in ihren teils übermenschlichen Fähigkeiten einerseits, und in ihrer Verführungskraft andererseits. Heute, im Universum der smarten Dinge, entgehen wir dieser Bestechung kaum noch. Die uns auf Schritt und Tritt begleitenden Gadgets und Apps tun alles für uns. Ich mache das für dich, sagen sie, ich entscheide für dich, ich schaue für dich voraus, ich beurteile die Warenangebote für dich, ich wähle die Informationen für dich aus, ich weiss, was du tun wirst, bevor du es weisst. Dieses allgegenwärtige paternalisierende Etwas-für-mich-tun – „Mikrotargeting“ genannt -  ist „bestechend“ und es kippt unmerklich ins Autoritäre. Wir gleichen dem Frosch, den man lebend brüht, indem man die Temperatur des Wassers in kleinen Schritten erhöht.

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Technologie ist politisch. Sie ändert die Normen und Werte unseres Zusammenlebens. Sie definiert sie um. Indem wir uns an die Allgegenwart und bestechende Bequemlichkeit der neuen Geräte gewöhnen, gewöhnen wir uns auch an die Art und Weise, wie sie sich unserem Denken und Handeln aufmodulieren. Dabei lenken Verschwörungstheorien über „böse“ Machenschaften von Techgiganten nur vom eigentlichen Problem ab, nämlich zu erkennen, welche Rolle die Technologie im Umdefinieren unserer Weltsicht spielt. Wer sagt, Google, Facebook oder Twitter desinformieren uns, hat ja bereits stillschweigend die Definition von Google, Facebook oder Twitter übernommen: Informieren bedeutet letztlich Google Search und Teilnahme an Social Media. Statt kritisch sich dieser Umdefinition anzunehmen, fragen wir nur noch, ob die Technologien „richtig“ funktionieren.

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Eine andere Entwicklung nimmt schon deutliche und beunruhigende Konturen an. In gewisser Hinsicht laufen heute das technologische und das demokratische Projekt der Moderne auseinander - wenn sie nicht sogar Kurs auf Kollision nehmen. Die liberal-demokratische Ordnung beruht auf dem Bekenntnis zu einer Pluralität von Ideen und Formen „richtigen“ Lebens. Und in dieser Pluralität schützt sie grundlegende Rechte des Individuums wie freie Meinungsäusserung oder Privatheit. Die technologische Entwicklung unterminiert tendenziell diese Basis der Rechte. Indem sie uns zum Gebrauch all der wunderbaren smarten Geräte „besticht“, führt sie nicht nur zu einer Uniformierung des Verhaltens, sie verleitet uns zu enthemmter „Datifizierung“, das heisst Entblössung, und diese wiederum macht uns zu idealen Versuchsobjekten der Datenanalyse, will sagen: der Manipulation und Überwachung. Und hier offenbart sich die implizite „Bestechung“ der Technologie von ihrer autoritären Seite her. Kein Wunder, dass Führungsriegen autoritärer Regimes, wie etwa des chinesischen, vor solcher Technologie aus dem Häuschen geraten.

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Wenn uns die neuen Geräte erst einmal wirksam „bestochen“ und wir sie in unser soziales Leben integriert – man müsste schon fast sagen: „eingebürgert“ haben, dann wird es schwierig bis unmöglich, sie wieder „auszubürgern“. Sie sind uns intus, in unsere Psyche eingesunken. Dann nützen auch keine „Delete“-Appelle mehr.

Gewiss, es ist völlig normal, dass uns technische Vorrichtungen die Mühen des Lebens abnehmen. Als tückisch daran erweist sich allerdings, dass mit der wachsenden Palette an technischen Entlastungsmitteln genau diese Normalität fragwürdig wird. Denn die endgültige „Bestechung“ der neuen Geräte lautet immer wieder: Ich nehme dir die Mühe ab. Und die Frage lautet jetzt: Ist mir das noch der Mühe wert oder soll das ein virtueller kleiner Helfer übernehmen?


Das ist eine existenzielle Frage: Wie weit wollen wir die Mühelosigkeit unseres Seins treiben? Oder variierend: Könnten wir in der Mühe, die wir in eine Tätigkeit investieren,  gar einen verlorenen Wert wiederentdecken, den Wert des Selber-tuns? Technologie hilft uns, Erfahrungen zu vermeiden, die wir nicht mögen. Die wirkliche Gefahr liegt paradoxerweise darin, dass sie uns besticht, alles zu vermeiden, was zu einem menschlichen Leben gehört: Entscheiden, Abwägen, Verantworten, das direkte Gespräch, die physische Begegnung. Schliesslich werden uns all die schönen intelligenten Artfefakte überredet haben, auch die Mühe der Intelligenz zu vermeiden. Am Ende entpuppt sich der technische Fortschritt als purer Nihilismus: nichts ist mehr der Mühe wert. - Wann beginnen wir zu begreifen, dass sich der wahre Aufstand genau dagegen richtet?

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