Samstag, 11. Oktober 2025



Verschwörungstheoretiker in der Wissenschaft

Wer wissenschaftlich etwas auf sich hält und mitreden möchte, hat heute die Möglichkeit, auf YouTube und anderen Internetmedien seine Ideen kundzutun. Das dient auf den ersten Blick einem guten Zweck, nämlich die wissenschaftliche Arbeit auf unterhaltsame Weise einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Aber dieser Blick trügt. 

Betrachten wir die Debatten der letzten 40 Jahre über das Standardmodell der Teilchenphysik. Es hat sich in zahlreichen Fällen als erfolgreiches Erklärungsinstrument erwiesen. Nichtsdestotrotz gilt es als vorläufiges «Flickwerk», weil ihm die Vereinheitlichung der Grundkräfte bisher nicht gelungen ist. Das reizt natürlich auch Aussenseiter. Zum Beispiel Eric Weinstein, einen ehemaligen Geschäftsführer von Thiel Capital. Er bastelt seit Jahren an einer «fundamentalen» Theorie – der «Geometric Unit» - , welche die Gravitationstheorie mit der Quantenphysik verbinden, die dunkle Materie erklären und neue Teilchen vor-hersagen will. Ein ziemlich ambitiöses Programm. Das Problem: die Physiker nehmen es nicht ernst.  

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In der populären YouTube-Talkshow des britischen Journalisten Piers Morgan traf sich Weinstein neulich mit Sean Carroll, dem Physiker und bekannten Wissenschaftsautor von der Johns Hopkins University. Dieser wies auf einige wichtige Kriterien hin, die eine Idee «akkreditieren». Sie sollte neue Voraussagen ermöglichen, den aktuellen Forschungsstand der einschlägigen Disziplin bereichern, sie sollte vor allem in einem Fachorgan mit Peer-Review zur Diskussion gestellt werden. Weinstein habe ein einziges Paper geschrieben, das keinem dieser Kriterien genüge. Solcherlei liess Weinstein nicht auf sich sitzen. Er ist ausgebildeter Mathematiker, und er kennt sich in den aktuellen physikalischen Problemen aus. Aber die Diskussion entartete schnell zu einem gegenseitigen Austausch von vergifteten Nettigkeiten. Carroll bezichtigte Weinstein, die Hausaufgaben nicht richtig gemacht zu haben (im Englischen lautet die fadenscheinige Entschuldigung «the dog ate my homework»). Im Gegenzug verunglimpfte Weinstein Carroll als zweitrangigen Forscher, der eher ein Influencer sei, eine Art von «Marie Antoinette der theoretischen Physik». 

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Weinstein exemplifiziert ein nicht seltenes Phänomen: Ein wissenschaftliches Paper stellt eine  starke, jedoch fragwürdige Behauptung auf, die – wenn sie wahr wäre – unser Verständnis der Realität revolutionieren würde. Weinstein ist jedoch auch Symptom einer zunehmend bedenklicheren Tendenz. Erstens darf man annehmen, dass er als «Hofphilosoph» des nonkonformistischen Investors Peter Thiel dessen Abneigung gegen die akademische Welt teilt. Weinstein ist zweitens Mitbegründer des sogenannten «Intellectual Dark Web», eines losen Verbunds von furchtlosen «alternativen» Denkern, die sich gerne als Personae non gratae im akademischen Klub aufführen.  Weinstein hat drittens mit dem Begriff des «verteilten Komplexes der Ideenunterdrückung» («Distributed Idea Suppression Complex»; DISC) ein verschwörungtheoretisches Narrativ geschaffen: Es existiert angeblich ein geheimes akademisches Establishment, das unkonventionelle Ideen marginalisiert, un-terdrückt oder zum Schweigen bringt. Das Narrativ ist eine unübertreffliche Immunisierungsstrategie. Wer es kritisiert, bestätigt es gerade. 

Nun wäre all dies kaum der Rede wert, fänden solche Theorien nicht ein wissenschaftsfeindliches politisches Brutklima vor. Sheila Jasanoff, Professorin für Wissenschaftspolitik an der Harvard University, spricht vom «Bürgerkrieg der Ideen» : «Auf der einen Seite kämpfen die Verfechter des Glaubens, dass die Wissenschaft uns die besten Antworten auf die meisten sozialen Probleme gibt; auf der anderen Seite kämpfen Menschen, die glauben, dass die Wissenschaft in Amerika von einer ‘Big Government’-Ideologie vereinnahmt wurde. Sie wollen Forschungseinrichtungen wie die National Institutes of Health auflösen, um die Wissenschaft von Grund auf neu aufzubauen.»

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Wie dieser Neuaufbau aussieht, zeichnet sich in aller Deutlichkeit am amerikanischen Gesundheitsministerium ab. Seinem Vorsteher Robert Kennedy jr. wird die Neigung zu Verschwörungstheorien nachgesagt.  Er hatte sich vor allem als Kritiker der Pharma- und Lebensmittelindustrie profiliert, allerdings auch mit wilden Hypothesen über den Zusammenhang von Massenschiesserei und Antidepressiva, Impfen und Autismus, Chemikalien im Wasser und sexueller Orientierung. Man muss sich vor Augen halten: Das amerikanische Gesundheitsministerium – das Department of Health and Human Services - verfügt über ein gewaltiges Budget, um die 1.8 Billionen Dollar. Damit übt es erheblichen Einfluss auf Forschungsrichtungen aus und kann gezielt kritische Wissenschaftler entmachten – ein gefährlicher Hebel zur politischen Steuerung wissenschaftlicher Agenden.

Paradox erscheint ja, dass die USA als führende Forschungsnation der Welt gelten, aber ihre Regierung gegenwärtig einen regelrechten Feldzug gegen die «Eliten» der universitären Wissenschaft eröffnet.  Die Ideologie dahinter machte sich schon an den konkreten Auswirkungen des DOGE-Programms von Elon Musk bemerkbar («Department of Government Efficiency»): «Säuberung» der Bürokratie von unproduktivem Ballast. Sehr wahrscheinlich macht man sich auch Gedanken über eine «Säuberung» der Wissenschaft von missliebigen Ideen. 

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Dass Aussenseiter sich mit dem wissenschaftlichen Establishment anlegen, ist nicht neu. Auch nicht, dass sie dabei mit verschwörungstheoretischen Argumenten operieren. «Renegaten» wie Weinstein verweisen ja durchaus auf reale Missstände von Big Science: Replikationskrise, Publikationsdruck, kriselnde Peer-Review, Tendenz zu Konformität, Hyperspezialisierung, Kampf um öffentliche Gelder. Jüngst kommen Verdächte hinzu, dass Wissenschaftler die Laborhypothese von Covid-19 unterdrückt hätten.  Das nährt das Misstrauen beim Laien. Und Aussenseiter ziehen ihren Nutzen aus einem soziokulturellen Klima, in dem die Wissenschaft nicht mehr als alleinige Hüterin der Wahrheit gilt. Gewiss, sie bewährt sich als System, das disziplinären Fortschritt, reproduzierbare Ergebnisse und über-prüfbare Theorien ermöglicht. Doch trifft auch zu, dass viele grosse wissenschaftliche Ent-deckungen es schwer hatten gegen die «Orthodoxie» von Paradigmen. Man denke nur etwa an das kopernikanische Weltbild, die Keimtheorie der Krankheiten, die frühe Quantentheorie.

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Diese Ambivalenz charakterisiert den wissenschaftlichen Diskurs. Wer dazu beitragen will, kann nicht wie ein Prophet von seinen eigenen Ideen überzeugt sein, sondern muss andere überzeugen, nach den Regeln des Spiels. Weinstein und sonstige «Contrarians» suchen nicht den Diskurs, sie stilisieren sich zu dessen «Opfer». Ihr Narrativ vom unterdrückten unorthodoxen Denker wirkt wie ein Virus. Es infiziert den wissenschaftlichen Konsens mit dem Verdacht, dieser sei im Grunde ein Komplott. Und damit delegitimieren sie den wissenschaftlichen Erkenntnisanspruch. Denn wo Wissenschaft nicht mehr als gemeinsame Erkenntnissuche gilt, sondern als Macht- und Ränkespiel von «Eliten», öffnen sich Hintertüren für Ideologen und Populisten. Verschwörungstheorien untergraben nicht nur die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft – sie bedrohen ihr ideeles Rückgrat. Die Wissenschaftler tun gut daran, sich selber wieder darauf zu besinnen und es zu stärken. 




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