The Message is the Massage
Über die Krise der epistemischen Autorität
Wenn ich einer anderen Person etwas mitteilen will, will ich sie überzeugen, einschüchtern, täuschen, für mich gewinnen; ich will sie «kneten» - griechisch: «mássein». Das heisst, Informieren und Massieren sind zwei Seiten ein und desselben Vorgangs. The Message is the Massage. Am eindeutigsten beobachtbar in der Werbung. Hier «knetet» die Botschaft immer.
Die These ist nicht neu. Der Titel von Marshall McLuhans berühmtem Buch lautete bekanntlich nach einem Fehler des Schriftsetzers «The Medium is the Massage.» Der Untertitel hob den Kernpunkt hervor: «Ein Inventar an Effekten». Später doppelte Paul Watzlawick mit einer weiteren These nach: Es ist unmöglich, nicht zu kommunizieren. Was man auch interpretieren kann als: Es ist unmöglich, nicht zu manipulieren. Schliesslich schrieben die Evolutionsbiologen John R. Krebs und Richard Dawkins in einem wegweisenden Aufsatz: «Wir unterscheiden zwei Ansichten der Evolution von Tiersignalen. Die eine, die wir als die klassische bezeichnen, betont die Kooperation zwischen Individuen. (..) Die andere Ansicht, die wir vertreten, betont die Kompetition (..) Die Selektion bevorzugt Individuen, die das Verhalten anderer Individuen erfolgreich manipulieren, sei dies zu deren Vorteil oder Nachteil.»
Tiere haben das Vermögen des «Unehrlichseins». Die eine Art entwickelt Fähigkeiten und Eigenschaften, mit denen sie die andere ausstechen kann. Die evolutionären Psychologen proben schon länger eine Umwertung der Werte. Sie sprechen von der Machiavelli-Intelligenz bei Tieren, also von einer erworbenen Fähigkeit, die sich der Strategie des «Massierens» bedient: des Irreführens, Verwirrens, Übervorteilens.
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Die bekannteste Form des Massierens nennt man heute «Bullshitten». Es hat sich zum allgegenwärtigen dominanten Kommunikationsstil gemausert, so dass sich die Forschung mit der Frage zu beschäftigen beginnt, ob denn daran nicht doch respektable kognitive Kompetenzen zu erkennen seien. Nachgerade symptomatisch scheint mir der Titel einer Publikation (Preprint) von kanadischen Psychologinnen und Psychologen zu klingen: «Bullshit Ability as an Honest Signal of Intelligence». In der Konklusion liest man: «Wir stellen fest, dass jene, die geschickter sind, befriedigenden (..) Bullshit zu produzieren, auf einer Skala kognitiver Fähigkeiten höher rangieren und auch von anderen als intelligenter wahrgenommen werden (..) Aufs Ganze gesehen, lässt sich die Fähigkeit, befriedigenden Bullshit zu erzeugen, als Strategie betrachten, erfolgreich durch soziale Systeme zu navigieren.»
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Bullshitten als «ehrliches» Anzeichen von Intelligenz zu betrachten irritiert aus einem ganz bestimmten Grund. Zweifellos erweisen sich manipulative Taktiken da als vorteilhaft, wo der Erfolg von der Geschicklichkeit abhängt, andere zu «massieren». Also nahezu überall heute. Und deshalb sollte uns nicht die Frage nach dem Zusammenhang von Bullshit und Intelligenz beschäftigen, sondern vielmehr das Motiv der Fragestellung.
Denn hier stossen wir auf das Symptom einer tieferen kulturellen Regression. Unser aktuelles Kommunikationsverhalten lässt auf weiten Gebieten sozialen Lebens – und das heisst primär: in den sozialen Netzwerken - den Charakter der freien Wildbahn erahnen, in Anlehnung an Nietzsche: den Willen zur Manipulation. Es herrscht ein Selektionsdruck, unter dem man nur durch Täuschen, Tricksen, Faken: durch «Massieren» des anderen erfolgreich besteht. Ein Biotop für die Subspezies der Leugner, Profilneurotiker, Spinner, Trolle, Zyniker.
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Man kann darüber mit den Schultern zucken. Aber dass «Massieren» auf die gleiche Stufe wie ehrliches Informieren gehoben werden soll, beschert uns ein wirklich ernstes intellektuelles Umweltproblem. Ich nenne es Krise der epistemischen Autorität.
Herkömmlicherweise gilt das wissenschaftliche Expertentum als solche Autorität. Coronaepidemie und Klimawandel haben den Ruf der Experten nicht gefördert. Das liegt gewiss an der Komplexität des Themas, aber auch an etwas anderem: die Phänomene sind von allgemeinem Belang, sie gehen Wissenschaftler und Laien direkt an. Und hier tritt ein gestörtes Verhältnis zwischen beiden zutage. Ganz offensichtlich und banal daran zu erkennen, dass man den Leuten, die dafür ausgebildet sind, über ein gewisses Gebiet kompetent zu urteilen, nicht mehr glaubt und vertraut. Gleichzeitig aber meint, mit einer zusammengeschusterten Do-it-yourself-Theorie das ganze gesammelte Wissen einer Disziplin über den Haufen werfen zu können.
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Zugegeben, es gibt auch in der Wissenschaft falsche oder Pseudoautoritäten. Man erinnere sich nur an die Coronapandemie, die ja auch als eine Pandemie der falschen Experten bezeichnet worden ist. Es meldeten sich Fachleute zu Wort, die sich zwar weder als Virologen, noch als Infektiologen, noch als Epidemiologen ausweisen konnten, aber dennoch mit unfehlbarem Durchblick die «wahre» Situation erkannten.
Ohnehin sollte man aber epistemische Autorität nicht mit der Autorität von Personen gleichsetzen, seien sie Wissenschaftler, Philosophen oder öffentliche Intellektuelle. Sie liegt vielmehr in intellektuellen Tugenden, auf die ein robustes demokratisches Zusammenleben abstellt: etwa das Überwinden des Ingroup-Outgroup-Bias, das heisst der Neigung, nur gleichen Meinungen Glauben zu schenken und die anderen mit einem Shitstorm zu überziehen; Skepsis gegenüber vorschnellen Verallgemeinerungen und patenten Problemlösungen; das Vermeiden von Argumenten ad personam; das Misstrauen gegenüber Leuten, die ihre Gefühle für Fakten halten; das Ersetzen von moralisierenden Schuldfragen durch empirische Ursachenfragen; die Erkenntnis, dass Rationalität nicht nur den Glauben an die eigene Vernunft, sondern auch an die Vernunft des anderen bedeutet. Lassen wir die Aufzählung. Aufs Ganze gesehen könnte man den epistemischen Tugendkatalog mit der Bezeichnung des bekannten Wissenschaftsautors Carl Sagan zusammenfassen: «Baloney Detection» - Quatscherkennung. Sagan nannte sie eine «hohe Kunst».
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Aber wer sagt eigentlich, was der Fall ist, was ein korrektes Argument, was ein triftiges Urteil? Gibt es überhaupt eine solche universelle Instanz, die wir alle – oder zumindest die Mehrzahl – anerkennen, sozusagen ein Schiedsgericht über das Objektive?
Lange ist es her, da Jürgen Habermas eine ideale Spielwiese der Kommunikation ersann, wo der «eigentümlich zwanglose Zwang des besseren Arguments» regiert. Dieser «Zwang» hat eine ganz einfache Basis: das Vertrauen in den anderen, das Vertrauen darauf, dass der andere wie ich die Spielregeln des «besseren Arguments» anerkennt. Alle unsere zivilisatorischen Errungenschaften - Wissenschaft, Philosophie, Kunst, Politik, Religion – sind Systeme des Vertrauens. Wir erleben heute eine beispiellose Erosion dieses Vertrauens. Es wird herausgefordert durch eine Halunkenmentalität, die dem anderen a priori täuschenden Vorsatz, Feindseligkeit, üble Absichten oder Irrationalität unterstellt. Weite Teile des öffentlichen Lebens sind infiziert vom viral um sich greifenden Empörungs-, Verdächtigungs-, Beschuldigungs- und Bedrohungsdiskurs.
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«Massage» in Mc Luhans Buch liess sich auch lesen als «Mass Age»: Massenzeitalter. Lange vor McLuhan schrieb der spanische Philosoph Ortega y Gasset den Essay «Der Aufstand der Massen» (1929). Darin stehen die Sätze: «Wer Ideen haben will, muss zuerst die Wahrheit wollen und sich die Spielregeln aneignen, die sie auferlegt. Es geht nicht an, von Ideen oder Meinungen zu reden, wenn man keine Instanz anerkennt, welche über sie zu Gericht sitzt». Bullshitter und andere «Kneter» wollen nicht die Wahrheit. Sie anerkennen keine solche Instanz. Sie haben deshalb auch keine Meinungen, sie sondern Meinungen ab wie Speichel. Und wer diesen Speichel unkritisch resorbiert, ist ein…