Samstag, 6. Juli 2024




Conditio transhumana

Aus der Trickkiste der technologischen Fabulanten

Wird die Welt immer schlechter, träumt man gern von guten alten Zeiten. Oder von guten neuen. Seit einiger Zeit macht sich eine umtriebige Truppe von Philosophen, Wissenschaftern und Ingenieuren daran, uns auf eine Zukunft einzustimmen, in der die meisten Probleme der Menschheit gelöst sein werden. Das Projekt des radikalen Transhumanismus, wie es genannt wird, entwirft aus den neuen bio-, info- und neurotechnischen Möglichkeiten eine entsprechende neue Anthropologie, die Abschied vom Menschen nimmt, wie wir ihn kannten. Ihr Anliegen lautet etwas plakatiert: Die gegenwärtigen Probleme der Menschheit sind mit dem herkömmlichen Menschen nicht lösbar. Also muss ein neuer, „problemadaptierter“ Mensch her, das heisst: Man muss den herkömmlichen Menschen mit wissenschaftlich-technischen Mitteln neu designen, um die Probleme zu lösen. 

Das  Märchen vom Altern und Tod

Einer dieser Transhumanisten ist der Philosoph Nick Bostrom. Er erzählt uns das Märchen von Altern und Tod, dem tyrannischen Drachen, dessen Appetit man befriedigen musste, indem man ihm jeden Tag bei Einbruch der Dunkelheit zehntausend Männer und Frauen ablieferte. Schliesslich aber wurde der Drache besiegt, die Menschheit von der Tyrannei des Alterns und des Todes befreit.  

Bostrom ist nicht naiv. Er schlägt mit dem literarischen Format des Märchens geschickt drei Fliegen mit einer Klappe. Erstens macht er den wissenschaftlich-technologischen Kampf gegen Altern und Tod auf einem gemeinverständlichen „kindlichen“ Niveau plausibel; zweitens spricht er unsere tiefsten Instinkte an - wer fürchtet sich nicht vor dem Tod? – ; und drittens lädt er diesen Kampf moralisch auf. Die Auseinandersetzung mit Drachen steht seit je im Zeichen Gut-gegen-Böse. Bostrom sagt es ausdrücklich: „Wir haben zwingende moralische Gründe, die menschliche Seneszenz loszuwerden.“ Das Leben ist kurz, die Technik währt lang, sagte schon Hippokrates. Also protzt man das Leben technisch auf, damit es lange währt.

Du sollst dich verbessern!

Das Beispiel scheint mir geeignet zu sein, um auf drei Tricks aufmerksam zu machen, mit denen im Ausmalen zukünftiger besserer Welten gern gearbeitet wird. Erstens erklärt man es zur Pflicht des rationalen Menschen, das Projekt zu unterstützen. Bostrom beschreibt zum Beispiel das transhumane Leben in seinem „Brief aus Utopia“.  Man werde dort spielend 170 Jahre alt, verfüge über kognitive Fähigkeiten unerhörten Ausmasses, streue Glück in Form von ein paar Körnchen in den Tee, höre Musik, die sich zu Mozart so verhält, wie Mozart zu schlechter Musak, und so weiter. Wie also kann ein vernünftiger Mensch die Wonnen solcher künftiger Existenz ausschlagen? Schnell verfängt man sich allerdings hier im Fehlschluss vom Mittel auf den Zweck: Wir haben die Mittel zur radikalen Menschenverbesserung, ergo ist die radikale Menschenverbesserung auch der Zweck. Die Diskussion verlässt den Horizont des Wissenschaftlich-Technischen nicht mehr. Der Imperativ „Du musst dich verbessern!“ stutzt dem Wünschen, sofern es nicht ein wissenschaftlich-technisches ist, die Flügel. Wer anderes wünscht, handelt unvernünftig, ja, unmoralisch.

Jammertal-Verstärker

Zweitens erhöht sich die Wünschbarkeit der Utopie dadurch, dass man den Ist-Zustand der Welt möglichst in Grautönen malt. Nennen wir dies den Jammertal-Verstärker. Er arbeitet, meist verdeckt, auf eine Umwertung der Werte hin. Erinnern wir uns des Märchens von Bostrom. Alter und Tod sind der Drache, den es zu besiegen gilt. Das hat durchaus eine gewisse Plausibilität. Zumindest: Wer hegt nicht den Wunsch nach einem genussvollen, beschwerdefreien Alter? Aber das ist nicht zwingend der Wunsch, ein ewiges Alter zu haben. Mit dieser überdrehten Logik operiert indes das radikale Enhancement. Und sie hat tatsächlich etwas von der Logik des Märchens. Der König ist krank. Also muss ein Heilwasser oder ein Zaubervogel her. Der Mensch altert und stirbt. Also muss eine entsprechende Heiltechnologie her. Versteckt unterstellt man, das Alter sei eine Krankheit, von der man zu „gesunden“ hat. Die Utopie dichtet uns ein Defizit an, erklärt das Normale um zum Pathologischen. 

Unvermeidlichkeit der Transhumanität

Drittens artikuliert Transhumanismus einen mehr oder weniger ausgeprägten Technik-Deter¬minis¬mus: Technik entwickelt eine Eigendynamik, man kann gegen sie (das heisst: gegen die grossen Technikunternehmen) so oder so nichts unternehmen. Dadurch umgibt sich die Utopie mit einer Aura des Unausweichlichen. 

There is no alternative. Das transhumanistische Zukunftsszenario eröffnet sich uns als „zwingender“ Ausgang aus der biologischen Evolution. Was die Natur stümperhaft zusammengebastelt hat, übernimmt nun der Mensch und führt es als bewusstes Design fort. Seine „Bestimmung“ ist es, sich zu verbessern, sich verbessernd über sich hinauszuwachsen. Damit ist dem ganzen Projekt auch gleich eine kryptoreligiöse Weihe verliehen, die es für nicht wenige umso attraktiver macht. 

Der „disruptive“ Unterschied zwischen alten und neuen Techno-Utopien

Die drei Momente – In-die-Pflicht-nehmen, Jammertal-Verstärker und Unvermeidlichkeit – machen den Propagandakern der Techno-Utopisten aus. Dabei sei ausdrücklich betont, dass dem technischen Fortschritt immer schon ein gewisser utopischer Drang innewohnt. Seit er sich der Technik bedient, nimmt also der Mensch quasi am transhumanen Projekt teil. Was heute hingegen ins Gewicht fällt, ist die Verfügbarkeit machtvoller Technologien, welche diese Träume zu realisieren versprechen. 

Die Realisierungsmöglichkeit markiert den „disruptiven“ Unterschied zwischen alten und neuen Utopien. Platons Vision einer von Philosophen geführten Gesellschaft war harm-los, weil es sich tatsächlich um eine Vorstellung jenseits des Machbaren handelte. Heute führen nicht Philosophen-Könige das Zepter, sondern Digitalunternehmen-Könige mit ihren Software-Wächtern. Und sie haben die Macht, die Gesellschaft wirklich nach ihren Visionen zu verändern. Schon heute brüstet sich Google damit, dem Nutzer sagen zu können, was er will, bevor er weiss, was er will. 

Things bite back

Zur bekannten Ironie der Technik gehören die nichtindendierten Effekte von Innovationen. „Things bite back“, wie es im Englischen schön heisst. Wir kennen ja bereits Enhancement mit Botox, Steroiden, Viagra. Und wir kennen auch ihre Nebenwirkungen: Lähmungserscheinungen und Infektionen bei Botox; Herzprobleme bei Steroiden; niedriger Blutdruck und Priapismus bei Viagra. Wir haben keine Ahnung, wie das bei einem total transformierten menschlichen „Metakörper“ wirklich aussehen würde. Technophantasien, die diese Unkenntnis nicht als Parameter berücksichtigen, unterscheiden sich kaum von altem magischen Denken: der Zaubertrank hat die gewünschte Wirkung, ohne Kollateraleffekte. Aber genau diese Wunschwirkung haben Technologien nicht. Und je „totaler“ sie werden, desto grösser das existenzielle Risiko, dass der Kollateralschaden zu einem Total-schaden auswächst. 

Etwas fehlt

Es handelt sich, aufs Ganze gesehen, um Technologien der Transzendenz, die uns angeboten werden. Sie übernehmen das Geschäft der Theologen. Ray Kurzweil ist der Johannes der Täufer der neuen Religion: Die Singularität ist nahe herbeigekommen! - Nochmals: Die Visionen der Menschenverbesserer entspringen durchaus  plausiblen Wünschen und Zielen. Der Krebskranke wünscht sich eine Therapie, die anschlägt; der Querschnittsgelähmte eine intelligente Prothese; der Blinde einen Chip im Seh-Areal des Hirns. Das sind prinzipiell begrüssenswerte Posten im Projekt der Leidensverminderung und Mangelbehebung. Utopien gehen aus von der Grunderfahrung „Etwas fehlt“, um die griffige Kurzformel von Ernst Bloch zu zitieren.  Der Transhumanismus verspielt genau da seine Plausibilität, wo er dieses „Etwas fehlt“ in ein „Alles fehlt“ verwandelt, und die schlaraffische Omnikompetenz zum Massstab des Humanen macht. 

Und vergessen wir eines nicht: Transhumanismus bedeutet im Grunde nicht die Überwindung des Menschen, sondern eines Menschenbildes. Gut möglich, dass wir bald schon auch das transhumane Menschenbild überwunden haben werden. Immerhin stünde es uns gar nicht so schlecht an, vermehrt wieder das Humane im Transhumanen zu bedenken. 




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