Mittwoch, 27. März 2024

 



Terrorismus als Spektakel

Der Spektakel-Terrorist will als jemand gelten. Terrorismus ist – auf seine infame Art - immer auch ein Streben nach Bedeutsamkeit – Bedeutsamkeit durch Gewalt, Massaker, Greueltat. Deshalb eignet ihm etwas Theatralisches. Er setzt Unmenschlichkeit als Spektakel ein, und rechnet mit dem Entsetzen eines nach News gierenden Weltpublikums. 

Terroristen sehen sich häufig als Akteure, die einem Drehbuch folgen – eines von Gott oder von der Geschichte oder von irgendwelchem metaphysischen Gespenst geschriebenen. Dieses Drehbuch weist ihnen die Rolle in einem Drama zu, das oft die Menschenverbesserung zum Ziel hat. Fies daran ist, dass Terroristen andere nö-tigen, gemäss diesem Drehbuch mitzuspielen. In ihren «Spektakeln» ertönt allerdings nicht Theaterdonner und fliesst nicht Theaterblut, sondern rattern reale Kalaschni-kows und verlieren reale Menschen reales Blut. Gerade dadurch können Terroristen der nachwirkenden öffentlichen «Rezeption» sicher sein. Der Einsturz der Twin To-wers war theatertauglicher – symbolischer - als der Angriff auf das Pentagon. Man traf quasi die architektonische Erektion des Kapitalismus.

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Die Verurteilung von terroristischen Exekutionen, Entführungen, Enthauptungen Unschuldiger fällt leicht. Vor allem unter Politikern, die notgedrungen das Spektakel der Terroristen mitspielen müssen und entsprechend theatralisch auftreten. 2015, nach dem Blutbad im Pariser Klub «Bataclan», reisten viele Spitzenpolitiker Europas nach Paris zur Demonstration gegen den Terror. Im gleichen Jahr massakrierten Mitglieder von Boko Haram in Baga, Nigeria, Hunderte von Menschen. Warum demonstrierten die Politiker nicht auch gegen diesen Terror? Weil ihnen das Spektakel in Paris den Platz an der politischen Sonne optimal sicherte. Genau das will auch der Terrorist. Mit welchem ideologischen Brimborium er sich rechtfertigt – Kalifat, globale Umma, Krieg gegen die Ungläubigen - , er spielt mit im Kampf um Aufmerksamkeit, um Prime Time, Einschaltquote, Schlagzeilenplatz. 

Viele - fast ausschliesslich – junge islamistische Gewalttäter, die oft ohne Aussicht auf eine «zivile» Zukunft leben, sehen im Terror den Köder für die mediale Auf-merksamkeit. Der Terror wir erst «real», wenn ihn die Bilder zeigen. Die wichtigste Waffe des Spektakel-Terroristen ist neben der Kalaschnikow die Handykamera. Hier offenbart sich Nihilismus, der sich als Märtyrertum aufplustert. Und durch seine virale Verbreitung weltbühnentauglich wird. Auf abartige Weise zum Thrill. Er unterstützt die überall verbreitete Wollust, zu schauen und beschaut zu werden. 

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Man erinnert sich unweigerlich an die «Gesellschaft des Spektakels» des französi-schen Schriftstellers, Filmers und «Situationisten» Guy Debord. Nach ihm sollte die künstlerische Avantgarde die Konsumgesellschaft mit «Terror» überziehen, das heisst, nicht Kunstwerke, sondern neue spektakuläre Situationen des Lebens schaf-fen: Verwirrung stiftende Aktionen gegen die bourgeoise Kultur, wie sie sich in Paris 1968 ereigneten; keineswegs nur harmlose, sondern an der Grenze zum wirklichen Terrorismus  - wie etwa der Versuch, den Eiffelturm in die Luft zu sprengen. Aller-dings wurde dem Säufer und Wüterich Debord bald etwas mulmig zumute.  In den 1970er Jahren warnte er vor dem «Spektakel des Terrors». Als hätte er geahnt, dass sich fünzig Jahre später die Islamisten zu seinen gelehrigsten Schülern entwickeln würden. Sie sind auch «Situationisten». Aber sie verstehen keinen Spass. Bei ihnen kippt das Spektakel in blutigen Ernst.

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Der Spektakel-Terrorist braucht die Aleatorik des Schreckens – er schlägt mal hier, mal dort zu. Je weniger politische Gewalt in einer Gesellschaft herrscht, desto grösser die traumatisierende Wirkung einer punktuellen Gewalttat, die nicht vorauszusehen ist. Jede solche Tat verhöhnt den Staat: Schau, du bist nicht im Stande, deine Bürger zu schützen! Traditionellerweise begründet sich der Terrorismus als Widerstand ge-gen Gewaltverhältnisse. Nicht so der Spektakel-Terrorist. Er kämpft ja nicht gegen Widerstände, sondern nutzt schamlos die Verletzlichkeit anderer Menschen als Festivalbühne seiner blutigen Punk-Show aus. 

And the show must go on. Die bisher letzte Folge in dieser Staffel terroristischen Spektakels stammt nun ausgerechnet nicht aus einer liberalen Gesellschaft, sondern aus Russland, wo am 22. März vier Terroristen ein Blutbad in einer Moskauer Kon-zerthalle anrichteten. Der Inlandgeheimdienst demonstrierte, wie er mit – nota bene nicht verurteilten - Attentätern verfährt: Folter, Misshandlung, totale Erniedrigung - Entmenschlichung. Als hätte der russische Staat nur auf einen terroristischen An-schlag gewartet, um nun seine eigene Terrormaschinerie in Gang zu setzen. Die alte Tradition der kommunistischen Schauprozesse. Sie kann mit der Schaulustigkeit der Welt rechnen. Terrorist und Häscher spielen das gleiche Spiel. Sie haben grösstes Interesse daran, dass der Geist des Spektakels in unseren Schädeln Platz greift. Und in diesem Geist schauen wir auf all die Bilder des Greuels, sagen «Wie furchtbar!» und können nichts tun. Susan Sontag hat dies mit brutaler Offenheit ausgedrückt: «Für viele Menschen in den meisten modernen Kulturen sind Chaos und Blutvergiessen heute eher unterhaltsam als schockierend». Und so verfestigen wir die Conditio inhumana, das Leben im Zeichen von Terror und Horror, schwankend zwischen Zynismus und Apathie. 






















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